«WIR SIND BANKIERS»

Er formte die führende Privatbank der Schweiz. Jetzt braucht Re­naud de Planta mehr Zeit – für sich und die Nationalbank.

Der Hauptsitz von Pictet im Genfer Stadtteil Acacias. Renaud de Planta war die letzten fünf Jahre als «Senior Partner» Primus inter pares unter den Teilhabern der Privatbank, 26 ereignisreiche Jahre gehörte er dem Gremium an. Zeit für einen Rückblick – in fast fehlerfreiem Deutsch.

Sind Sie Banker oder Bankier?

Wo liegt der Unterschied?

Der Banker denkt zuerst an sich und dann an seine Bank – und nicht an den Kunden.

Dann sind wir bei Pictet Bankiers.

CS-Untergang, Benko-Debakel bei Julius Bär: Das Image der Banken hat zuletzt stark gelitten. Ihr Haus bleibt dagegen stark unterwegs. Was machen Sie besser?

Ein Bankier arbeitet ausschliesslich für seine Kunden. Wir verwalten für sie fast 700 Milliarden Franken. Unser einziges Ziel ist, ihre Gelder möglichst gut anzulegen. Wir sitzen an derselben Seite des Tisches und sind nicht – wie so viele andere – Gegenpartei. Wir suchen die besten Produkte im Markt, in allen Anlageklassen.

Julius Bär hat durch die Kreditvergabe an René Benko mehr als 600 Millionen Franken verloren. Wäre das bei Ihnen möglich gewesen?

Nein.

Warum nicht?

Das Kreditgeschäft ist für uns nur ein Nebenprodukt, das wir als Dienstleistung für bestehende Kunden betreiben, unser Kreditbuch beträgt gerade zehn Milliarden Franken. Wir akzeptieren nur liquide und hochkarätige Sicherheiten. Wir legen viel Wert darauf, dass wir uns in Krisenzeiten auf die Kunden und ihre Portfolios konzentrieren können. Wenn eine Bank mit Krediten oder Handelsgeschäften in Schwierigkeiten gerät, verliert sie den Blick auf die Kunden.

Welche Rolle spielt die Rechtsform? Sie haben keine Aktionäre, die hohe Renditen fordern.

Sie ist ein entscheidender Erfolgsfaktor. Wir leben eine Kultur der Langfristigkeit: Was ich heute entscheide, muss in fünf oder zehn Jahren noch Bestand haben. Ich war 26 Jahre Teilhaber und habe diese Philosophie gelebt, und sie gilt auch für meine sieben Partner. Die ältesten sind 53, die jüngsten Anfang 40. Wir investieren jetzt in Bereiche, in denen wir in den nächsten fünf Jahren wahrscheinlich noch nicht profitabel sein werden.

Dass Rivalen wie Bär, Vontobel oder EFG kotiert sind, ist aus Ihrer Sicht also ein Nachteil?

Wir sehen es als enormes Privileg, in privaten Händen zu sein, und sogar in den Händen der Manager. Wir übernehmen die Verantwortung und wissen genau, was wir mit unseren Entscheiden auslösen. Das sichert uns Kontinuität. Vor Pictet war ich elf Jahre bei der UBS, einer börsenkotierten Firma. Dort hat der Verwaltungsrat wenig persönliche Teilhabe an seinen Entscheiden, oder wie man neudeutsch sagt: keine Skin in the game. Bei uns ist das anders. Wir kennen das Geschäft gut und sind auch die Eigentümer. Vielleicht machen wir deshalb weniger Fehler.

Sie müssen die Verluste selbst tragen, statt sie den Aktionären oder der Gesellschaft aufzuladen.

Wir müssen mit allen Konsequenzen leben. Unser Modell ist für die Kunden, den Finanzplatz und das Land optimal.

Andere Banken in Genf oder Zürich verfügen über das gleiche Modell, aber Pictet ist die klare Nummer eins. Was machen Sie besser?

Wir stehen heute sehr solide auf mehreren Pfeilern: unser traditionelles Wealth Management für Privatkunden und unser Asset Management für institutionelle Kunden, dazu Pictet Asset Services. Wealth Management und Asset Management sind bei Ressourcen und Gewinnbeitrag in etwa gleichwertig. Das ist unsere Spezialität.

Ihre Konkurrenz versucht sich auch in der institutionellen Vermögensverwaltung, ist aber weniger erfolgreich.

Wir waren hier von Beginn an sehr konsequent. Wir haben die richtige Infrastruktur aufgebaut, wir haben keine Kompromisse gemacht und wollten von Anfang an die besten Leute anziehen. Wir waren auch Vorreiter: Schwellenländer, Total-Return-Produkte, thematische Aktienfonds, das gab es vor 30 Jahren noch nicht in grösserem Stil. Als dann die Nachfrage von grossen institutionellen Kunden kam, waren wir bereit. Und wir haben uns nicht von unserem Weg abbringen lassen.

Sind Ihre Wettbewerber noch in der Schweiz?

Die Konkurrenz ist heute weltweit. Die Amerikaner greifen in der Schweiz stark an. Unter den Top-10-Asset-Managern werden wir in Europa immer unter den Top 4 bewertet, aber die anderen drei sind Amerikaner. Auch im Private Banking ist das Geschäft sehr international geworden, in den Wachstumsmärkten treffen wir vor allem auf zwei Amerikaner, zwei Europäer – und eine Schweizer Grossbank.

Sie wachsen nur organisch.

Ja. Wir haben kleine Teams übernommen, maximal zwölf Mitarbeiter etwa in Deutschland, aber nie eine rechtliche Einheit. Das ist ein grosser Unterschied zur Konkurrenz, die vor allem über Zukäufe gewachsen ist. Der organische Weg hat viele Vorteile. Wir haben eine homogene Kultur und keine Probleme bei der Systemintegration. In Krisenfällen liegt hier oftmals die Schwachstelle – kommt es zu einem Marktcrash oder heftigen Geldabflüssen, kennt das Top-Management nicht alle Risiken, weil die Systeme nicht kompatibel sind.

So war es bei der CS, sie konnte ihre Exposures nicht aggregieren.

Wir konnten das bei uns immer. Wir sind im Risikomanagement sehr stark und gleichzeitig bei der Risikoneigung sehr vorsichtig.

Sie haben den US-Steuerstreit im Dezember nach elf Jahren mit einer Busse von 123 Millionen Dollar beigelegt. Wie stark hat er der Reputation von Pictet geschadet?

Er hat vor allem einige Medien in der Deutschschweiz beschäftigt, international war er weniger ein Thema.

Dass Pictet überhaupt involviert war, kam überraschend.

Ich will nicht zu stark auf den Fall eingehen. Aber auch wir haben wie andere Banken gelernt, dass Amerikaner manchmal mehrere Pässe haben, ohne dass sie das angeben. Wir haben schon 2009 eine Tochtergesellschaft nur für amerikanische Kunden gegründet. Das war ein Vorteil.

Ein weiterer Kritikpunkt: die Anstellung des Ex-Bär-Chefs Boris Collardi. Die kurze Amtsdauer spricht nicht für eine Erfolgsgeschichte.

Ich möchte mich dazu nicht äussern.

Wie steht der Schweizer Finanzplatz heute da im Vergleich zu Ihrem Eintritt bei Pictet vor 27 Jahren?

In gewisser Hinsicht stärker, in manchen Bereichen schwächer. Die Technologie hat eine sehr grosse Rolle gespielt. Die Regulierung hat enorm zugenommen. Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit, und ob da der Nutzen die Kosten übersteigt, lässt sich bezweifeln. Das Bankgeheimnis ist gefallen, aber die Schweizer Anbieter haben gezeigt, wie enorm anpassungsfähig sie sind. In Anbetracht all dieser Veränderungen ist der Schweizer Finanzplatz stark. Aber sicher, das CS-Aus hat nicht geholfen. Andere Banken in anderen Ländern sind jedoch auch untergegangen. In den Vereinigten Staaten etwa sind in dieser Zeitspanne mehr als 500 Banken verschwunden.

Asien ist für das Schweizer Private Banking zentral. Ist das CS-Debakel dort ein Thema?

In Japan weniger, in Ostasien mehr. Aber die Swissness hat noch immer eine grosse Anziehungskraft. Kunden auf anderen Finanzplätzen interessieren sich angesichts der geopolitischen Unsicherheiten wieder verstärkt für die Schweiz. Wenn wir die Bedingungen gut nutzen, haben wir fantastische Möglichkeiten.

Wie sollte die Schweiz zwischen den Blöcken USA und China navigieren?

Wir müssen ein Gleichgewicht finden – und unsere Neutralität leben.

Wäre es falsch, sich zu sehr an den USA zu orientieren?

Es braucht Realpolitik. Swissness ist nicht nur eine Frage der Geopolitik, sondern auch der Stabilität des Landes, des Rechtssystems und der Servicequalität, Diese Punkte sind elementar, ich habe sie selbst lange unterschätzt.

Hat die Abschreibung der AT1-Anleihen dem Finanzplatz geschadet?

Die Sache ist sicher nicht hilfreich. Es handelt sich aus meiner Sicht aber vor allem um ein Kommunikationsproblem.

Viele ausländische Grossinvestoren haben grosse Summen verloren.

Vielleicht haben sie den Prospekt nicht genau gelesen. Wenn eine grosse europäische Bank in eine ähnliche Lage geraten wäre, und das war nicht unwahrscheinlich, wäre das Resultat kaum anders ausgefallen.

Sie waren direkt nach dem CS-Untergang der einzige aktive Bankenvertreter in der von Karin Keller-Sutter eingesetzten Expertengruppe Bankenstabilität. Gerade hat die Finanzministerin ihren eigenen Bericht vorgelegt. Waren Sie überrascht?

Nein. Die vier Kernbotschaften unseres Abschlussberichts gelten weiterhin: die Finma stärken, das Krisenmanagement verbessern, die Notfallliquidität überprüfen und die Qualität der Eigenmittel erhöhen.

Schwarz oder weiss, Herr de Planta?

Genf oder Zürich? Genf – bin hier aufgewachsen.

Inflation oder Deflation? Langfristig Inflation – wegen der hohen Staatsverschuldungen.

★ Aktien oder Anleihen? Eindeutig Aktien – derzeit null Bonds.

UBS oder Morgan Stanley? Pictet natürlich.

Tesla oder Porsche? Ich halte zu den Verbrennern.

London oder Paris? London liegt vorn – aber am liebsten bin ich in Siena.

Joggen oder Golf? Tennis.

Powell oder Lagarde? Volcker.

Das Thema der Notfallliquidität wird Sie auch bei Ihrem neuen Mandat begleiten – Sie werden am 1. Mai in den Bankrat der Nationalbank (SNB) eintreten. Die SNB verleiht die Emergency Liquidity Assistance (ELA). Braucht es hier Anpassungen?

Die Krise in den USA wurde durch Regionalbanken wie die Silicon Valley Bank ausgelöst, war aber trotzdem eine systemische Krise, die Fed musste intervenieren und alles garantieren. Für die Schweiz bedeutet das: ELA muss für alle Banken gelten. Wenn man sagt: ELA ist nur für die drei, vier Grossen, ist das hochgefährlich.

Im Bankrat läuft der Nachfolgeprozess für den scheidenden Präsidenten Thomas Jordan. Sie wurden auch selbst schon als Kandidat genannt. Treten Sie an?

Nein. Ich strebe kein exekutives Amt mehr an.

Vizepräsident Martin Schlegel scheint als neuer Präsident gesetzt.

Zentral ist, dass die bestmögliche Person gewählt wird. Wir sollten vorsichtig sein mit Ausschlusskriterien: intern oder extern, Sprache, Geschlecht – all diese Faktoren sollten keine zentrale Rolle spielen. Es gibt nur drei Mitglieder des Direktoriums. Die SNB ist so wichtig für die Schweizer Wirtschaft, da brauchen wir die besten Vertreter: drei starke Persönlichkeiten, die über Fachkenntnis verfügen und denen das Landesinteresse am Herzen liegt.

Braucht es einen Kurswechsel bei der Nationalbank?

Sie verfügt über einen guten Leistungsausweis in Sachen Geldpolitik. Die Inflationsbekämpfung hat funktioniert. Aber jede Institution kann sich verbessern. Das System der Notfallliquidität wird ausgebaut, auch der Anlageprozess der Währungsreserven kann verbessert werden.

Sie haben einst mit Ex-Vontobel-Chef Zeno Staub einen Staatsfonds gefordert.

Wenn gewisse Nachbarländer in den nächsten Jahren in Schwierigkeiten geraten: Was passiert dann mit dem Wechselkurs? Wie hoch können die Reserven sein, bevor eigene Probleme bei uns entstehen? Das ist eine Herausforderung für unser Land.

Der Bankrat der Nationalbank gilt als Abnickergremium. Bei der Geldpolitik oder der Anlagestrategie etwa kann er nichts entscheiden. Wollen Sie das ändern?

Ich habe noch nicht einmal begonnen. Nach der Wahl werde ich mir ein eigenes Bild machen. Das Hauptmandat ist die Preisstabilität, das hat die Nationalbank hervorragend erfüllt.

Die Expertengruppe hat gefordert, die Zusammenarbeit zwischen Finanzdepartement, Finma und Nationalbank zu verbessern. Das können Sie dann gleich umsetzen.

Es betrifft das gesamte Krisenmanagement in der Schweiz. Das müssen wir überdenken.

War die Anfrage des Bundesrats für das Mandat im SNB-Bankrat ein Grund zum Gehen bei Pictet? Sie hätten bis zum 65. Lebensjahr bleiben können.

Ich blicke auf 37 Jahre in der Finanzindustrie zurück. Meine fünf Jahre als Senior Partner entsprechen in der Nachkriegszeit genau dem Medianwert. Ich höre lieber auf, bevor man mich fragt: Wann gehst du? Ich wurde letztes Jahr 60. Ich bin froh und dankbar. Ich werde auch als Nicht-Exekutiver weiter ein Auge auf die Gruppe haben und stehe für Ratschläge und Kundenanlässe zur Verfügung. Aber die operative Zeit liegt hinter mir. Ich will mich auch als Investor engagieren, bei kleineren Firmen, und philantropisch aktiv sein.

Dem Bankrat der Nationalbank kann mehr Fachkompetenz nicht schaden.

Ich habe viel profitiert und will mein Wissen und meine Erfahrung in gewissen Gremien einbringen. Ich habe auch eine Stiftung mit anderen CEOs gegründet, um die Attraktivität von Genf zu erhöhen. Ich bleibe aktiv, aber nicht mehr 200 Prozent, sieben Tage die Woche.

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