ARMBäNDER: DAS VERNACHLäSSIGTE STYLING-POTENZIAL AM HANDGELENK

Ob Kautschuk, Kalbs- oder Krokodilleder: Beim Uhrenkauf achten die wenigsten auf die Details des Armbands. Sollten sie aber.

«Das Armband beeinflusst zu mindestens 60 Prozent das Uhrendesign», sagt Nikolaus Hirsch. Er nennt sich «Watch Stylist», ist «Watch & Style»-Blogger und Trendscout. Hauptberuflich leitet er zusammen mit seinem Bruder Matthäus in der neunten Generation den Familienbetrieb Hirsch im österreichischen Klagenfurt. Kurzum: Er ist ein Multitalent, auf den die Uhrenbranche hört.

Hirsch ist Weltmarktführer für hochwertige Leder- und Kautschuk-Uhrenarmbänder. «Wir arbeiten projektbasiert mit der Mehrheit der Schweizer Uhrenmarken zusammen», sagt er und fügt an, «ich darf aber nicht sagen, mit wem.» Braucht er auch nicht, man muss nur genau hinsehen. Beispielsweise taucht auf Panerais Armbändern vereinzelt der Schriftzug «Made in Austria» auf. Eng ist er auch mit Omega, Glashütte Original, und für Swatch-Modelle liefert er Silikonbänder.

Für Hirsch sind Armbänder «das Kleid der Uhr», das wie die Mode dem Zeitgeist unterliegt. «Momentan sind klassische Werte gefragt, was sich in hochwertigen flachen Kalbs- und Alligatorlederbändern vor allem für Vintage- und Retro-Uhren zeigt», erklärt der 33-Jährige, der auch direkt an Endkunden verkauft und Massanfertigungen anbietet. Der angesagte Quiet-Luxury-Stil aus der Mode wird meist mit elegantem Schwarz oder Mittelbraun zelebriert. Damit es nicht zu eintönig wird, zieht die Nachfrage nach mittelgrauen und Taupe-Tönen an. «Vor allem müssen die Oberflächen matt sein und verschiedene Strukturen besitzen, wie man sie von der Taschenmode her kennt.»

Der junge Unternehmer kann quasi in die Zukunft blicken. Er leitet die Produktentwicklung und den Vertrieb im Haus und berät Marken: «Von der ersten Designidee bis zur Lancierung können schon mal zwei Jahre vergehen, im Durchschnitt sind es sechs Monate.» Diese Saison sollen Fussball-Armbänder zusätzlich die Europameisterschaft anheizen. Als langfristigen Trend sieht er tierfreie Materialien. Beliebt sind Textilbänder aus recycelten Materialien, bevorzugt aus Kunststoffabfällen aus dem Meer. Breitling, Oris und Seiko zählen hier zu den Pionieren und treffen damit den Nachhaltigkeitsnerv der jungen Gen Z. Hirsch unterstützt das, indem er auf natürliche Rohstoffe setzt: «Wir haben viel versucht, waren aber mit den Zulieferern unzufrieden, weshalb wir ein eigenes Forschungslabor eingerichtet haben», sagt er, «jetzt produzieren wir das Material für Bänder aus Birkenrinde und Rosenblättern selber.»

Prüfe, wer sich bindet

«Wenn ich dieses Thema nur schon höre», donnert Cornelius Kaufmann. «Armbänder aus Ananasfasern oder Trester-Rückständen: Das klingt zwar nachhaltig, aber die meisten zersetzen sich viel zu schnell.» Oder sie werden mit so viel Chemie behandelt, dass er sie nicht verkaufen will. Der 69-jährige Kaufmann, der in der Schweiz und Deutschland lebt, gilt als Grandseigneur unter den Armband-Couturiers. Seit 80 Jahren fertigt sein Familienbetrieb in Mühlheim bei Frankfurt am Main mit die edelsten Lederarmbänder der Branche. Auch welche aus Kautschuk, Textilfasern, und selbst vegane Armbänder ohne Weichmacher bietet er an. Welche Uhrenmarken bei ihm bestellen, will auch er nicht verraten, er habe 16-seitige Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben. Wer ein wenig nachforscht, findet leicht heraus, dass er mitunter für die Edelmanufaktur Vacheron Constantin produziert. 

Ausser beim Alligatorleder, das von Zuchtfarmen aus Louisiana stammt, beteuert er, nur Häute und Materialien aus Europa zu verarbeiten. Sein Kalbsleder stammt «von süddeutscher Rohware», so bezeichnen Profis das rotbunte und Fleckvieh, das in den deutschen Alpen lebt und damit von höchster Qualität ist: Eine Faustregel besagt, dass die beste Lederqualität nördlich des 37.  Breitengrads entsteht, also von Sizilien an nordwärts, je weiter hinauf, desto besser. Die Qualität wird anhand von über 30 Kriterien definiert, von der Atmungsaktivität über den Farbabrieb bis zur Zugfestigkeit. Bei Rindern soll sogar das Sexualverhalten relevant sein: Je häufiger der Bulle deckte oder die Kuh kalbte, desto instabiler sind ihre Hautfasern.

Menschen assoziieren mit den Tieren ein gewisses Image. «Mein Vater nannte das die Psychologie des Armbands», sagt Hirsch. Die Häute von gefährlichen Tieren sind besonders begehrt, sie stehen für Macht und Stärke. Luxusuhren im obersten Preissegment werden nicht von ungefähr standardmässig mit einem Armband aus Alligatorleder ausgeliefert.

Wer die Verarbeitungsqualität prüfen möchte, «dem empfehle ich, die Armbandspitzen anzusehen, die am schwierigsten zu verarbeiten sind», sagt Hirsch. «Wenn hier alle Nähte gleichmässig und sauber gearbeitet sind, ist das ein Zeichen von Qualität.» Etwa 60 Arbeitsschritte stecken in einem Hirsch-Armband, bekannt für die Rembordé-Technik: Um die Kanten wasserabweisend zu verschliessen, werden sie mit dem Oberleder überzogen und mit dem Futterleder geschlossen. «Das macht das Lackieren der Kanten überflüssig, und das Tragegefühl ist angenehmer, da die Kante abgerundet ist», so Hirsch.

Kaufmann benötigt sogar 85 Arbeitsschritte – alle von Hand – für ein Band. 380 Farben stehen zur Auswahl und mit Leder gepolsterte Modelle, die atmungsaktiver sind und sich nicht verziehen. Bei preisgünstigen Lederarmbändern können schon einmal Nähte reissen und Zeitungsschnipsel mit chinesischer Schrift herausrieseln.

Von nur zwei Uhren-Manufakturen ist bekannt, dass sie ihre Lederbänder selber herstellen: zum einen Montblanc, deren Sfumato-Kalbslederbänder mit ihrem typischen Farbverlauf in der eigenen Ledermanufaktur in Florenz entstehen, zum anderen Hermès. Die Uhrenarmbänder des französischen Luxuslabels werden in einem eigens dafür eingerichteten Lederatelier in Brügg bei Biel handgefertigt. Verarbeitet werden die gleichen hochwertigen Ziegen-, Kalbs-, Büffel-, Straussen- oder Alligatorleder wie bei der Taschenherstellung in den Pariser Ateliers. Und man wendet auch bei den Armbändern die aufwendige Coupé-franc-Technik für das Veredeln der Kanten an. Gepolstert wird mit Viledon-Vlies.

Noble Zulieferer

Hermès darf als State of the Art beim Bänderdesign bezeichnet werden. Viele lassen sich inspirieren, manche hätten Hermès gern als Zulieferer, nur zwei Uhrenhersteller kommen auch zum Handkuss: Für die Apple Watch liefert Hermès Kalbslederbänder, die in Frankreich produziert werden. Kostenpunkt: 370 bis 530 Franken. Und aus Brügg selbst erhält einzig und allein die noble Uhrenmanufaktur Parmigiani Fleurier Uhrenarmbänder. Der Grund heisst «Pôle Horloger», ein Zusammenschluss von Parmigiani mit einem Zifferblatt- und einem Gehäusehersteller sowie einer Kaliber-Manufaktur, an der Hermès mit 26 Prozent beteiligt ist.

Patek Philippe überrascht immer wieder. Präsident Thierry Stern lobte jüngst in einem Magazin der Pforzheimer Goldschmiede Wellendorff deren Perfektion. Warum? Das deutsche Familienunternehmen stellt die Goldarmbänder für Patek-Philippe-Modelle her. Die Lederbänder liefert Camille Fournet: Die Ledermanufaktur mit Sitz in Paris und in der nordfranzösischen Region Picardie ist maximal renommiert, liefert in 700 verschiedenen Farben und Ausführungen Alligator-, Eidechsen- und Kalbsleder mit Added Value: Camille Fournet zählt zu den Gründungsmitgliedern der Schweizer Association for Quality Assurance of Leather Bracelets Manufacturers, die sich seit 2014 für transparente Lieferketten, die Einhaltung chemischer Vorschriften und die Glaubwürdigkeit von Uhrenarmbändern aus Leder einsetzt. Auch Hirsch ist dort Mitglied. Zudem hält man sich dort wie bei Kaufmann, Hermès und auch Montblanc an die Regeln des Washingtoner Artenschutzabkommens.

Wichtige Nebensache

Wenn sich eine Uhrenmarke ein Alleinstellungsmerkmal erarbeiten will, muss sie mit neuen Ideen punkten. Sind diese zudem sinnvoll und sehen auch noch gut aus, kann daraus ein Boom werden. Das ist französischen Kampftauchern gelungen. Sie fertigten Ende der 1950er Jahren selber Uhrenarmbänder aus elastischen Seilen von Rettungsschirmen für ihre Tauchermodelle von Tudor an. Die Marke machte aus der Notlösung eine Tugend: 2010 lancierte die Manufaktur Modelle mit gestreiften Textilbändern, und ein Hype um bunte NATO-Bänder brach aus. Heute lässt Tudor ihre nahezu unkaputtbaren Bänder der Kollektionen Black Bay und Pelagos in Frankreich auf Jacquard-Webstühlen fertigen. Und zwar bei der Weberei Julien Faure, deren Textilbänder als Haute Couture gelten. Auch Luxusmarken wie Dior, Etro und Gucci ordern hier.

Wer seine Uhr täglich ausführt, sollte spätestens nach einem Jahr das Lederband wechseln. Sagt Hirsch. Das sei wie mit Schuhen: Niemand würde ein Jahr lang dieselben tragen – und barfuss ja schon gar nicht.

Hirsch und Kaufmann raten dringend von Lederfett oder Imprägnierung ab, weil es die Poren verstopft und das Band umso schneller gammelt. Ein Lederband muss atmen können. Es von Zeit zu Zeit feucht abzureiben und dann trocknen zu lassen, ist gemäss Kaufmann die beste Pflege. Für Nicht-Lederbänder rät er, sie regelmässig mit warmem Wasser abzuspülen und dann trockenzureiben. Schweiss bildet ein Säuregemisch, das die Haut reizen kann, und der Mix aus Wasser, Seife, Cremes, Parfums und Desinfektionsmitteln kann mit der Zeit auch das stärkste Band angreifen.

Nur wenige Kunden denken beim Uhrenkauf an Nebenkosten. Sollten sie aber: Ein neues Kautschuk- oder Kalbslederband kostet bei den Uhrenmarken von 300 Franken an aufwärts, eines aus Alligatorleder um die 600 Franken. Die inzwischen gängigen Schnellwechselsysteme – die meisten Marken erfinden ein eigenes – machen den Bandwechsel zwar einfach. Aber man muss ein neues Band dann auch dort kaufen.

Armbänder, die so viel kosten wie ein Paar edle Lederschuhe? Hirsch lächelt. «Die Marken haben eben andere Margen», sagt er, «ihre Produktion ist personalintensiv, ihre Boutiquen befinden sich an teuren 1a-Lagen.» Dennoch: Uhrenbänder sind für sie ein lukratives Nebengeschäft. Nur zum Vergleich: Bei Hirsch kostet ein Kalbslederband ab 100 Franken, eines aus Alligatorleder rund das Doppelte. Auch Kaufmann hält sich bei dieser Frage bedeckt, sagt nur, «über die Preispolitik der Marken äussere ich mich nicht». Er rät aber dringend von Billigbändern ab, der Chemikalien und der Farbe wegen – sie können in die Haut eindringen. Er verkauft handgearbeitete Kalbslederbänder ab 60 und aus Alligatorleder ab 130 Franken. Sonderanfertigungen kosten etwa 70 Franken mehr.

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