WIE KOMMT EIN 16-MILLIONEN-LOHN ZUSTANDE?

Wie kommen eigentlich Löhne zustande? Und warum verdienen Menschen an der Spitze bis zum 160-fachen des firmeninternen Durchschnittslohns? Eine einfache Frage – die aber gar nicht so leicht zu beantworten ist.

Der neue UBS-CEO Sergio Ermotti verdiente in neun Monaten über 14 Millionen Franken. Die Nachricht bewegte vor Kurzem die Gemüter, erntete Unverständnis – und stiess eine neue Debatte über Lohngerechtigkeit an.

Unabhängig von Fairness-Diskussionen wirft das Thema aber eine entscheidende Frage auf: Wieso eigentlich? Respektive: Wie kommen CEO-Löhne wie dieser überhaupt zustande, und wie unterscheidet sich deren Setzung von der «normalen» Lohnsetzung?

Ähnlich schwer, wie es sich gestaltet, eine Professorin oder einen Professor zu diesem Thema zu befragen (erstaunlich viele waren nicht erreichbar, sind bei den gängigen Theorien unsicher, oder scheinen einfach keine Lust zu haben), ist es, diese scheinbar einfache Frage zu beantworten.

Zum Tag der Arbeit trotzdem ein Versuch über die (CEO-)Löhne.

Die Theorie

«Sie finden die Informationen zu gängigen Theorien in jedem Lehrbuch zur Arbeitsmarktökonomie.» Es ist die Antwort einer Professorin auf eine Medienanfrage, ob sie Lohntheorien und anhand dieser das Zustandekommen von extrem hohen CEO-Löhnen erklären könne?

Da im watson-Büro leider gerade keine Lehrbücher herumliegen, hilft zunächst das Internet – sowie die vernebelten Erinnerungen an das VWL-Studium. Also, wie kommen Löhne eigentlich zustande?

Mit dieser Frage beschäftigten sich bereits griechische Universalgelehrte wie Aristoteles. Über die Zeit stellte der Lohn immer mal wieder etwas anderes dar: Für Aristoteles musste er den standesgemässen Unterhalt sicherstellen. Im Zuge der Agrarrevolution glaubte man, der Lohn werde grundsätzlich durch den Getreidepreis bestimmt. Später definierte der Philosoph und Ökonom John Stuart Mill den Lohn als Quotienten aus dem sogenannten Lohnfonds (Kapital) und der Anzahl Angestellter (Lohnfondstheorie).

Die Karl-Marxsche Lohntheorie besagt, dass die Löhne langfristig nie höher sein werden als die Summe, die der Arbeiter zum Leben braucht – weil der Wert von Zusatzstunden stets vom Kapitaleigentümer eingestrichen werde. (Marx unterschätzte aber die Macht der Gewerkschaften, die dadurch möglicherweise und von den Kommunisten unbeabsichtigt den Kapitalismus vor seinem Untergang retteten.)

Heute geht die Geschichte so: Der Lohn ist der Preis der Arbeit, wie für jedes andere Gut stellt er sich als Gleichgewichtspreis am Markt ein. Die Unternehmen entscheiden jeweils für sich, wie viel ihnen die Arbeit wert ist. Umgekehrt entscheidet jeder Arbeitnehmer, jede Arbeitnehmerin, zu welchem Lohn er oder sie bereit ist zu arbeiten. Dieses Grundgerüst wird noch immer an den Universitäten so gelehrt, es baut auf einem simplen, aber sehr weit beachteten Prinzip aus der Feder der sogenannten Neoklassiker auf: dem Prinzip der Grenzproduktivität.

Das Prinzip der Grenzproduktivität besagt vereinfacht gesagt: Eine Unternehmerin stellt zu einem gegebenen Marktlohn zusätzliche Arbeitskräfte ein, solange diese ihr einen zusätzlichen Wert bieten. Das Limit ist erreicht, wenn eine weitere Angestellte mehr kostet, als Nutzen bringt. Der Lohn entspricht damit dem sogenannten Grenzprodukt der Arbeit: Das ist der Wert der zusätzlichen Produktionsmenge, die mit einer zusätzlichen Einheit Arbeitskraft erzielt wird.

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Das Problem

So viel zur Theorie.

Das Problem dabei: Sie funktioniert nur, wenn im Markt optimaler Wettbewerb herrscht. Wenn also vollkommene Markttransparenz herrscht, wenn sich alle gewinnmaximierend verhalten, alle Güter die gleiche Qualität haben und sich alle Marktteilnehmer sofort an Veränderungen anpassen können.

Die Realität ist, versteht sich, weit davon entfernt. Die Grenzproduktivitätstheorie, die heute noch immer an den Unis gelehrt wird, ist in der realen Welt eine Fiktion. Dort beobachten wir zum Beispiel, ...

  • ... dass zwischen den einzelnen Branchen hohe Lohnunterschiede herrschen – trotz teilweise gleich langer Ausbildung der Arbeitskräfte.
  • ... dass die Produktivität stärker steigt als die Reallöhne.
  • ... dass die Unterschiede innerhalb eines Unternehmens riesig sein können: 2022 verdiente der CEO von Roche mehr als das 300-Fache des tiefsten Salärs im gleichen Unternehmen. Bei den zehn grössten Schweizer Unternehmen hat sich das Lohngefälle in den letzten zehn Jahren vergrössert.

Diese Beispiele zeigen: Weder Ausbildung und Erfahrung (Humankapitaltheorie) noch die steigende Produktivität und schon gar nicht das neoklassische Prinzip der Grenzproduktivität können die heutige Lohnsetzung so richtig erklären – insbesondere nicht bei den obersten Lohnklassen.

Aber was erklärt sie denn dann?

Die Erklärungsansätze

«Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten», sagt David Dorn, Professor für Globalisierung und Arbeitsmärkte am UBS-Center der Uni Zürich, im Gespräch. In der Theorie gehe man zwar schon vom kompetitiven Markt aus, «aber anschliessend diskutiert man die Abweichungen davon».

(Manche Leute würden in diesem Zusammenhang von «neoklassischer Theorie» sprechen, er selber halte aber wenig von dieser Bezeichnung, sagt der Ökonomie-Professor: «Sie ist in der Öffentlichkeit sehr negativ konnotiert.»)

Marktmacht: Eine Frage der Verhandlung

Eine Abweichung ist zum Beispiel ein Arbeitsmarkt, in dem ein paar wenige Grossfirmen dominieren, oder, wie Dorn sagt, ein paar wenige Gewerkschaften, die über die Löhne mitentscheiden. «Dann gibt es keine Lohnbestimmung am Markt, sondern eine Verhandlungslösung: Marktmächtige Partner verhandeln über den Lohn.»

CEOs – ein rares Gut?

Gewerkschaften dürften bei Topmanagern grosser Firmen allerdings kaum eine Rolle spielen. «Bei den CEOs geht man davon aus, dass alles fundamental anders funktioniert», sagt denn auch David Dorn.

Erstens könne ein CEO-Posten nur einmal vergeben werden – im Gegensatz zu anderen Jobs, die mehrfach besetzt werden können. Zweitens gebe es unter Umständen nur sehr wenige Leute, welche die Erfahrung, das Netzwerk und die «Werkzeuge» mitbringen, die es für den Spitzenjob braucht.

Zur Person

David Dorn ist Professor am UBS Center for Economics in Society für Globalisierung und Arbeitsmärkte an der Universität Zürich. Professor Dorns Forschung verbindet die Bereiche Arbeitsökonomie, internationaler Handel, Wirtschaftsgeografie, politische Ökonomie und Makroökonomie. Insbesondere untersucht er, wie Globalisierung und technologische Innovation die Ungleichheit auf den Arbeitsmärkten und in der Gesellschaft beeinflussen.

Die Bekanntheit

Fakt ist: Die Grösse des Unternehmens hat einen beträchtlichen Einfluss auf den Lohn seines CEOs. Wächst ein Milliarden-Unternehmen schon nur um ein Prozent im Jahr, kann das einem Verwaltungsrat wert sein, seinen Führungskräften ein Millionengehalt auszuzahlen. Und hier kann deren Bekanntheit in der Branche eine Rolle spielen.

«Stellen Sie sich vor, ein Film möchte seine weibliche Hauptrolle mit Jennifer Lawrence besetzen», sagt David Dorn. Der Film könne alleine durch ihre Verpflichtung ein viel grösseres Publikum anziehen. Die Bekanntheit einer Person – und damit auch das Vertrauen in sie – kann einer Firma also nützlich sein.

Zwar sei es sogar wahrscheinlich, dass es viele weitere (unbekannte) Menschen gäbe, die den Job genauso gut ausüben könnten und dies auch für weniger Geld täten. «Weil es aber um so viel Geld geht und kleine Fehler riesige Auswirkungen haben können, wollen die Unternehmen keine Experimente wagen.»

Zumindest bei der Verpflichtung von Sergio Ermotti bei der UBS, einer Grossbank, bei der Vertrauen eine grosse Rolle spielt, dürfte das einen nicht zu unterschätzenden Einfluss gehabt haben.

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Die Performance

«Man darf aber nicht ausser Acht lassen, dass Jennifer Lawrence auch zu Recht einen guten Ruf hat – weil sie eine bessere Schauspielerin ist als zum Beispiel Paris Hilton», sagt David Dorn. Sind die verpflichteten CEOs also auch tatsächlich besser als andere?

«Das ist eine der ganz kniffligen Fragen», meint David Dorn. Das Problem sei, dass es bei CEOs ungleich schwieriger ist, ihren Einfluss auf die Performance des Unternehmens zu schätzen. Der Grund: Es wird nie möglich sein, das gleiche Unternehmen zeitgleich, aber unter anderer Führung zu beobachten.

Verschiedene empirische Untersuchungen lassen aber erahnen, dass ein Zusammenhang zwischen der Vergütung eines CEOs und der Performance des Unternehmens kaum existiert. So fand eine Studie anhand mehrerer Schweizer Grossunternehmen heraus, dass zwischen den Jahren 2011 und 2016 die kurz- und langfristigen Boni von CEOs gestiegen sind, dass es aber keinerlei Korrelation mit der Börsenperformance oder dem Gewinnwachstum gab.

Die Motivation

Offenbar glauben aber die meisten Verwaltungsräte trotzdem daran, dass ihre CEOs mit finanziellen «Goodies» zu einer besseren Leistung motiviert werden können: Viele CEOs erhalten nämlich einen beträchtlichen Teil ihrer Vergütung in Form von Aktienoptionen oder anderen Anreizen. Diese sind oft an die Performance des Unternehmens geknüpft und sollen sicherstellen, dass die Interessen des CEO mit denen der Aktionäre übereinstimmen.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Ökonomen der London School of Economics (LSE) bestätigt das. Sowohl Verwaltungsratspräsidenten wie auch Aktionäre wurden zu den Gehältern von CEOs befragt. In der Schweiz sowie in anderen europäischen Ländern haben beide einen Einfluss auf die Topsaläre: Präsidenten (respektive ihr Verwaltungsrat) schlagen in der Regel ein Vergütungspaket vor und die Aktionäre stimmen darüber ab («say-on-pay»).

Die Untersuchung zeigt nun unter anderem: Vor allem VR-Präsidenten sind der Ansicht, dass ein niedrigeres Gehaltsniveau die Qualität und Motivation des CEO deutlich verschlechtern würde.

Die Globalisierung und die «Fairness»

Ein weiteres Argument für die hohen Löhne ist die globale Konkurrenz. So suchen Verwaltungsräte ihre CEOs längst nicht mehr nur im Land, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, sondern überall auf der Welt. «In jüngerer Zeit wird deshalb auch viel argumentiert, dass Schweizer Firmen die Lohnkultur aus den USA übernommen haben», sagt Ökonomieprofessor Dorn.

Das bestätigt die Studie aus London: Sucht ein Unternehmen einen neuen CEO, spielen zwar dessen wahrgenommenen Fähigkeiten die grösste Rolle. Aber: Die Vergütung in Konkurrenzbetrieben beeinflusst die Vergütung des neuen CEO ebenfalls stark. Dieser Einfluss ist stärker als jener von alternativen Jobangeboten des CEOs oder die Vergütung an seinem früheren Arbeitsplatz.

Dies sei darauf zurückzuführen, dass der Lohn bei der Konkurrenz das beeinflusst, was der CEO «als fair» ansehe – und weniger auf den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt.

Dasselbe gilt für Gehaltserhöhungen eines CEOs: Eine Mehrzahl von Verwaltungsratspräsidenten ist der Meinung, Erhöhungen seien wichtig, weil Manager Wert auf eine nachträgliche Anerkennung ihrer Leistung legten.

Kaum Grenzen nach oben

Offenbar gehen also jene, die über Managersaläre entscheiden, nach wie vor davon aus, dass mehr Geld auch bessere CEOs zutage fördert.

Müssen wir für eine abschliessende Erklärung die Sache umdrehen und stattdessen fragen: Was hält die Firmen eigentlich davon ab, nicht so viel zu zahlen?

«Wir sehen echte Exzesse in den USA und versuchen, ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem, was als akzeptabel angesehen wird, und dem, was im Rest der Welt gezahlt wird.»

- Novartis-Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt -

So erklärte der Novartis-Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhart den exorbitant hohen Lohn seines CEO Vas Narasimhan. Satte 16,2 Millionen Franken verdiente der Amerikaner 2023. Narasimhan ist damit der bestbezahlte Manager der Schweiz.

Reinhardt sprach an der Generalversammlung der Novartis die einzige Instanz an, welche die hohen Löhne effektiv begrenzen könnte: die Öffentlichkeit, besser gesagt, die Aktionärinnen und Aktionäre. Zwar gibt es in der Schweiz – trotz mehrerer Initiativen – kein Gesetz, das CEO-Gehälter direkt deckeln könnte. Die 2005 vom Stimmvolk angenommene «Abzocker-Initiative» räumt aber dem Aktionariat ein Vetorecht bei Gehältern von Topmanagern und Verwaltungsratsmitgliedern börsennotierter Unternehmen ein. In den USA gibt es dieses sogenannte «say-on-pay» nicht.

Auch deshalb wird die Entlöhnung von CEOs in der Schweiz noch immer stärker beäugt als diejenige in den USA. So sagte der Direktor der Ethos-Stiftung für nachhaltige Anlagen: «Die Aktionäre in den USA stellen die Entschädigung nicht so infrage wie wir in Europa.» Die Ethos-Stiftung und Aktionärsvereinigungen wie Actares haben kürzlich für Wirbel gesorgt, weil sie die hohe Vergütung der Führungsinstanzen zur Ablehnung empfohlen.

Bloss: Genützt hat es nichts, die Löhne und Boni der CEOs von Schweizer Top-Unternehmen werden an Aktionärsversammlungen unbeirrt angenommen.

Wegen der extrem hohen Gewinne der Unternehmen spielt die Wirtschaftlichkeit also kaum eine Rolle für die Höhe der CEO-Vergütung – man kann es sich längst leisten. Die Einzigen, die darum den hohen Salären Einhalt gebieten können – die Aktionärinnen und Aktionäre –, tun es (noch) nicht.

Ob die Gehälter auch fair sind? Das ist eine andere Frage – eine, die die ökonomische Gilde weder beantworten kann noch will.

Wundern tun wir uns aber schon über das Menschenbild an der Spitze von Grossunternehmen. Arbeitsmoral ist käuflich: Das mag ja im Bereich der normalen Löhne zutreffen – wenn wir uns unterbezahlt fühlen, strengen wir uns auch weniger an. Aber welcher Manager leistet weniger, weil er denkt, ihm stehen 6 statt 5 Millionen oder gar 16 statt 15 Millionen zu? Macht ihn das zu einem besseren CEO? Die Realität ist: An der Spitze rekrutieren sich gegenseitig Leute mit denselben Menschenbildern. Zu was dies führen kann, zeigt exemplarisch das Schicksal der Credit Suisse.

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