WARUM SO POLITISCH? WIR MüSSEN äNDERN, WIE WIR üBER 4-TAGE-WOCHEN UND CO. REDEN

Reden wir in der Schweiz über New Work, also neue Formen des Arbeitens, wird die Diskussion sofort politisch. Dabei sollten wir die Wissenschaft einfach in Ruhe dazu forschen und die Unternehmen ihre Wege finden lassen.

Ich stelle mir gerade vor, wie ich vor 50 Jahren meinen Job erledigt hätte. Alleine für diesen Artikel hätte ich mich in ein Archiv begeben müssen. Dann hätte ich mir Notizen gemacht, wäre zurück an meinen Arbeitsplatz und hätte in meine Schreibmaschine getippt. Wäre ein Tippfehler aufgetaucht, wovon ich schwer ausgehe, hätte ich das Blatt entfernen, den Fehler mit Tipp-Ex überstreichen und das Papier wieder einsetzen müssen. (So zumindest stellt man sich das als Gen Y vor.)

In jedem Fall ist klar: Für dieselbe Arbeit hätte ich um ein Vielfaches länger gebraucht als heute. Nicht nur wir Journalistinnen sind deutlich schneller, produktiver geworden – die ganze Arbeitswelt schafft heute in einem Tag, wofür sie vorher Tage, vielleicht Wochen, gebraucht hätte.

Nur: Unserem Arbeitsleben ist das nur bedingt zugutegekommen. Mit der Produktivität sind auch die Anforderungen gestiegen. Die zusätzliche Zeit machen wir oft nicht etwa frei, vielmehr können wir ja jetzt mehr Artikel pro Tag, mehr Mails schreiben und müssen spontaner auf Entwicklungen reagieren. Gleichzeitig ist es schwieriger geworden, sich abzugrenzen. Den Kopf auszuschalten und die Batterien vollladen zu können, wird immer mehr zur Herausforderung.

Aber Herausforderungen existieren auch aufseiten der Unternehmen. Sie müssen ihre Angestellten möglichst halten oder neue Fachkräfte anziehen können – während es immer weniger von ihnen gibt. Zusätzlich werden die Anforderungen von Kundinnen und Kunden nicht gerade geringer: Man möchte keine Wartezeiten, das Produkt soll nicht zu teuer und der Kundendienst immer verfügbar sein.

Kurz: Die Arbeitswelt steht vor gewaltigen Herausforderungen und muss Wege finden, mit diesen klarzukommen. Lösungsansätze dazu bietet alles, was man heute unter New Work zusammenfassen kann: «Die Gesamtheit der modernen und flexiblen Formen der (Büro-)Arbeit bzw. der Arbeitsorganisation», so beschreibt es das Wörterbuch.

Dazu gehört zum Beispiel die 4-Tage-Woche, nach dem 100-80-100-Prinzip: 100 Prozent des Gehalts für 80 Prozent der bisher gearbeiteten Zeit – dafür wird trotzdem 100 Prozent Produktivität erwartet. So wird sie bald in der Schweiz zum ersten Mal mit interessierten Unternehmen grossflächig getestet, zudem hat sich das Zürcher Stadtparlament für einen Pilotversuch mit der 35-Stunden-Woche ausgesprochen. Doch noch bevor die Projekte gestartet sind, wird das Thema kontrovers diskutiert: Für Linke ist es ein Allheilmittel, für die Medien gilt das Thema als «heikel», dank eines «Hypes» finde in puncto Arbeitszeiten gerade ein «Unterbietungswettbewerb» statt.

Kann die Schweiz die 4-Tage-Woche? Dieses Pilotprojekt will es herausfinden

In bürgerlichen Kreisen ist es im Mindesten «keine gute Idee» und im schlimmsten Fall «Gift für den Wirtschaftsstandort Schweiz».

Kürzlich schrieb ein Journalist der «NZZ am Sonntag»:

«Dabei haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weder auf die Gewerkschaften noch auf New-Work-Enthusiasten gewartet. Dank einem flexiblen Arbeitsmarkt können die meisten Menschen bereits heute in ihrem gewünschten Pensum arbeiten. Die Viertagewoche kommt hierzulande zu spät. Die Schweiz hat sie längst eingeführt.»

Abgesehen davon, dass die 4-Tage-Woche in der Schweiz oft nur ungewollt gelebt wird, weil es schlicht an bezahlbaren Betreuungsmöglichkeiten fehlt, verrät das Wording der NZZaS: Die 4-Tage-Woche ist ein Produkt des politischen Gegners und gilt deshalb als unerwünscht.

Wieso so politisch?

Dass die 4-Tage-Woche die Gemüter bewegt, ist verständlich und legitim. Veränderungen sind immer emotional. Nur befindet sich die Arbeitswelt fortwährend im Wandel: Frauen sind in den Arbeitsmarkt eingestiegen, die Teilzeitarbeit nimmt zu, Homeoffice ist erlaubt bis erwünscht. Einst gab es sogar noch die 6-Tage-Woche. Trotzdem wäre bei der Reduktion auf höchstens 5 Tage wohl niemandem in den Sinn gekommen, den folgenden Satz dazu zu äussern: Wenn eine Firma die Arbeitszeit um 20 Prozent reduzieren kann und trotzdem noch gleich produktiv ist, «dann hat sie in der Regel davor ihre Hausaufgaben nicht gemacht». So sagte es Rudolf Minsch, Chefökonom bei Economiesuisse, in Bezug auf eine 4-Tage-Woche.

Ausgerechnet die Wirtschaftsverbände, die stets darauf bestehen, man solle den Unternehmerinnen und Unternehmern in diesem Land zuhören, scheinen die Diskussion am liebsten gleich unterbinden zu wollen. Fast so, als drohe sofort ein Flächenbrand. Minsch sagt auch: «Eine gesetzliche Regelung zur 4-Tage-Woche gilt es um jeden Preis zu verhindern. Sie wäre Gift für den Wirtschaftsstandort Schweiz.»

Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse ignorieren dabei, dass die Schweizer Unternehmen, welche die 4-Tage-Woche schon getestet oder eingeführt haben, dies aus eigener Motivation taten. Nicht, weil die Mitarbeitenden sie dazu gedrängt hätten. Oder gar, weil der Staat sie gezwungen hätte. Sondern aus ökonomischen Gründen. Und diese sind vielfältig: Fachkräfte fehlen, Arbeitnehmende fallen wegen Krankheit oder Burnouts aus, und eine hohe Fluktuationsrate kostet enorm viel Geld. Eine Firma kann den Versuch wagen, auf diese Weise die Mitarbeiter- und die Unternehmensproduktivität zu steigern.

Mit einer 4-Tage-Woche tun die Unternehmen nichts anderes, als ihre Freiheiten im Sinne des Marktes zu nutzen, um mit Anreizen fehlende Fachkräfte anzuziehen – oder Absenzen zu reduzieren.

Lassen wir die Forschenden forschen

Auch wenn es meistens die rechts-bürgerliche Seite ist, die solchen Ideen gerne früher als später den Riegel schieben würde, so ist auch die Linke nicht vor Idealismus gefeit. Denn es ist umgekehrt unangebracht, pauschal zu glauben, eine 4-Tage-Woche – oder generell so wenig zu arbeiten wie nur möglich – sei immer besser. Viele Menschen arbeiten gerne, und hat jemand gar das Glück, dass der Beruf eine Erfüllung darstellt, sollte man das niemandem ausreden wollen.

Und selbstverständlich gibt es neben den Chancen auch zahlreiche Nachteile und Risiken, die eine 4-Tage-Woche mit sich bringen kann: Zumindest kurzfristig kann es oft mehr kosten, fehlende Stellenprozente müssen vielleicht mit teurem Personal im Stundenlohn ersetzt werden. Gesamtwirtschaftlich kann man sich die Frage stellen: Was, wenn es nicht in allen Branchen funktioniert? Werden dann wissensbasierte Branchen noch mehr bevorzugt?

Es ist wie so oft in der Wirtschaft: Es kommt drauf an. Worauf genau – das sollen jetzt Unternehmen und Wissenschaft mit Pilotprojekten herausfinden. Dabei ist es wenig zielführend, diesen zuvorzukommen und potenzielle Ergebnisse schon jetzt entweder als Heilsbringer oder als Schrecken der Zukunft zu verschreien.

Hören wir doch den Unternehmen, den Mitarbeitenden und der Wissenschaft zuerst zu, und legen wir ihnen keine Steine in den Weg. Alles andere ist politische Meinungsmache – in die eine oder die andere Richtung.

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