SBB-CHEF VINCENT DUCROT: «ES MUSS NICHT UNBEDINGT ALLES MIT DER BAHN ERREICHBAR SEIN»

Die SBB wollen bis 2040 klimaneutral werden. Konzernchef Vincent Ducrot erklärt im Interview, wie sie das erreichen möchten und weshalb Züge oft nicht mit dem Individualverkehr mithalten können.

Herr Ducrot, die SBB möchten das klimafreundliche Reisen mit über 200 Massnahmen fördern. Welche fällt ins Gewicht?

Vincent Ducrot:

Wir wollen bis 2040 klimaneutral werden. Ohne Kompensation. Das geht nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Massnahmen wie neuere und effizientere Züge und die komplette Umstellung auf erneuerbare Energie. Aktuell fahren Züge der SBB zu 90 Prozent mit Strom aus Wasserkraft und zu 10 Prozent aus Kernkraft. Das wird sich bereits 2025 ändern.

Die SBB sind verantwortlich für 0,3 Prozent der Schweizer CO₂-Emissionen. Woher kommt das?

Das ist einerseits zurückzuführen auf die Heizungen in den 3500 Gebäuden der SBB. Diese werden bis 2030 mit erneuerbaren Heizquellen wie Wärmepumpen oder Pelletheizungen ersetzt. Dies senkt die Treibhausgasemissionen der SBB markant. Andererseits sorgen unsere mit Diesel betriebenen Rangierlokomotiven, die für den Bau- und Güterverkehr benutzt werden, für CO₂-Emissionen. Auch diese werden wir mit Elektroalternativen ersetzen.

Der Umwelt am meisten dienen würde vermutlich, wenn mehr Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen. Aber im Herbst stimmen wir über einen milliardenschweren Autobahnausbau ab. Gleichzeitig will der Bund bei den SBB sparen. Wie kann das aus Ihrer Sicht zusammenpassen?

Der Bund will nicht sparen bei der Bahn. Das Parlament hat gerade ein 2,5 Milliarden Franken teures Programm verabschiedet. Ich bin überzeugt, dass die Bahn stets ausgebaut wird.

In den Autobahnausbau will der Bund aber sogar 5,3 Milliarden Franken investieren. Ärgert Sie das nicht?

Nein, wir sind froh, dass es eine gewisse Konkurrenz zum Verkehr auf den Strassen gibt. Das zwingt uns, besser zu werden.

Viele Zugstrecken sind zeitlich nicht konkurrenzfähig mit dem Individualverkehr. Bräuchte es einen Ausbau von Hochgeschwindigkeitsstrecken oder sehen Sie es wie das Bundesamt für Verkehr (BAV), das sich auf den Ausbau in den Agglomerationen fokussiert?

In Bezug auf Hochgeschwindigkeit sehe ich es wie das BAV. Uns ist wichtig: Die Bahn muss sich auf lange und mittlere Distanzen für Reisende und Güter fokussieren, beginnend beim internationalen und nationalen Verkehr, und auf Agglomerationen. Hochgeschwindigkeitsstrecken zu bauen, eignet sich nur für Länder mit sehr langen Distanzen. Aber diese sind weder Energie- noch Umwelt-fördernd.

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Vielleicht nicht Umweltschutz-fördernd. Aber es würde Bahnreisen doch attraktiver machen im Vergleich zum Individualverkehr. Immerhin macht Letzterer über ein Drittel der CO₂-Emissionen der Schweiz aus.

Ja, da haben Sie sicher recht. Aber wir werden mit dem Zug niemals für alle Strecken konkurrenzfähig werden. Die Mobilität muss man als Ganzes betrachten und in der Schweiz haben wir einen anderen Fokus.

Welchen?

Heutzutage verlieren Bahnreisende viel Zeit, indem sie auf Anschlusszüge warten. Deshalb müssen wir die Reisekette reduzieren, um Zeit zu gewinnen und die Kapazität auszuschöpfen.

Apropos Reisekette: Kürzlich machten Sie Schlagzeilen, weil Sie infrage stellten, ob Züge noch an kleineren Bahnhöfen halten sollen.

Das präzisiere ich gerne: Ich meine damit, dass der Zug dort halten soll, wo die Bahn im öffentlichen Verkehr am sinnvollsten ist. Viele Haltestellen wären mit andern Verkehrsmitteln sogar besser erschlossen, und trotzdem so, dass man innerhalb von 15 Minuten an einem Bahnhof ist, an dem ebenfalls alle 15 Minuten ein Zug fährt. Das wird zukünftig einfacher möglich sein, wenn wir dereinst etwa automatische Fahrzeuge wie Busse haben. Es muss nicht unbedingt alles mit der Bahn erreichbar sein.

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Zurück zum BAV: Im Sommer tritt der langjährige Direktor Peter Füglistaler ab, der auch schon als grösster Kritiker der SBB bezeichnet wurde. Sind Sie erleichtert?

Nein, wir haben ein normales Verhältnis und wir reden regelmässig miteinander. Er hat seine Positionen, ich habe meine.

Das tönt so, als hätten Sie meistens unterschiedliche Meinungen über die Ausrichtung des ÖVs.

In einigen Dossiers sind wir gleicher Meinung, in anderen nicht.

Im August übernimmt Christa Hostettler als Direktorin. Welche Erwartungen haben Sie an sie?

Wir kennen uns sehr gut und seit vielen Jahren. Sie wird in ihrem Job im Interesse des öffentlichen Verkehrs arbeiten. Das ist das Wichtigste.

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