PARLAMENT VERHINDERT MINDESTLöHNE – UND DIE KANTONE SIND SAUER

Das Parlament hat eine Motion angenommen, die verhindern könnte, dass es in Zukunft weiterhin kantonale Mindestlöhne gibt. Dies verärgert die Kantone. Auch der Bundesrat, der nun mit der Umsetzung der Motion beschäftigt ist, lehnt diese eigentlich ab.

Einen schweizweiten Mindestlohn gibt es nicht. Doch viele Kantone führen örtliche Mindestlöhne ein. Das Parlament hat den Kantonen jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht: National- und Ständerat haben 2022 eine Motion von Mitte-Ständerat Erich Ettlin gutgeheissen. Diese verlangt, dass die Bestimmungen von allgemein verbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen (GAV) zum Mindestlohn anderslautenden Bestimmungen der Kantone vorgehe. Und zwar auch dann, wenn die minimalen Löhne in einem GAV tiefer sind als der kantonale Mindestlohn. Nun, und eineinhalb Jahre nach Annahme der Motion, muss der Bundesrat einen Umsetzungsvorschlag zu dieser Motion machen.

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Das sind die Reaktionen

Doch diese Umsetzung könnte sich als äusserst schwierig gestalten – denn ausser dem Parlament und den Arbeitgeberverbänden sind viele Akteure gegen die Motion. Der Bundesrat etwa hält nicht viel vom Vorstoss. Er fordert das Parlament in der Medienmitteilung zur Vernehmlassungseröffnung auf, die Vorlage nicht anzunehmen. Grund: Ein GAV habe nicht die gleiche demokratische Legitimation wie ein kantonales Gesetz.

Diese Kantone und Städte haben Mindestlöhne

Seit 2011 profitieren die Arbeitnehmenden im Kanton Neuenburg von einer gesetzlichen Regulierung, seit 2013 jene im Jura. 2015 zog das Tessin nach, 2020 Genf, 2021 Basel-Stadt und 2023 die Städte Winterthur und Zürich. Und es geht stetig weiter: Am 1. Mai starteten in den Städten Biel, Schaffhausen und Bern die Unterschriftensammlungen für Mindestlohn-Initiativen. Zudem gibt es sieben weitere Mindestlohn-Initiativen in den Kantonen Solothurn, Basel-Landschaft, Freiburg, Waadt, Tessin, Wallis und in der Stadt Luzern, wie die Gewerkschaft Unia schreibt.

VDK spricht von Verfassungswidrigkeit

Auch die Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz (VDK) lässt in einer Stellungnahme zuhanden des Bundesrats kein gutes Haar an der geplanten Gesetzesänderung, wie watson berichtete: «Nebst dem verfassungswidrigen Eingriff in die Kantonsautonomie und der Verletzung des Legalitätsprinzips mangelt es der vorgesehenen Änderung an Praxistauglichkeit.»

Der Vorstand der Sozialdirektorinnen und -direktoren lehnt die Motion ebenfalls ab und erinnert in seiner Stellungnahme daran, weshalb die Mindestlöhne wichtig seien: Sie dienten der Bekämpfung von Armut und insbesondere des Phänomens der «Working Poor». Personen, die einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen, sollten «ein Einkommen erzielen können, das ihnen würdige Lebensbedingungen garantiert, ohne auf Sozialhilfe angewiesen zu sein».

Viele Kantone gehen ebenfalls auf Barrikade. So hat der «Tages-Anzeiger» 21 kantonale Regierungen gefragt, was sie von den Entscheidungen des Parlaments halten – 20 davon lehnen das Mindestlohnverbot ab. (jub)

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