GIBT ES EINE BIODIVERSITäTS-KRISE ODER NICHT?: BAUERNVERBAND-STUDIE TREIBT FORSCHER AUF DIE BARRIKADEN

Der Bauernverband macht mit einer eigens in Auftrag gegeben Studie Stimmung gegen die Biodiversitäts-Initiative. Nun stellen sich Wissenschaftler dagegen.

Das Fazit fällt – wenig überraschend – genau so aus, wie sich das der Bauernverband gewünscht hat. Es gebe in der Schweiz «keine generelle ‹Biodiversitätskrise›», auch kein Insekten- oder Artensterben, hält der Biologe Marcel Züger in einer Studie fest, die der Verband bei ihm in Auftrag gegeben hat. Verlusten stünden ähnlich grosse Zunahmen gegenüber.

Die Aussage dient dem bürgerlichen Nein-Komitee als Munition im Abstimmungskampf gegen die Biodiversitäts-Initiative. Am 22. September stimmt die Schweiz über die Vorlage ab, die mehr geschützte Gebiete und Geld für die Biodiversitätsförderung verlangt.

Forscher widersprechen

Doch Zügers Einschätzung wird nicht nur von Umweltverbänden, sondern auch von anderen Wissenschaftlern vehement bestritten. Nachdem die «NZZ» jüngst getitelt hat, dass Wissenschaftler den «Pessimismus der Umweltverbände» relativieren würden, wehren sich mehrere Forschungsinstitute. Die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), ein Institut des Bundes, hält fest, dass man den Aussagen der Bauernverbands-Studie klar widerspreche.

WSL-Forscher Niklaus Zimmermann wirft Züger vor, unwissenschaftlich gearbeitet zu haben. Es hätten zwar einzelne Erfolge erreicht werden können, doch von einer Trendwende beim Artensterben könne man aus seiner Sicht nicht sprechen.

Ziele nicht erreicht

Und die Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) stellt auf der Plattform X klar: «Es gibt in der Wissenschaft einen breiten Konsens zum kritischen Zustand der Biodiversität wie auch dazu, was weiter getan werden müsste.» In einer ausführlichen Stellungnahme zur Initiative verweist die SCNAT beispielsweise darauf, dass die vom Bund gesetzten Biodiversitätsziele nicht erreicht wurden. Das Bundesamt für Umwelt hielt in einem Bericht vergangenes Jahr in Bezug auf die Artenvielfalt fest, dass sich die Gefährdungssituation in der Schweiz insgesamt nicht verbessert habe.

Aus Sicht der Professoren Florian Altermatt, Loïc Pellissier und Maria Santos von der Uni und der ETH Zürich reicht es nicht, die Qualität der bestehenden Schutzflächen zu verbessern, wie das der Biologe Züger in seiner Studie schreibt. Sondern es brauche mehr Flächen. Nun müssten rasch politische Entscheide getroffen werden, fordern sie in einem Meinungsbeitrag auf der Website von SCNAT. Und sprechen sich für die Biodiversitäts-Initiative aus.

Auch der Bundesrat sprach in der Botschaft zur Biodiversitäts-Initiative von einem «besorgniserregenden Zustand der Artenvielfalt». Er hatte sich darum für einen Gegenvorschlag zur Initiative starkgemacht, der im Parlament allerdings gescheitert ist.

«Es wären schon viele Flächen da»

Marcel Züger weist den Vorwurf von sich, unwissenschaftlich gearbeitet zu haben. Er wirft der SCNAT umgekehrt vor, selbst Politik zu machen. «Wissenschaft hat den Auftrag, Informationen zuhanden Öffentlichkeit und Politik zu erarbeiten, aber nicht selber politische Parolen zu verfassen.» Der Biologe, der heute ein Beratungsunternehmen führt und auch praktisch in der Landschaftspflege tätig ist, war einst Aargauer SP-Grossrat und für Pro Natura tätig. Inzwischen ist die Naturschutzorganisation nicht mehr sonderlich gut auf Züger zu sprechen, weil er sich öffentlich für den Abschuss von Wölfen ausgesprochen hat.

Er habe schon immer seine Meinung vertreten, auch wenn er damit aneckte, sagt Züger. Er sehe, dass viele bestehende Schutzgebiete nicht richtig gepflegt würden. Das Potenzial werde bei weitem nicht ausgeschöpft. «Statt immer neue Flächen zu schützen, sollen zuerst mal die bestehenden gescheit gepflegt werden.» Zudem müsse man anerkennen, was in den letzten Jahren in Sachen Biodiversitätsförderung alles erreicht wurde.

Die Fortschritte sieht auch Lukas Berger, Leiter des Forums Biodiversität bei der SCNAT. «Wir können stolz sein auf die positive Entwicklung in den letzten Jahren», sagt er in der «NZZ». Dennoch bestehe aus seiner Sicht Handlungsbedarf. Nur so sei aus Sicht der Expertenorganisation die Trendwende möglich.

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