«WOKE»-WELLE VORBEI? GROSSE FIRMEN LöSEN DIVERSITY-TEAMS AUF

Viele Firmen haben es übertrieben mit Regenbogen in den Logos und Sexismusvorwürfen, sagt der Marketingexperte. Auch Schweizer Unternehmen denken nun um.

Microsoft, Google, der Facebook-Mutterkonzern Meta und einige weitere der wertvollsten Firmen haben eines gemeinsam: Sie haben seit kurzem ihre Ausgaben für Diversität gekürzt und die Teams für Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration zusammengeschrumpft.

Microsoft begründet den Schritt mit veränderten Geschäftsanforderungen. Der Fokus auf Vielfalt und Inklusion bleibe trotzdem unerschütterlich. Doch ein Microsoft-Teamleiter kritisiert in einer internen Mail, das «Business Insider» vorliegt, dass Diversität offenbar nicht mehr so geschäftsrelevant oder schlau sei wie im Jahr 2020. Damals gab es zahlreiche Proteste nach dem Tod des Polizistenopfers George Floyd.

«Die Leute wachen auf»

Microsoft sagt auf Anfrage von 20 Minuten, dass nur zwei Positionen in einem Team betroffen seien, das überschneidende Aufgaben mit dem Diversity-Team habe. Doch die Tech-Grössen sind nicht die einzigen: Zoom, der Traktorhersteller John Deere, der TV-Sender «CNN» und viele weitere sparen nun plötzlich beim Thema Diversity. Auch die Harvard-Universität gibt an, bei der Verpflichtung neuer Professoren künftig auf die Berücksichtigung von Diversity-Kriterien verzichten zu wollen.

Konservative Kreise jubeln: «Die Leute wachen endlich auf und der Albtraum hört auf», sagt der Tiktoker Mario Zelaya.

Die deutsche Partei AfD ruft deutsche Unternehmen dazu auf, dem Beispiel der US-Firmen zu folgen. In der Schweiz wollen die Unternehmen offiziell nichts davon wissen, wie eine Anfrage bei Dutzenden Firmen zeigt. So hätten etwa SBB, Post, Swisscom, UBS, Nestlé, Novartis und Roche keine Überlegungen, ihre Diversity-Teams aufzulösen.

Star-Werber und Marketingexperte Frank Bodin weiss aber von einigen Firmenchefs in der Schweiz, die ebenfalls umdenken. Er könne die Entscheidung nachvollziehen. «Ein gewisses Mass an Diversity ist ohne Zweifel gut, aber viele Firmen haben es übertrieben mit Regenbogen in den Logos. In unserer Gesellschaft sollte Gleichberechtigung selbstverständlich sein, da muss man nicht dauernd damit werben», so Bodin.

«Das Pendel schlägt zurück»

Zumal auch die Wirtschaftslage nicht mehr so gut sei, dass es sich Unternehmen leisten könnten, aus Image-Gründen Geld in Diversity-Programme zu stecken. «Die Performance der Teams wird wieder genauer angeschaut, denn in erster Linie muss eine Firma profitabel sein und die Arbeitsplätze sichern», sagt Bodin.

Auch Wirtschaftspsychologe Christian Fichter sagt, dass das Pendel zurückschlägt. «Diversität wurde zur Religion überhöht. Mitarbeiter wurden belehrt, sie seien Sexisten, weil sie nicht gendern», so Fichter.

Keine Firma könne sich Diskriminierung leisten, aber die Leute hätten mittlerweile sogar Angst, Begriffe wie Indianer oder schwarze Menschen zu sagen. Das führe dazu, dass sich die Menschen nicht mehr verstanden fühlen und Parteien wie die AfD in Deutschland wählen.

Zudem seien Studien widerlegt, die einen Zusammenhang zwischen mehr Diversität und Unternehmenserfolg aufzeigen. «Diversity-Teams richten Schaden an, wenn sie sich als Hüter der Moral aufspielen oder wenn sie direkt oder indirekt die besten Leute für bestimmte Positionen ausschliessen, weil es keine Minderheiten sind.»

Dass sich gegen den Diversitäts-Trend Widerstand regt, zeigt sich auch an Disney. Der Medienkonzern verliert unablässig Zuschauer, seit die Film- und Streaming-Produktionen des Unternehmens einen penetrant moralisierenden Einschlag haben, wie die «NZZ» schreibt. «Die Wokeness ist am Ende», heisst es in dem Artikel.

Manche schadeten der Diversity-Industrie auch mit ihrer Habgier. So wurde neulich bekannt, dass die ehemalige Diversity-Beauftragte von Facebook und Nike über fünf Millionen Dollar veruntreute, um sich im Windschatten aktivistischer Unternehmenspolitik ein Luxusleben zu gönnen.

«Vielfalt ist nicht mehr salonfähig»

Roman Heggli, Geschäftsleiter der schweizerischen Schwulenorganisation Pink Cross, zeigt sich auf Anfrage nicht überrascht über den Trend. Das gesellschaftliche Klima habe sich verschlechtert. Es sei nicht mehr salonfähig, sich für Vielfalt einzusetzen. «Das erleben wir an mehr Feindlichkeit, an Angriffen auf der Strasse, aber auch in politischen Debatten», sagt Heggli.

Er sei ernüchtert von den Firmen, die aus Angst vor rechten Stimmen und Parteien einknicken würden. «Jetzt wo es drauf ankommt, lassen sie uns im Regen stehen.» Nun zeige sich, welche Firmen es ernst meinten mit ihrem Einsatz für die LGBTQ+-Menschen und welche nur gut dastehen wollten und Pinkwashing betrieben hätten.

«Unternehmen sollten Vorbilder sein»

Auch Greg Zwygart von der queeren Zeitschrift «Mannschaft Magazin» findet die Entscheidung von Microsoft nicht nachvollziehbar, wie er auf Anfrage sagt. Die Diskussionen rund um Nemo beim Eurovision Song Contest hätten gezeigt, dass auch heute noch ein Bekenntnis zur Vielfalt in der Gesellschaft nötig sei. «Hier sollten Unternehmen eine Vorbildrolle einnehmen», sagt Zwygart.

Karin Gilland Lutz von der Abteilung Gleichstellung und Diversität der Uni Zürich sagt: «Die Probleme mit Diversity sind noch nicht gelöst und Firmen wie Microsoft haben noch nicht gesagt, wie sie ihren diesbezüglichen Verpflichtungen nach dieser Entscheidung nachkommen wollen. Das ist wie in einigen US-Bundesstaaten, in denen die Politik den Universitäten die Diversity-Programme sogar verbietet.»

Viele Diversitätsprogramme scheitern

Jamie Gloor vom Kompetenzzentrum für Diversität und Inklusion an der HSG warnt vor voreiligen Schlüssen. Sie verweist darauf, dass Microsoft und andere Tech-Unternehmen in letzter Zeit Tausende Mitarbeitende entliessen, die nichts mit Diversität zu tun hatten. Ausserdem könne es von Nutzen sein, dass die Firma nun laut eigener Aussage Diversität im ganzen Unternehmen verankern wolle.

Doch es sei bekannt, dass viele Diversitätsprogramme scheiterten, weil sie nicht auf wissenschaftlicher Erkenntnis basieren. Weil sie sich nicht beweisen liessen, seien sie unwirksam.

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