SCHWEIZER CANNABIS-FARMER HOFFEN AUF BERAUSCHENDE GESCHäFTE

Schweizer Firmen rüsten in der Produktion von Cannabis auf. Neue ­Gesetze in Deutschland und anderen Ländern öffnen einen riesigen, zuvor illegalen Markt.

Einst ratterten hier die Anlagen des Industriekonzerns Von Roll. Nun durchdringt ein süsslicher Duft das ehemalige Fabrikareal in Breitenbach SO. Statt des ohrenbetäubenden Lärms von Maschinen ist nur das leise Surren der Klimageräte zu hören. Diese sind wichtig, denn es geht darum, empfindliche Pflänzchen zu hegen. In den Hallen steht die grösste Indoor-Cannabis-Kultivierung Europas. Das Schweizer Unternehmen Marry Jane baut auf 15'000 m2 Hanfpflanzen an. Bislang fehlte diesen die berauschend wirkende Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) weitgehend. Doch das ändert sich gerade: Europäische Länder lockern ihre Gesetze für den Konsum von Cannabis sowie für dessen medizinische Anwendung. Es öffnet sich ein Milliardenmarkt. Verschiedene Schweizer Firmen hoffen auf berauschende Gewinne.

2017 gegründet, gilt Marry Jane bereits als etabliertes Unternehmen in der Branche. Die Gründer, die Brüder Afrim und Kujtim Saliu, wählten den Firmennamen, weil er auf das in der Szene seit Langem geläufige Codewort für Marihuana Bezug nimmt. Bislang fokussierte man sich auf die Produktion von sogenanntem CBD-Cannabis und gehört dort zu den führenden Anbietern Europas. Diese Pflanzen enthalten zwar Cannabidiol (CBD), aber nur einen sehr geringen THC-Anteil. Wegen der fehlenden psychoaktiven Wirkung sind CBD-Produkte in vielen Staaten schon länger legal. Die Schweiz war dabei Vorreiterin und ermöglichte es Firmen dadurch schon früh, Erfahrungen in der industriellen Kultivierung der Pflanzen zu sammeln. Nun sorgt ein anderes Land für Aufbruchstimmung in der Branche: Deutschland hat im April Cannabis von der Liste der Betäubungsmittel gestrichen. Ärztinnen und Ärzte können medizinisches THC-Cannabis als herkömmliches Arzneimittel verschreiben – ganz unkompliziert via elektronisches Rezept. Das hat laut Rico Üslük, CEO von Marry Jane, Auswirkungen auf die Nachfrage: «Der Medizinal-Cannabis-Markt in Deutschland boomt seit April.»

Freizeitdroge vom Arzt

Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich nicht nur Patienten mit Erkrankungen, sondern auch Konsumenten unter einem Vorwand Cannabis verschreiben lassen und es als Freizeitdroge konsumieren. Die Hersteller profitieren so oder so. Der deutsche Markt bietet viel Potenzial. Bei Marry Jane hat man sich darauf vorbereitet. Den aufwendigen Prozess des Bewilligungsverfahrens für die Herstellung von Medizinal-Cannabis hat das Unternehmen bereits hinter sich, im Juni konnten die ersten THC-Pflanzen für medizinische Anwendungen geerntet werden. Im Spätsommer steht das amtlich bewilligte Marihuana aus solothurnischer Herstellung in den Arzneischränken deutscher Apotheken.

Dafür musste man in der Produktion aufrüsten. Die berauschend wirkenden Pflanzen werden strikt von den CBD-Gewächsen getrennt. Die installierte Videoüberwachung sorgt für eine lückenlose Kontrolle, und nur einem engen Kreis von Mitarbeitenden ist der Umgang mit den neu eingeführten Züchtungen erlaubt.

Ansonsten unterscheidet sich die Aufzucht der verschiedenen Pflanzen nicht: Das Know-how aus der CBD-Produktion kommt voll zum Tragen. 

Marry Jane rechnet insgesamt mit hohen Wachstumsraten. «Unser Plan ist es, unseren Umsatz in den kommenden Jahren jeweils zu verdoppeln», sagt Üslük. Der Standort Breitenbach bietet Platz für eine rasche Expansion. Die voraussichtliche Produktionsmenge beträgt für das laufende Jahr 21 Tonnen. Es gibt die Möglichkeit, auf dem bestehenden Areal das Volumen auf über 50 Tonnen zu steigern.

Ideale Bedingungen 

Gemeinsam mit seinem Produktionschef Taylor Carr führt Üslük durch die Produktion. Das ist schweisstreibend. Je nach Raum erreicht die Temperatur bis zu 28 Grad. Die Klimageräte sorgen zudem für eine Luftfeuchtigkeit von gegen 75 Prozent, um ideale Bedingungen für die Hanfpflanzen zu schaffen. Je nach Wachstumsstadium kommt künstliches Licht unterschiedlich lange zum Einsatz, um die Jahreszeiten Sommer und Herbst zu imitieren. Die Indoor-Produktion läuft effizienter als in der Natur. Rund 80 Ernten pro Jahr sind möglich. Der Anbau ist allerdings energieintensiv. Genau das macht den Standort Schweiz für die Cannabis-Zucht attraktiv: Die Stromkosten liegen deutlich tiefer als in anderen europäischen Ländern.

Wegen des grossen Potenzials und der höheren Margen ist der THC-Anbau für die Branche interessanter als die Produktion von CBD. «Wenn man es schafft, Cannabis mit einem sehr runden Aroma und einem hohen THC-Gehalt zu entwickeln, dann kann man dieses preislich höher anbieten», sagt Rico Üslük.

In den kommenden Jahren gilt es, erst einmal die Möglichkeiten im Medizinalbereich abzuschöpfen. Laut Prognosen des Beratungsunternehmens Prohibition Partners wird sich der Umsatz mit medizinischem Cannabis in Europa bis 2028 auf knapp zwei Milliarden Euro mehr als verdoppeln. Deutschland gilt als wichtigster Wachstumstreiber. Spanien und Frankreich wollen den Zugang zu medizinischem Cannabis im kommenden Jahr erleichtern. Die Schweiz hat diesen Schritt bereits 2022 vollzogen. Allerdings gibt es hierzulande noch verhältnismässig wenige Ärzte, die sich mit den medizinischen Anwendungen von Cannabis auskennen. An das Geschäft mit Medizinal-Cannabis glaubt Philip Morris. Im letzten Jahr übernahm der Tabakkonzern Syqe Medical, einen israelischen Hersteller von Cannabis-Inhalatoren, für 650 Millionen Dollar. 

Doch mittelfristig schielt die Branche auf den Freizeitkonsum: die erwachsene Kundschaft, die Cannabis wegen seiner berauschenden Wirkung rauchen will. Länder wie die Schweiz, Deutschland und die Niederlande öffnen den Konsum für Genusszwecke langsam. Auch Tschechien soll bald folgen. Dabei gelten unterschiedliche Regeln. In den Niederlanden beispielsweise ist der Verkauf von Marihuana in kleinen Mengen schon lange erlaubt. Der Anbau war allerdings bis vor Kurzem verboten, womit die als Touristenattraktion geltenden Coffeeshops auf illegale Zulieferer angewiesen waren.

Die bisherigen Schritte hin zur Öffnung in Europa sind Pilotprojekte. Doch die Branche ist überzeugt: Das ist erst der Anfang. «Der legalisierte Freizeitkonsum ist auf mittlere Sicht ein Multimilliarden-Geschäft», sagt Rico Üslük. Marry Jane hat sich denn auch klar als Konsumgüterunternehmen positioniert und im vergangenen Jahr das Management entsprechend aufgestellt. Üslük, der seit 2023 an der Unternehmensspitze steht, hatte acht Jahre in verschiedenen führenden Funktionen bei Coca-Cola gearbeitet und war später Leiter DACH bei Logitech. Zum Management gehört seit 2023 auch Hendrik de Jong, der vom US-Multi Mars kam. Die Konsumgüterprofis verpassten dem Unternehmen ein neues Logo, das mehr Seriosität ausstrahlt. Statt einer Frau mit rückenfreiem Kleid dient nun ein unverfänglicher Schriftzug als Markenzeichen.

Hauptaktionär von Marry Jane mit einem Anteil von 75 Prozent ist mittlerweile die Investmentfirma Essence Investment. Henricus Stander, Verwaltungsrat des Investors und Präsident von Marry Jane, strotzt vor Zuversicht. Es gebe kaum eine andere Industrie, die ein derart grosses Wachstumspotenzial aufweise wie die Cannabis-Branche. «Laut Schätzungen soll der Freizeitkonsum von THC-Cannabis in den nächsten 10 bis 15 Jahren in Europa ein Volumen von 60 Milliarden Euro erreichen», sagt Stander. Um diesen Markt zu erobern, gelten die gleichen Erfolgsrezepte, wie sie die Hersteller von Schokolade oder Süssgetränken anwenden. «Wir machen das wie andere Unternehmen aus der Konsumgüterindustrie: Wir bauen eine starke Marke auf und bringen je nach Land das passende Produkt auf den Markt, das die Kundschaft überzeugt.»

Anders als bei herkömmlichen Unternehmen wird sich wohl das Wettbewerbsumfeld gestalten. Marktbeobachter rechnen damit, dass Organisationen, die bisher den Schwarzmarkt bedient haben, versuchen werden, im legalen Bereich mitzumischen, sobald sich das für sie lohnt. Künftig dürften die Umsätze mit dem legalen Kiffen in Europa noch deutlich unter denen von medizinischen Anwendungen liegen. Die Marktforscher von Prohibition Partners erwarten bis 2028 branchenweite Einnahmen von knapp 600 Millionen Euro. Investor Henricus Stander will diesen Markt von der Schweiz aus bearbeiten. Die Schweiz verfolge einen pragmatischen Ansatz beim Umgang mit Cannabis. Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien klar und nachvollziehbar. «Der Standort ist daher für uns ideal, um von hier aus die Expansion voranzutreiben.»

Es muss Bio sein

Essence Investment hält weitere Beteiligungen in der Schweiz und expandiert im Ausland. In den Niederlanden haben die Bauarbeiten für eine THC-Cannabis-Produktionsanlage begonnen. In der Schweiz investiert die Gesellschaft mit ihrer Beteiligung am Unternehmen Swiss Extract in ein 40'000 m2 grosses Gewächshaus für THC-Cannabis, das bald eröffnet werden soll. Swiss Extract gehört zu den Lieferanten der Schweizer Pilotprojekte für den kontrollierten Cannabis-Konsum. Die Auflage der Behörden: Es kommt nur Schweizer Bio-Qualität in die Tüte.

Bisher führen acht Städte und Kantone solche Pilotversuche durch, die als Studien angelegt sind. Die Kundschaft, die sich für die Teilnahme unter bestimmten Voraussetzungen registrieren konnte, kauft ihr Marihuana in Apotheken oder in Cannabis Social Clubs. In diesen als Vereinen organisierten Clubs dürfen Teilnehmende der Studie Gras kaufen und auch vor Ort rauchen.

Der Vorteil für die Konsumentinnen und Konsumenten: Sie erhalten Bio-Ware mit klaren Angaben über den THC-Gehalt und gehen nicht das Risiko ein, verunreinigte Produkte zu kaufen, wie das auf dem Schwarzmarkt der Fall ist. Der Bund wiederum will Konzepte ausloten, die Alternativen zum Cannabis-Verbot aufzeigen, welche die sozialen und gesundheitlichen Kosten des Konsums der Droge möglichst niedrig halten. Die Studien sollen Erkenntnisse zu Gesundheitsrisiken, Gewohnheiten und problematischem Konsum bringen.

Zu den Lieferanten für die Schweizer Projekte gehört die Schweizer Firma Pure Production. Schon lange versorgt das Unternehmen Coop, Denner und Valora mit CBD-Produkten. Seit vergangenem Jahr liefert Pure auch berauschendes Cannabis aus. Für die Stadt Basel beispielsweise gibt es Haschisch und Blüten in acht verschiedenen Varianten in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen und Stärken in bunter Verpackung. Grapefruit Haze mit 16 Prozent THC hat laut Produktbeschrieb «einen frisch-süssen Geschmack, der lange im Mund bleibt». Das im THC-Gehalt etwas schwächere Produkt Lemon Diesel bietet einen «einzigartigen, zitronigen Charakter». Andere Städte wie Zürich setzen auf mehr Zurückhaltung bei der Aufmachung der Produkte. Die Kundschaft soll durch designte Verpackungen auf keinen Fall zum gesundheitsschädigenden Konsum animiert werden.

Milliarden an Steuern

Pure hat mit Puregene, die sich mit der Genetik der Hanfpflanze beschäftigt, noch ein weiteres Standbein. Gezielte Züchtungen verbessern die Merkmale der Hanfpflanzen: So steuert das Unternehmen unter anderem den THC-Gehalt, optimiert Aromen und definiert Geschmacksrichtungen. «Die Möglichkeiten für Puregene auf internationalen Märkten sind enorm», sagt Unternehmenssprecher Renato Auer.

Investitionen im Anbau von THC-Cannabis für die in verschiedenen Ländern startenden Projekte und Studien sind für die Branche nicht ohne Risiko. Die Behörden könnten zum Schluss kommen, dass die Legalisierung der falsche Weg sei, und die Schritte hin zur kontrollierten Marktöffnung rückgängig machen. Auch bei einem Machtwechsel besteht die Möglichkeit, dass die Politik den optimistischen Wachstumsprognosen einen Strich durch die Rechnung macht. An kritischen Stimmen zur Legalisierung mangelt es nicht. In Deutschland hat der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, davor gewarnt, dass die Freigabe einer Droge, die abhängig macht und bei jungen Erwachsenen zu schweren Entwicklungsschäden führen kann, diese verharmlose.

In Kanada und einigen Staaten der USA ist der Freizeitmarkt bereits ein Milliardengeschäft. Ein wesentlicher Vorteil aus staatlicher Perspektive hatte beim Entscheid für offene Märkte erheblichen Einfluss. Steuern auf Cannabis bringen dem Fiskus Milliardeneinnahmen, die bei einem vorherrschenden Schwarzmarkt fehlen. Allerdings hängt es stark von den Rahmenbedingungen ab, wie erfolgreich die Legalisierung verläuft. Als wenig nachahmenswert gilt die Praxis in Kalifornien. Wegen der sehr hohen Steuern auf legalem Marihuana blüht dort der Schwarzmarkt weiterhin mit allen negativen Begleiterscheinungen wie der Gewalt zwischen rivalisierenden kriminellen Organisationen. In Kanada dagegen konnte man mit einem moderaten Steuersatz den Schwarzhandel deutlich reduzieren. Generell analysieren die Verantwortlichen der Länder, die mit der Legalisierung Neuland betreten, was andernorts schieflief. Es gilt, die Fehler anderer Staaten zu vermeiden.

An eine erfolgreiche, kontrollierte Legalisierung glaubt Luc Richner. Er ist in einem anderen Bereich als der Kultivierung im Cannabis-Geschäft. Als Gründer und Chef des Schweizer IT-Start-ups Cannavigia hat er sich darauf spezialisiert, die Lieferkette von Cannabis mit der Software seines Unternehmens zu kontrollieren: von den Stecklingen der Hanfpflanze bis zum fertigen Marihuana. «Das Ziel ist es, für Konsumenten, die sich bisher im Schwarzmarkt eingedeckt haben, den kontrollierten Konsum von transparenten und damit qualitätsgesicherten Cannabis-Produkten zu ermöglichen», sagt Richner. In der Schweiz gehört das Bundesamt für Gesundheit zum Kundenstamm. Die Behörde verwendet die Software im Rahmen der Pilotprojekte.

Goldgrube Schwarzmarkt

Hauptgeschäft von Cannavigia ist die Überwachung der Lieferkette von Medizinal-Cannabis. «Dort spürten wir die Lockerung der Vorschriften in Deutschland sehr deutlich in unseren Zahlen», sagt Richner. In diesem Segment hat er Kunden aus 15 Ländern. «Im Bereich des Freizeitkonsums wächst unser Markt ebenfalls», so der Unternehmer. Für Social Clubs in Deutschland hat das Unternehmen jüngst eine abgespeckte Version der Software lanciert. Dabei handelt es sich um Vereinigungen, die gemeinsam Hanfplantagen betreiben dürfen.

Firmen, die auf das Wachstum des legalen THC-Cannabis-Marktes in Europa setzen, müssen mit einer beschränkten Planungssicherheit klarkommen. Dennoch hat das Business einen besonderen Reiz. Im Gegensatz zu anderen Branchen besteht für Cannabis-Firmen kein Bedarf, eine Nachfrage für ihre Produkte zu erzeugen oder den Konsum zu fördern. Es ist bereits ein riesiger Schwarzmarkt vorhanden, wo sich die Unternehmen bedienen können.

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