PRäSIDENT ROMEO LACHER BLEIBT IM AMT – IST DAS GUT FüR JULIUS BäR?

Die Chefsuche ist ­gelöst, aber ein altes Problem bleibt: ­Präsident Romeo Lacher fehlt es an Leader-Eigenschaften.

Es ging lange, sehr lange. Doch am 23. Juli konnte Bär-Präsident Romeo Lacher endlich den lange erwarteten CEO präsentieren: Stefan Bollinger, derzeit noch Co-Chef des Vermögensverwaltungsgeschäfts für die Regionen Europa, Mittlerer Osten und Afrika bei Goldman Sachs, wird spätestens am 1. Februar des kommenden Jahres das Ruder bei der Bank übernehmen.

Seit dem Rücktritt von Philipp Rickenbacher Ende Januar infolge des Benko-Skandals hatte die Bank nach einem neuen CEO gesucht. Der neue Chef ist einer, den niemand auf dem Radar hatte, obwohl er eine eindrückliche Karriere hinter sich hat: Seit 2004 ist er bei Goldman Sachs, davon 14 Jahre als Partner. Der 1974 geborene Schweizer wuchs in der Nähe von Winterthur auf, machte eine KV-Lehre, liess sich zum Finanzanalysten ausbilden und ging zur Zürcher Kantonalbank (ZKB), wo er unter anderem als Händler tätig war. Danach folgten Einsätze unter anderem für J.P. Morgan in London. Anschliessend gings zu Goldman Sachs, wo er 36-jährig Partner wurde und heute auch Mitglied des European Management Committee ist. Seinen Bereich hat er erfolgreich geleitet, konnte er doch die verwalteten Vermögen in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppeln. Leute, die ihn kennen, beschreiben ihn als zugänglichen Typ, mit breitem Zürcher Dialekt, und als sehr sportliche Erscheinung. Er ist verheiratet, seine griechischstämmige Frau hat er in London kennengelernt, das Paar hat zwei Kinder. Er bewohnt im Nobelviertel Notting Hill ein mehrstöckiges Townhouse, ist sehr interessiert an Architektur und waltet unter anderem auch als Vorsitzender des Stiftungsrats der angesehenen London School of Architecture.

Dass es so lange gedauert hat, einen neuen Chef zu bestimmen, liegt auch an Präsident Lacher, der dafür bekannt ist, gerne alles ganz genau zu nehmen. Diesmal vielleicht auch mit einer Prise Überkompensation: Bei den Benko-Krediten hat Lacher mögliche Risiken zu lasch behandelt, bei der CEO-Suche wollte er es wohl besonders gut machen. Aus dem Umfeld des Verwaltungsrats verlautet, ein Grund für den langen Suchprozess sei auch gewesen, dass es sehr viele Interessenten für den Job gegeben habe. Jeder Einzelne wurde akkurat angeschaut, wochenlang die Dossiers gewälzt, die Headhunter Egon Zehnder einspeiste, fast wie mit einer «fear of missing out».

Keine CEO-Erfahrung

Ob der jetzt gewählte neue CEO trotz seiner eindrücklichen Karriere für Bär wirklich passt, stellen dennoch einzelne Bankkenner infrage. So hat Bollinger nie ein Unternehmen geleitet, war zwar Chef einer Region, musste aber noch nie für eine gesamte Firma eine Strategie entwickeln. Er hat zwar Erfahrung im Kerngeschäft von Bär, der Betreuung vermögender Privatkunden, doch die Klientel bei Goldman Sachs ist eine andere: Das durchschnittlich investierte Vermögen ultrareicher Privatkunden liegt dort bei 60 Millionen Dollar – solche Kunden sind tendenziell eher Unternehmer, die auch andere Dienstleistungen nachfragen, etwa ein Investmentbanking, wo Goldman Sachs stark und wo Bär – bewusst – nicht tätig ist.

Doch nicht nur für die grossen Linien braucht der neue CEO einen starken Präsidenten als Sparringspartner, auch für die Bank ist ein Gegengewicht gut, ist Julius Bär doch dafür bekannt, dass die CEOs ihre Macht gerne ausweiten, wie etwa das Beispiel von Boris Collardi zeigt.

Will Bär langfristig gut performen, braucht es neben dem CEO auch auf dem Präsidentensessel eine echte Leaderfigur. Und genau das ist Lacher nicht.

BILANZ hat für diesen Artikel unter anderem auch mit rund einem halben Dutzend Personen gesprochen, die lange mit Lacher zusammengearbeitet haben oder immer noch zusammenarbeiten. Auf die Frage, wie sie ihn erlebt hätten, kam als häufigste Antwort: «Er kam immer gut vorbereitet an die Sitzung, hatte alle Unterlagen gelesen.» Als Kollege sei er angenehm, kein Schwätzer, sehr geerdet, ein Mann, der zu seinem Wort steht und Abmachungen einhält, aber auch einer, «der vor lauter Fokussierung auf die Details oft das grosse Bild nicht gesehen hat», wie es ein Kollege aus Lachers CS-Zeit formuliert. Ein Visionär sei er nicht, heisst es bei der CS wie bei Bär, er wird eher als Bürokrat geschildert, dem Abläufe wichtig sind.

Mitverantwortlich

Das Tragische ist, dass genau dieser Mann der Details, dieser Mann der Regeln, im Fall des Skandals um René Benko im Nachhinein Probleme bei internen Abläufen eingestehen musste. Wir haben Lacher gefragt, was er aus dem ganzen Schlamassel gelernt hat. «Dass man als neue Person am Anfang eine kritische Sicht haben muss auf das, was man antrifft – obwohl es gut läuft.»

Dass das Set-up, das er nach seinem Antritt als Präsident im Jahr 2019 antraf, in vielerlei Hinsicht nicht stimmte, etwa auf Managementebene, habe der gute Geschäftsverlauf lange verdeckt, so Lacher. Als Beispiel für fehlerhafte Strukturen nennt er etwa die Tatsache, dass die Vergabe riskanter Kredite nicht beim Chief Risk Officer, sondern beim Finanzchef angesiedelt war. Erst die Kredite an Benko hätten diese Schwachstelle offenbart. Zu einem hohen Preis: Die Bank musste rund 600 Millionen Franken abschreiben.

Problematisch bei der Sache: Lacher ist auch direkt in der Verantwortung. Denn die problematischen Kredite gelangten nach der Sichtung durch den Finanzchef und den Risikoausschuss der Geschäftsleitung als letzte Stufe auch in den Risikoausschuss des Verwaltungsrats. Dort war der Präsident höchstpersönlich Mitglied. Die Leitung des Ausschusses unterstand dem Briten David Nicol, der dann gleichzeitig mit Rickenbacher gefeuert wurde.

In der Presse wurde nach dem Benko-Abschreiber auch der Kopf von Lacher selbst gefordert. «Der Verwaltungsrat hat selbstverständlich auch meine Funktion diskutiert. Er kam dann aber zum Entschluss, dass es keinen Sinn macht, weil wir auch die Stabilität der Bank sicherstellen müssen», sagte er Anfang Februar in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger». Gleichzeitig die beiden wichtigsten Posten im Unternehmen zu wechseln, hätte in der Tat viel Unruhe gebracht.

Doch wie steht es heute, da mit Stefan Bollinger ein neuer Chef bestimmt ist? Lacher antwortet ausweichend, weist darauf hin, dass er eine Amtszeit von acht bis maximal zwölf Jahren für eine gute Länge halte, dass er jetzt im sechsten Jahr sei und selbstverständlich in jeglicher Hinsicht seine Verantwortung wahrnehmen werde.

Weil Bollinger seinen Job erst im Februar antritt, dürfte sich Lacher aber mit grösster Wahrscheinlichkeit ein weiteres Jahr als Präsident gesichert haben, denn aus dem Umfeld des VR verlautet, dass der neue CEO ja erst in der Bank Fuss fassen müsse und ein Abgang des Präsidenten an der Generalversammlung im Frühling 2025 daher verfrüht sei. Geht das alles so auf, würde das bedeuten, dass der nach dem Benko-Abschreiber schon totgesagte Lacher auch zwei Jahre nach dem Drama noch auf seinem Sessel sitzen könnte.

Zweite Garde

Dass Lacher 2019 überhaupt den prestigeträchtigen Job des Bär-Präsidenten ergattern konnte, ist im Nachhinein betrachtet etwas verwunderlich. Denn obwohl er ein Banking-Urgestein ist, kam er lange nicht über die zweite Führungsebene hinaus. Bei der CS war er zuletzt unter CEO Tidjane Thiam Chief Operating Officer im Internationalen Wealth Management, dem Bereich von Iqbal Khan. Es war eine seiner vielen Funktionen als Betriebschef, die seine Karriere kennzeichnen und wo er mit seinem präzisen bis technokratischen Ansatz gute Arbeit verrichtete. Dies manchmal bis zur Erschöpfung – in seiner CS-Zeit hatte er einmal ein Burn-out und war längere Zeit krankgeschrieben.

Seine organisatorischen Fähigkeiten waren es auch, die ihm 2016 erstmals den Sprung nach ganz oben erlaubten. Im Oktober 2016 wurde er Präsident der Schweizer Börse SIX, wo er seit 2008 schon als Vizepräsident gewirkt hatte. Sattelfest in komplexen Systemen wie etwa dem Zahlungsverkehrssystem, war er in den Augen vieler der richtige Mann für den Job. Doch als Präsident der SIX musste Romeo Lacher nicht nur vorspuren, sondern selber den Kurs vorgeben. 2018 traf die SIX unter Lacher zwei Grundsatzentscheide, an denen die Börse bis heute zu beissen hat. Mitte Dezember 2023 veröffentlichte die SIX eine Gewinnwarnung und sprach von einem Verlust wegen Abschreibern von 1,2  Milliarden Franken im Zusammenhang mit dem Kauf der spanischen Börse BME und der Beteiligung an der französischen Worldline.

Die Wurzeln des Problems reichen in die Zeit unter Lacher. 2018 beschloss die SIX, das Kreditkartengeschäft an die französische Worldline zu verkaufen. Doch die SIX erhielt den Verkaufserlös grösstenteils nicht in bar, sondern in Form von Aktien von Worldline. Diese verloren letztes Jahr 70 Prozent an Wert, dieses Jahr sind es weitere minus 35 Prozent (Stand 23. Juli). Bei der SIX wurde der Verkauf dennoch verteidigt: «Mit dem Verkauf des Kreditkartengeschäfts an Worldline konnte die SIX ihr Eigenkapital deutlich stärken. Dies ermöglichte unter anderem auch den Kauf der spanischen Börse BME», liess sich Pressesprecher Jürg Schneider im Februar in der «SonntagsZeitung» zitieren. «Man könnte allerdings auch sagen, dass der eine Fehler zum nächsten führte», kommentierte die Zeitung. In der Tat: Vom 1,2-Milliarden-Franken-Abschreiber gehen 340 Millionen auf das Konto von BME, 860 Millionen auf jenes von Worldline. Herumschlagen mit dem Ganzen durften sich Nachfolger Thomas Wellauer und CEO Jos Dijsselhof, denn bald zog es Lacher weiter zu Bär.

Bankingstar

Vom drohenden Abschreiber bei SIX war in jener Zeit noch nichts zu spüren, geschweige denn hätte jemand damals geahnt, dass just der zuverlässige Lacher der Bank Bär in einigen Jahren einen der grössten Skandale einbrocken würde. Und so wurde seine Wahl weit herum begrüsst. Mehr noch: Lacher war jetzt erstmals wirklich in der obersten Liga, und die Presse schrieb den Bär-Präsidenten zur Lichtgestalt hoch. «Der heimliche Star des Swiss Banking», titelte etwa das Finanzportal Finews 2021. In jenem Jahr hatte Lacher auch den endgültigen Schritt ins Establishment gemacht: 2021 wurde er in den Bankrat der Schweizerischen Nationalbank (SNB) gewählt. 

Dies ist der Verwaltungsrat der SNB, zu dessen Aufgaben es unter anderem gehört, die jeweiligen Präsidenten des Direktoriums zu bestimmen. Und so kam es im ersten Halbjahr dieses Jahres zur absurden Situation, dass ein schwer angeschlagener Manager die beiden wichtigsten Personalien auf dem Schweizer Finanzplatz mitzubestimmen hatte: den Nachfolger von Rickenbacher bei Bär und den Nachfolger von Thomas Jordan bei der Nationalbank. Mit Martin Schlegel kam bei der SNB der schon früh als Frontrunner für den Job genannte bisherige Vizepräsident zum Handkuss.

«Kein Turnaround-Kandidat»

Wie aber geht es jetzt bei Bär weiter? Lacher hat klargemacht, dass an der bewährten Strategie als reiner Wealth Manager festgehalten wird: «Unser Geschäftsmodell funktioniert», betont er, «und wir arbeiten sehr profitabel.» Keinesfalls will er seine Julius Bär mit der untergegangenen Grossbank vergleichen lassen.

Die Message ist einfach: Benko war zwar ein heftiger Schlag, aber die Bank ist ertragsstark genug, um auch solche Schläge aufzufangen. «Wir sind kein Turnaround-Kandidat», sagt Lacher und verweist auf die Tatsache, dass im letzten Geschäftsjahr trotz des 600-Millionen-Abschreibers ein Konzerngewinn von fast 500 Millionen Franken ausgewiesen werden konnte.

Die Zahlen der ersten vier Monate des laufenden Jahres zeigen zudem, dass die Bank nach dem Benko-Debakel wieder Fuss fassen konnte. So stiegen die verwalteten Vermögen laut dem Ende Mai veröffentlichten Zwischenbericht um rund zehn Prozent auf 471 Milliarden Franken, unter anderem aufgrund der guten Aktienmärkte und der positiven Wechselkurseffekte. Auch die Profitabilität lag über den Erwartungen. Ein gemischtes Bild liefert der Neugeldzufluss. Nach einem offenbar grottenschlechten Januar – Vontobel-Analyst Andreas Venditti schätzt den Geldabfluss in jenem Monat auf über zwei Milliarden Franken – drehte der Wind, und so konnten unter dem Strich bis Ende April Neugeldzuflüsse von rund einer Milliarde Franken verbucht werden. «Das zeigt, dass wir das Vertrauen der Kunden bewahren konnten», sagt Lacher. An der Strategie, nur nachhaltig profitable Kundengelder anziehen zu wollen, wolle man festhalten. Auch der Grundsatz, vor allem organisch wachsen zu wollen, gelte weiterhin.

An Bollinger wird es sein, die Bank wieder in ruhige Fahrwasser und gleichzeitig zu weiterem Wachstum zu führen. Keine einfache Aufgabe, wie das Scheitern von Rickenbacher zeigt, der für mehr Gewinn in allzu risikoreiche Sphären stieg. Statt auf grosse Sprünge setzt Lacher deshalb lieber auf «eine Verstetigung des Wachstums». Die Branche wird mit Argusaugen beobachten, ob der neue von Lacher eingesetzte Chef mit mehr Fortüne als sein Vorgänger agieren wird.

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