«MENSCHENRECHTE VERTEUERN HANDYS» – WIRKLICH?

Schweizer Firmen verletzen im Ausland Menschenrechte. Das bewegt. Zwei Experten äussern sich zu Kommentaren der Leserschaft.

Schweizer Firmen verletzen beim Mineralien-Abbau Menschenrechte. 20 Minuten hat darüber berichtet, es gab heisse Diskussionen und über 500 Kommentare. Sebastian Heselhaus, Professor und Experte für Völkerrecht an der Uni Luzern, und Daniéle Gosteli, verantwortlich für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz, schätzen acht davon ein.

Aussage 1: «Jedes Land ist selbst verantwortlich»

«Jedes Land ist selbst dafür verantwortlich, dass die ausländischen Firmen sich an die Menschenrechte und die eigenen Gesetze halten.»

Heselhaus: Grundsätzlich ja, es gibt aber Länder, die die Einhaltung der Menschenrechte nicht effektiv gewährleisten können, etwa weil sie instabil sind und daher Unterstützung benötigen. Die meisten Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen gibt es laut BHRRC-Bericht in Peru, Guatemala, Chile, Kolumbien und der Demokratischen Republik Kongo.

Der Kongo ist ein gutes Beispiel für ein instabiles Land. Es gibt rebellierende Gruppen und Warlords, die versuchen, die Kontrolle über die Minen zu übernehmen, die Rohstoffe zu verkaufen und so ihre Waffen zu finanzieren. Diesen schwachen Staaten stehen die Rohstofffirmen gegenüber, die viel Geld und Macht haben.

Aussage 2: «Die Schweiz ist sowieso nicht haftbar»

«Nur weil die Firmen ihren Sitz aus steuerlichen Gründen in der Schweiz haben, ist die Schweiz nicht haftbar für ihre Tätigkeiten.»

Heselhaus: Ja, die Schweiz ist nicht haftbar, aber viele Industriestaaten übernehmen bei Menschenrechten zusätzlich Verantwortung. Denn es gibt Staaten, die Hilfe brauchen, etwa die oben genannten. Die UNO hat dafür im Sinne einer Selbstregulierung die «Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte» geschaffen. Diese sind rechtlich zwar nicht bindend, man erwartet aber, dass sich Staaten und Unternehmen daran halten.

Aussage 3: «Erklärt bitte, was die Schweiz tun kann»

«Erklärt doch bitte, was die Schweiz als Staat dagegen machen kann, im Einklang mit der aktuellen Gesetzgebung.»

Heselhaus: In der Schweiz gibt es eine Berichtspflicht für nicht-finanzielle Belange von Firmen und spezifische Sorgfaltspflichten für die Lieferkette bezüglich Kinderarbeit und Konfliktmineralien. So schauen Firmen bei Menschenrechtsverletzungen genau hin. Und die Schweiz kooperiert mit weiteren OECD-Ländern, um Standards zu schaffen und Verletzungen der Menschenrechte zu verhindern. Um diese Ziele zu erreichen, ist aber auch eine Zusammenarbeit mit den Firmen und Staaten vor Ort notwendig.

Aussage 4: «Warum nicht die Länder verklagen?»

«Warum wird nicht das Land angeklagt, in welchem die Bürger offenbar nicht menschenrechtskonform behandelt werden?»

Heselhaus: Diese Staaten stehen international auch in der Kritik. Aber wenn die Machtverhältnisse wie im Kongo oder bei sogenannten Failed States instabil sind, wird es keine rasche Abhilfe geben. Die Regierung  ist dann gar nicht in der Lage, die Menschenrechte durchzusetzen.

Aussage 5: «Es gibt Interpretationsspielraum»

«Offenbar kann der Begriff Menschenrechte recht elastisch interpretiert werden.»

Heselhaus: Dass es bei Rohstoffen Menschenrechtsverletzungen gibt, ist unumstritten. Primär geht es um Leben und Gesundheit, das sind wichtige Menschenrechte. Verstösse gegen grundlegende Umwelt- und Arbeitsschutzbestimmungen haben schon zu vielen Todesfällen geführt. Firmen missachten oft die Mindeststandards der Internationalen Arbeitsorganisation. Geht es um die Landrechte indigener Völker, sind das oft Situationen, die dem Eigentumsschutz in der Schweiz ähnlich sind.

Aussage 6: «Wir sollten anderen nicht dreinreden»

«Andere Länder haben andere Gesetze, das verstehen die NGOs nicht. Wir sollten ihnen nicht dreinreden.»

Gosteli: Regulieren wir transnationale Konzerne, können wir verhindern, dass sie die schwache Führung lokaler Regierungen ausnutzen, um auf Kosten der Menschenrechte und Umwelt Gewinne zu erzielen. Firmen  wissen, dass Regierungen von Investitionen abhängig sind und stellen Bedingungen, die dazu führen, dass Menschen ausgebeutet werden und ihr Land verschmutzt wird. Regierungen setzen Leute, die sich für Menschenrechte und Umwelt einsetzen, auch oft unter Druck und töten sie sogar manchmal.

Aussage 7: «Schweizer Gesetze verhindern nichts»

«Die Schweizer Gesetzgebung kann die Einhaltung der Menschenrechte in den in China produzierenden Firmen weder überprüfen noch durchsetzen.»

Gosteli: Die Schweiz trägt Verantwortung und kann gesetzlich verlangen, dass Firmen, die ihren Sitz in unserem Land haben, die Einhaltung der Menschenrechte in ihrer Lieferkette sicherstellen. Und Unternehmen sind verpflichtet, sicherzustellen, dass ihre Tochtergesellschaften und Partner in China die Vorgaben zum Schutz der Menschenrechte auch einhalten.

Aussage 8: «Menschenrechte verteuern Handys»

«Wollt ihr wirklich, dass die Menschenrechte eingehalten werden? Seid ihr bereit, für ein Handy 2000 Franken zu zahlen?»

Gosteli: Es ist falsch, die Achtung der Menschenrechte mit überhöhten Preisen in Verbindung zu bringen. Firmen müssen zwar anfangs in «gute Praktiken» investieren, die Vorteile zahlen sich aber langfristig aus – auch finanziell. Man sollte zudem nicht vergessen, dass Firmen, die ihre Geschäftstätigkeit aufgrund von Missbräuchen einstellen, oft extrem hohe Kosten verursachen.

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