DAS SIND DIE KREATIVEN NISCHENPLAYER IM SNACK-MARKT

Kleine Schweizer Hersteller können sich gegen den Snack-Riesen Zweifel behaupten. Auch im Ausland sind ihre Spezialitäten gefragt.

Wenn in der Schweiz von Apéros die Rede ist, dann kommt oft ein grosses Z ins Spiel. Zweifel beherrscht hierzulande das Geschäft mit Pommes-Chips und anderen salzigen Snacks. Mehr als 50 Prozent Marktanteil hält das Familienunternehmen unter der Leitung von Christoph Zweifel – und es bleibt auf Rekordkurs. Im vergangenen Jahr knackte Zweifel erstmals die Marke von 300 Millionen Franken Umsatz. Neben dem Riesen mit viel Marketingpower haben es kleinere Anbieter nicht einfach. Doch weniger bekannte Konkurrenten sind mit Snack-Spezialitäten erfolgreich. Und im Gegensatz zum Branchenprimus setzen sie voll auf Swiss made.

Zwar steht der Klassiker Paprika-Chips weiterhin hoch im Kurs. Doch mittlerweile mögen Schweizerinnen und Schweizer auch etwas mehr Exotik. Das in Au im Kanton Zürich ansässige Unternehmen MiAdelita produziert Nacho-Chips aus Schweizer Mais nach mexikanischem Originalrezept. Laut Unternehmensleiter und Mitinhaber Christoph Gsell liegt Ethnic Food im Trend. «Die Schweizer wollen nicht immer Pommes-Chips zum Apéro, sondern sind auch gegenüber anderen Geschmacksrichtungen aufgeschossen.»

Der Start des Unternehmens verlief 1995 eher holprig. Der in Mexiko aufgewachsene Firmengründer Michael Drugowitsch studierte Physik an der ETH und vermisste die schmackhaften mexikanischen Tortillas in der Schweiz. Er fand nirgendwo Produkte, die ähnlich gut mundeten wie die in seiner alten Heimat. Deshalb entschied er sich kurzerhand, mit einem Partner eine Occasions-Tortilla-Maschine anzuschaffen und selber mit der Produktion zu beginnen. Wenig war automatisiert: Die Gründer wallten den Teig von Hand aus und verwendeten kleine Fritteusen. Zu Beginn war das kein Grosserfolg. Die Kundschaft in der Schweiz kam nur zögerlich auf den Geschmack des damals noch ungewohnten Snacks.

Coop als Hauptkunde

Der Durchbruch gelang erst Jahre später, als Coop die Chips ins Sortiment aufnahm. Mittlerweile führt der Grossverteiler acht verschiedene Sorten von MiAdelita, etwa Bio-Tortilla-Chips unter dem Eigenlabel Naturaplan. Damit ist der Basler Detailhändler der grösste Abnehmer für das Unternehmen. Konkurrentin Migros hat ein Regionalprodukt von MiAdelita im Sortiment, und die in der Schweiz vom orangen Riesen betriebenen Alnatura-Supermärkte führen ebenfalls mehrere Varianten der Mais-Chips.

Einen Teil dazu beigetragen, um bei den Grossen in die Regale zu kommen, hat vielleicht auch die Anpassung des Firmenlogos. Das Paar mexikanischer Freiheitskämpfer mit Waffe und Patronengurt wich einem weniger martialischen Schriftzug. Christoph Gsell, der das Unternehmen seit 2016 führt, sagt, MiAdelita sei heute die grösste Produzentin von Tortilla-Chips und frischen Mais-Tortillas in der Schweiz. Die Produktionsstätte in Au ist derweil übersichtlich. Auf rund 250 Quadratmetern steht alles, was es zur Herstellung der knusprigen Dreiecke braucht. Der wichtige Unterschied zu ausländischen Billigherstellern: Statt Fertigmaismehl gelangen frisch gekochte Schweizer Maiskörner zum Einsatz.

Die weichen, porösen Maiskörner kommen in eine mit Lavasteinen bestückte Mühle und werden so zu Teig. Dessen Konsistenz muss genau stimmen. Er darf weder zu trocken noch zu feucht sein. Dann folgen Backofen, Fritteuse und Gewürztrommel, und fertig sind die Nachos. Warum die immer als Dreiecke in die Tüte kommen? Weil so fast keine Teigreste beim Zuschneiden anfallen.

Jüngst hatte Christoph Gsell Banker im Haus: Das Unternehmen will expandieren. Die mit Maschinen und Fliessbändern vollgestopfte Halle hat nur Platz für eine Produktionslinie. «Wir halten Ausschau nach einem neuen, grösseren Standort», so Gsell. Wachstum ist aber auch mit der bestehenden Anlage möglich, etwa durch einen Ausbau des Schichtbetriebs. «Wir könnten unsere Kapazitäten weiter erhöhen und auch Dritten Schweizer Qualität liefern», sagt Gsell.

Der Schweizer Snack-Primus Zweifel hat Mais-Chips in verschiedenen Geschmacksrichtungen im Sortiment. Doch sie laufen nicht über die Fliessbänder der eigenen Fabrik des Unternehmens in Spreitenbach. Das Aargauer Unternehmen lässt die Tortilla-Chips im Ausland herstellen. Auch die fettreduzierte Vaya-Linie, die das Unternehmen mit Werbemassnahmen stark pusht, stellt Zweifel nicht selbst her. Produktionsland ist Belgien. Warum berücksichtigt das Unternehmen nicht hiesige Hersteller? Zweifel-CEO Christoph Zweifel betont, dass man mit den ausländischen Produzenten eine langjährige enge Partnerschaft pflege. «Wir schauen uns auch immer Schweizer Unternehmen als Lieferanten für Produkte an, die wir nicht selbst herstellen. Ausschlaggebend sind Qualität, Kapazitäten und Wirtschaftlichkeit», ergänzt der CEO.

Zweifel selbst fehlt die Technologie zur Produktion der ballaststoffreichen Vaya-Produkte mit hohem Proteingehalt. Jüngst gab Zweifel bekannt, in den kommenden Jahren rund 40 Millionen Franken in den Ausbau der Schweizer Fertigung zu stecken. Die Produktion im neuen Snack-Werk für Artikel wie Snacketti und Popcorn soll ab 2027 starten. Ob mit dem Ausbau in Spreitenbach auch Vaya eine Schweizerin wird? Christoph Zweifel will sich nicht festlegen. Es gebe Platz für weitere Anlagen im neuen Gebäude. «Wir haben noch nicht definiert, wie wir die Reserven nutzen werden. Im Snack-Bereich ist viel in Bewegung, da möchten wir im eigenen Werk reagieren können.» Bei gesünderen Snacks sieht Zweifel noch weiteres Potenzial.

Denn der Trend zu bewusster Ernährung hat mittlerweile auch die nicht unbedingt für gesundheitsfördernde Eigenschaften bekannten salzigen Snacks ergriffen. Knuspriges aus Erbsen-, Soja- oder Reismehl mit tiefem Fettgehalt kommt bei den Konsumentinnen und Konsumenten gut an.

Swiss made für Italien

Solche in der Schweiz produzierten Snacks gibt es. Auf den Anlagen von Chirpies in Oberglatt unweit des Flughafens Zürich entstehen die Pop Chirps aus Kichererbsen, Reismehl und Kartoffeln. Die Lebensmittelampel Nutri-Score zeigt auf der Verpackung ein grünes B. Chirpies-Inhaber Ivan Urago kann sich einen Seitenhieb gegen den bekannten Wettbewerber nicht verkneifen. «Unsere proteinreichen Snacks sind im Gegensatz zu den Produkten der Konkurrenz Swiss made.» Bei Coop oder Migros sucht man die Produkte dennoch vergebens. «Als kleiner Anbieter im Snack-Segment ist es schwer, in die Regale der Schweizer Grossverteiler zu kommen», sagt Urago. Bei ausländischen Supermarktketten sind die Schweizer Snacks dagegen gefragt. Der italienische Detailhändler Conad führt Chirpies – in einem speziell markierten Regal für proteinreiche Produkte. Die französische Monoprix verkauft Chirpies-Snacks laut Urago in der Region Paris. Insgesamt kann das Unternehmen über zwei Millionen Beutel pro Jahr herstellen. Es hat in Oberglatt Platz für weitere Maschinen, mit denen die Kapazität relativ rasch vervielfacht werden könnte.

«Pop» im Namen ist bei Chirpies Programm: In der Produktionshalle knallt es in regelmässigen Abständen. In einer Maschine stecken zwei Platten. Sie erhitzen die Masse, erzeugen Druck und sorgen so für den lauten Pop-Effekt. Die Anlage läuft 24 Stunden am Tag. Daneben verfügt das Unternehmen noch über eine zweite Technologie. Aus einem Extruder laufen meterlange Stränge, die dann zum Beispiel zu Mais-Flips zugeschnitten werden. Je nach Zusammensetzung der Masse müssen die Angestellten den Extruder anders konfigurieren.

Jüngst ist Ivan Urago mit dieser Technologie ein Coup gelungen. Er hat einen Auftrag des weltweit führenden Malzherstellers Boortmalt an Land gezogen. Der belgische Riese mit einer Produktionskapazität von drei Millionen Tonnen Malz pro Jahr ist für die Lancierung eines neuen Snacks auf die kleine Chirpies zugekommen. Im November begann das Schweizer Unternehmen mit der Entwicklung, voraussichtlich im Sommer kommen die Malz-Snacks unter einer Eigenmarke des belgischen Unternehmens in die Supermärkte verschiedener europäischer Länder. Boortmalt setzt dabei voll auf das Thema bewusste Ernährung. 70 Prozent weniger Fett als herkömmliche Chips und ein natürliches Verfahren verspricht Boortmalt. Hauptbestandteil ist Tritordeum, ein Getreide, das aus der Kreuzung von Hartweizen und Wildgerste entstand und wenig Dünger benötigt. Für Ivan Urago ist der Auftrag ein wichtiger Schritt. «Werden die von uns entwickelten Snacks ein Erfolg, machen wir einen Umsatzsprung.»

Boortmalt, deren wichtigste Abnehmer Bier- und Whisky-Produzenten sind, wage damit den Einstieg ins Endkundengeschäft, erklärt der beim Unternehmen für das Projekt verantwortliche Patrick Hubert. «Wir sehen ein riesiges Marktpotenzial für gesunde Snacks.» Die Schweiz zähle zu den Ländern, wo das neue Produkt voraussichtlich lanciert werde.

Zoll auf Pommes-Chips

Chirpies verkauft den Grossteil ihrer Produkte im Ausland und ist damit ein Exot unter den Schweizer Snack-Herstellern. Bei Zweifel liegt der Exportanteil lediglich im prozentual einstelligen Bereich. Dabei geniessen Zweifel und andere hiesige Produzenten wie die Migros bei Kartoffelchips Importschutz: Ausländische Hersteller müssen für die Einfuhr grosser Mengen von Pommes-Chips in die Schweiz Zölle entrichten. Das bewahrt Zweifel und Co. vor der mächtigen Konkurrenz durch Multis wie PepsiCo mit der Marke Lay’s.

Keinen Grenzschutz gibt es für MiAdelita und ihre Tortilla-Chips. Der ausländischen Billigkonkurrenz ist das Unternehmen voll ausgeliefert. Dank Bio-Qualität und der Verwendung von jährlich 400 Tonnen selbst gekochtem Mais kann sich das Unternehmen dennoch behaupten. Beim Export sind die Schweizer Preise allerdings ein Handicap. «In die Nachbarländer exportieren wir kaum etwas. Für Deutschland sind unsere Preise mit 3.50 Euro für eine Packung Tortilla-Chips zu hoch», sagt Unternehmenschef Gsell.

In ferneren Ländern klappt es dagegen mit dem Verkauf. Die wichtigsten Auslandmärkte sind Kuwait und Saudi-Arabien. Diese Tatsache hat das Unternehmen einem Zufall zu verdanken. Der Besitzer eines kuwaitischen Handelsunternehmens machte vor einigen Jahren in der Schweiz Ferien. Dabei probierte er auch die Schweizer Nachos, deren Geschmack ihn voll überzeugte. Er nahm mit MiAdelita Kontakt auf, und schon einige Monate später bestellte er Tortilla-Chips für den Verkauf im Nahen Osten. Im Vergleich mit der Schweiz sind diese Produkte für den dortigen Geschmack stärker gesalzen.

Die Möglichkeit von Exporten in Nachbarländer hat Christoph Gsell derweil noch nicht ganz aufgegeben. An der jüngst abgehaltenen Lebensmittelmesse in Nürnberg kam der Chef eines grossen österreichischen Lebensmittelunternehmens an den Stand von MiAdelita. Die Nachos überzeugten ihn geschmacklich, und die Schweizer Preise vermochten ihn nicht abzuschrecken. Vielleicht steigt also der Exportanteil von MiAdelita bald. Und wenn Schweizer Hersteller ohne eigene Tortilla-Chips-Produktion doch noch auf Swiss made setzen, wäre das ein weiterer Wachstumsschub. Die Maschinen in Au laufen aber auch so bereits auf Hochtouren. Denn es startet die Hauptsaison für Knabberzeug. Ab März sind in vielen Schweizer Haushalten vermehrt Apéros angesagt. Und ohne salzige Snacks macht das nur halb so viel Spass.

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