WUNDER WIEDERHOLEN SICH SELTEN: DIE PRäMIENINITIATIVE WIRD ES SCHWER HABEN

Mit der Prämienentlastungs-Initiative könnte der Linken am 9. Juni ein weiterer Coup gelingen. Der Weg zu einem Ja ist jedoch steiniger als bei der 13. AHV-Rente.

Viele Bürgerliche und Wirtschaftsvertreter erlebten am 3. März ihr blaues – oder rotes – Wunder. Erstmals überhaupt wurde eine von links lancierte Volksinitiative für einen Ausbau des Sozialstaats angenommen. Manche «Verlierer» haben das Ja zur 13. AHV-Rente bis heute nicht verdaut. Und am 9. Juni droht bereits der nächste sozialpolitische Hammer.

Die Prämienentlastungs-Initiative der SP zielt auf die grösste Sorge in der Bevölkerung: die stetig steigenden Krankenkassenprämien. Diese sollen bei 10 Prozent des verfügbaren Einkommens gedeckelt werden, weshalb auch von einer 10%-Initiative gesprochen wird. Nötig dafür wäre ein deutlicher Ausbau der Prämienverbilligungen.

Die Initiative trifft einen Nerv, denn für Haushalte mit tiefen Einkommen wird die Prämienlast untragbar. Sie würden hohe Franchisen wählen, um Geld zu sparen, sagte Peter Lack von Caritas Schweiz an der Medienkonferenz des Ja-Komitees am Mittwoch. Am Ende würden «aus Angst vor den Rechnungen» selbst notwendige Behandlungen herausgeschoben.

60 Prozent sind dafür

Erste Umfragen geben der Initiative gute Chancen. In einer Tamedia-Umfrage sprachen sich 64 Prozent dafür aus. Das Ja-Komitee präsentierte am Mittwoch eine vom Institut Sotomo durchgeführte Befragung, in der 60 Prozent die Initiative befürworten. Auch eine Mehrheit der SVP-Wählerschaft würde zustimmen. Ein klares Nein gibt es nur von der FDP-Basis.

Diese Resultate sind praktisch deckungsgleich mit der ersten SRG-Trendumfrage zur 13. AHV-Rente. Die Vorzeichen sind somit günstig. Und doch gibt es Zweifel, dass sich das Wunder vom 3. März wiederholen wird. Eine Vertreterin des linksgrünen Spektrums ging in einem Gespräch am Rande der Sondersession von einem Nein aus.

Klassisches Links-Rechts Schema

«Die Abstimmung wird nach dem klassischen Links-Rechts-Schema erfolgen», befürchtet sie. Bei der 13. AHV-Rente wurde es durchbrochen. Einige Argumente sprechen dagegen, dass dies auch im Fall der Prämienentlastungs-Initiative gelingen kann. Der Prognosemarkt des Zürcher Politologen Oliver Strijbis jedenfalls geht von einem knappen Rennen aus.

Zwei Gesundheits-Initiativen mit Risiken und Nebenwirkungen

Die Komplexität

Das Geniale an der 13. AHV-Rente war ihre Einfachheit. Jeder und jede wusste, was gemeint ist. Das Gesundheitswesen und die Finanzierung durch die Kopfprämien sind eine komplexere Materie. Die Zuständigkeit liegt nicht nur beim Bund, auch die Kantone reden mit. Sie bestimmen, wer Prämienverbilligungen erhält und wie hoch sie ausfallen.

Die Initiative fordert, dass zwei Drittel künftig vom Bund übernommen werden. Allerdings ist weiten Teilen der Bevölkerung bewusst, dass die Initiative Symptombekämpfung betreibt. Sie unternimmt nichts gegen das eigentliche Übel, die steigenden Gesundheitskosten. Ein wirksames Mittel dagegen zu finden, ist erst recht kompliziert.

Die Betroffenheit

Für die Annahme der 13. AHV-Rente waren verschiedene Gründe verantwortlich, etwa eine «Jetzt sind wir dran»-Mentalität. Auch haben viele Babyboomer realisiert, dass sie mit der Pensionierung einen beträchtlichen Einkommensverlust erleiden werden. Vor allem aber werden alle vom AHV-«Bonus» profitieren, sofort oder in der Zukunft.

Bei der Prämienentlastungs-Initiative aber ist die Zahl der Profiteure überschaubar. Neben mittelständischen Familien seien es Pensionierte und Einzelpersonen mit einem Netto-Einkommen bis 5000 Franken, rechnete das Ja-Komitee am Mittwoch vor. Viele erhalten jedoch schon heute Verbilligungen, und Gutverdienende gehen leer aus.

SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer sagte in der SRF-«Tagesschau», von der Initiative würden «mehrere hunderttausend Menschen mehr profitieren als heute». Das ist beachtlich, doch ob dies für ein Ja am 9. Juni reichen wird, ist zumindest fraglich. Das Giesskannen-Prinzip hat eben seinen Charme: Je mehr «Gewinner» es gibt, umso grösser die Chancen.

Die Finanzierung

Die Gegner der 13. AHV-Rente haben die Frage der Finanzierung im Abstimmungskampf unterschätzt. Jetzt hätten sie dazugelernt, meinte Oliver Strijbis im watson-Interview: «In der öffentlichen Debatte wird verstärkt über die Finanzierung diskutiert.» Das Bundesamt für Gesundheit geht von Mehrkosten für den Bund von rund 6,5 Milliarden Franken bis 2030 aus.

«Ich bin grundsätzlich gegen höhere Steuern – aber ohne eine höhere Bundessteuer oder eine höhere Mehrwertsteuer ist das nicht zu schaffen», sagte Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) im Interview mit CH Media. Selbst SP-Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider bezeichnete Steuererhöhungen als «wohl unvermeidlich».

Solche aber würden grosse Teile der Bevölkerung treffen. Gleichzeitig ist die Zahl der Profiteure überschaubar. Diese Konstellation dürfte von den Gegnern der Initiative im Abstimmungskampf ausgiebig thematisiert werden. Sie könnte dafür sorgen, dass vorab das Ständemehr für die Prämienentlastungs-Initiative zur unüberwindbaren Hürde wird.

Ein Ja ist nicht auszuschliessen. Aber Wunder wiederholen sich nur selten. Trotz guter Ausgangslage wird es die SP-Initiative vor dem Stimmvolk schwer haben.

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