IN DER «ARENA» ZUR PRäMIEN-INITIATIVE BLIEBEN ALLE COOL – NUR EINER WURDE EMOTIONAL

Beinahe friedlich war die Abstimmungs-«Arena» zur Prämien-Entlastungs-Initiative. Wären da nicht ein Hausarzt und ein aufgebrachter Gewerkschafter gewesen.

Die Gesundheitskosten in der Schweiz steigen. Die Krankenkassen-Prämien auch. Ein Ende ist nicht in Sicht: Voraussichtlich setzt sich die Erhöhung der Prämien auch 2025 fort. Zahlte eine Person 1996 im Mittel 128 Franken pro Monat für die obligatorische Krankenversicherung, waren es im vergangenen Jahr 330 Franken. Die Löhne haben diese Entwicklung nicht mitgemacht, die Reallöhne – und damit die Kaufkraft der Arbeitnehmenden – gingen zuletzt sogar leicht zurück.

Die Krankenkassen-Prämien sollen nicht mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens der Versicherten betragen. Das fordert die Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» der SP, die am 9. Juni vors Stimmvolk kommt.

Die Initiative erklärt:

Alles, was du zur Prämien-Entlastungs-Initiative wissen musst

Bundesrat und Parlament empfehlen die Initiative zur Ablehnung und haben einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet.

Hätte die Schweiz Mitte April abgestimmt, wäre die Initiative knapp angenommen worden, sagt eine SRG-Trendumfrage.

Noch ist aber nichts entschieden. In der Abstimmungs-«Arena» diskutierten im Studio 8 im Leutschenbach bei Moderator Sandro Brotz für die Initiative:

  • Mattea Meyer, Co-Präsidentin SP und Nationalrätin SP/ZH
  • Daniel Lampart, Chefökonom SGB
  • Philippe Luchsinger, Präsident MFE Haus- und Kinderärzte Schweiz

Gegen die Initiative traten an:

  • Elisabeth Baume-Schneider, Bundesrätin
  • Thierry Burkart, FDP-Parteipräsident und Ständerat FDP/AG
  • Michaela Tschuor, Regierungsrätin Die Mitte/LU und Vorstandsmitglied Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK

Baume-Schneider in bürgerlichem Fahrwasser

Schon wieder musste SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider in dieser Abstimmungs-«Arena» gegen ihre Partei, die an diesem Abend mit der Co-Parteipräsidentin Mattea Meyer auf der Pro-Seite vertreten war, argumentieren. Moderator Brotz gelang es jedoch weder, die Innenministerin mit provokanten Aussagen aus der Reserve zu locken, noch, einen persönlichen Schlagabtausch zwischen Meyer und ihrer Parteikollegin herbeizuführen.

So hielt Brotz der Bundesrätin im Eins-zu-eins die hohen Zustimmungswerte zur Initiative von Frauen und der Westschweiz vor Augen: «Schauen Sie mal hin, Frau Bundesrätin. Was sagen Sie da als Frau aus der Westschweiz dazu?» Baume-Schneider konterte nur: «Ich bin Bundesrätin und ich sage, was ich und der Bundesrat darüber denken.»

Ob es fair sei, dass ein Top-Manager und ein Arbeiter im Tieflohnsektor gleich viel für die Grundversicherung bezahlen, fragte Brotz weiter. Baume-Schneider erwiderte erneut, es gehe nicht darum, ob sie es fair finde. «Das System ist so. Und das System bringt auch gute Antworten für die Leute, die Schwierigkeiten haben.»

Baume-Schneider wiederum warb für den indirekten Gegenvorschlag, der die Bundeskasse weniger stark belasten und die Kantone stärker in die Verantwortung nehmen würde. Mit dem plötzlich auf der gleichen Seite stehenden FDP-Präsidenten Thierry Burkart warnte sie vor zu grossen Ausgaben: «Man weiss, dass diese Milliarden nicht einfach so vom Himmel fallen.»

Alle gegen Burkart

Die ungewöhnlichen Fronten und die mit ihrer Parteikollegin auf der Contra-Seite solidarische Mattea Meyer brachten FDP-Parteipräsident Thierry Burkart in eine ungemütliche Lage. Als Spitze der Nein-Kampagne fand er, die Initiative schiesse «völlig über das Ziel hinaus». Zwar seien die steigenden Gesundheitskosten ein Problem. Der breite Mittelstand würde durch Steuererhöhungen, die für eine Finanzierung nötig wären, aber nur stärker belastet: «Das ist das falsche Rezept.»

Wenn es in dieser sonst grösstenteils friedlichen «Arena» einmal laut wurde, kam das meist aus der Richtung des Chefökonomen des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), Daniel Lampart, gerichtet an FDP-Burkart. Dass der von Burkart mitgetragene Gegenvorschlag finanzierbar sei, liege vor allem daran, dass er kaum ein Problem lösen werde, bemerkte der Prämien-Initiative-Befürworter Lampart scharf.

Sichtlich aufgebracht versuchte der Gewerkschafter, den FDP-Parteipräsidenten davon zu überzeugen, wie die Realität der «normalen Leute» aussehe:

«Die Leute müssen diese Rechnung aus dem Briefkasten holen. Und das ist einfach brutal. Wir haben viele Leute bei uns, die wissen nicht mehr, wie sie das bezahlen sollen. Die Mieten sind auch gestiegen und die Löhne stagnieren.»

- Daniel Lampart, Chefökonom SGB -

Dass ein Ende des Kostenanstiegs nicht in Sicht sei, mache die Initiative so dringend nötig. Gerade das freisinnige Erbe im Bundesstaat, redete sich Lampart in Rage, müsse doch ein Verantwortungsgefühl für die «normalen Leute» mit sich bringen. Hier griff Moderator Brotz ein.

Daniel Lampart: «Ich finde das unverständlich, wie die FDP einfach wegschaut»
Video: srf/arena

Der Moderator stellte sich schützend vor Burkart:

«Die Strategie von links ist heute Abend klar. Man schiesst auf den FDP-Präsidenten und nimmt die Bundesrätin nicht ins Visier.»

- Sandro Brotz, Moderator -

Lampart liess sich davon nicht abbringen und wandte sich eine halbe Stunde später wieder an Burkart, als sich dieser gegen die Initiative aussprach: «Sie senken lieber die Steuern für die Vermögenden.» Es brauchte abermals eine Ermahnung von Brotz, Lampart möge doch auf «allenfalls polemische Seitenhiebe verzichten». Das schien zu wirken – einem «Sorry» folgte die Erklärung, es falle ihm schwer, bei dem Thema «cool zu bleiben».

SGB-Chefökonom: «Ich gebe zu, ich bin sehr emotional in dieser ‹Arena›»
Video: srf/Arena
Das ist die Prämien-Entlastungs-Initiative

Die Initiative verlangt, dass niemand mehr als 10 Prozent seines verfügbaren Einkommens für die Krankenkassenprämie aufwenden muss. Alles über dieser Schwelle wird durch Prämienverbilligungen gedeckt, zu zwei Dritteln finanziert durch den Bund, zu einem Drittel durch die Kantone. Das BAG rechnet bei einem JA mit Mehrausgaben von 3,5 bis 5 Milliarden Franken pro Jahr.

Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative ab. Das Parlament hat jedoch einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet. Dieser verlangt, dass die Kantone in Zukunft einen Mindestbetrag für die Finanzierung der Prämienverbilligung ausgeben müssen. Dieser Mindestbetrag ist an die kantonalen Gesundheitskosten gekoppelt. (rst)

Der Mittelstand, der nicht mehr zum Arzt geht

Ein Moment, in dem die Dringlichkeit des Themas besonders deutlich wurde, war wieder nicht den anwesenden Politikerinnen und Politikern zu verdanken, sondern einem Votum des Arztes Philippe Luchsinger. Brotz fragte den Befürworter der Initiative provokant: «Wie kommt ein Hausarzt dazu, sich vor den Karren der SP zu spannen?»

Dieser lachte nur kurz, wurde dann aber ernst: «Weil er sich Sorgen macht um die Versorgung.» Fast 20 Prozent der Bevölkerung würden heute aus finanziellen Gründen auf Arztbesuche verzichten, zitiert er eine Umfrage.

Das Problem: Um die Prämienlast zu senken, wählten die Menschen tiefere Prämien mit hoher Franchise. Werden sie dann krank, fehle oft das Geld. Dieser «Versorgungsnotstand» betreffe nicht nur die unteren Einkommensschichten, sondern auch den Mittelstand. Die Krankheiten, die dadurch unbehandelt blieben, generierten weitere Kosten.

Philippe Luchsinger: «Es sind nicht nur Leute, die nicht auf den Notfall gehen»
Video: srf/Arena

Michaela Tschuor vom Vorstand der Schweizerischen Gesundheitsdirektorenkonferenz relativierte: Durch individuelle Prämienverbilligungen oder Sozialhilfeleistungen würde bereits vieles abgefedert.

Luchsinger doppelte nach:

«Wir sprechen nicht von diesen Leuten, die in der Sozialhilfe oder in Unterstützung drin sind. Wir sprechen von Familien oder auch von Rentnern, die zwischendurch sind. Die über der Limite sind, um eine Prämienverbilligung zu erhalten, aber einfach das Geld nicht haben, um sich das leisten zu können.»

- Philippe Luchsinger, Hausarzt -

Baume-Schneider wirkte sichtlich bewegt ob der Worte des Hausarztes, es sei ihr nicht «angenehm, das zu hören». Aber: Es sei komplizierter als von Luchsinger dargestellt.

Schafft die Initiative Abhilfe bei den Gesundheitskosten?

Gegen Ende der Sendung nahm die Runde das Thema der Gesundheitskosten in Angriff. Hilft die Initiative denn, diese zu senken? Nationalrätin und SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer zeigte sich zuversichtlich, dass eine stärkere Umverteilung der Kosten mittels der Prämien-Entlastungs-Initiative von den Privatpersonen auf den Bund und die Kantone Anreize schaffen würde.

«Wegschauen wie bisher wird teurer», sagte Meyer und sprach damit unter anderem die Machenschaften der «Pharma-Lobby» an. Nicht bei der Pflege oder den Hausärztinnen und -ärzten müsse man sparen, auch nicht beim «Portemonnaie der Leute», sondern da, wo man politisch etwas erreichen könne.

Mattea Meyer: «Dort sparen, wo es sinnvoll ist»
Video: srf/Arena

Burkart wollte diese Problemdiagnose so nicht stehen lassen und meldete sich zum Schluss nochmals zu Wort. Die SP-Initiative heble den Anreiz, zu sparen, sowohl bei den Patientinnen und Patienten als auch bei den Kantonen aus. Ausserdem würden Menschen, die besser verdienen, bereits durch Steuern mehr zum Gesundheitssystem beitragen.

Thierry Burkart: «Das Feuer mit Öl gelöscht»
Video: srf/Arena

Vieles musste in diese «Arena», die den Auftakt für die vier Abstimmungssendungen machte, hineinpassen. Einigkeit herrschte darüber, dass es Reformen braucht. Aber welche? Und mit welcher Finanzierung? Klar ist nur: Zu dieser Frage werden wir wohl noch mehr in der «Arena» hören.

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