WAS IST IN CHINA LOS?

Rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit und sinkende Konsumlust: Der Aufschwung der chinesischen Wirtschaft ist ins Stottern geraten.

Die Finanzmärkte sind wieder einmal nervös. Doch der Grund ist diesmal nicht, dass ein paar halbstarke MAGA-Republikaner die USA in den Staatsbankrott stürzen wollen. Diese Gefahr ist glücklicherweise gebannt. Diesmal wird die Finanzgemeinde durch die jüngsten Zahlen aus China aufgeschreckt; und diese sind in der Tat alles andere als erfreulich:

  • Die Jugendarbeitslosigkeit ist in China auf über 20 Prozent geklettert, ein trauriger Rekord der jüngeren Vergangenheit.
  • Der Index der Einkaufsmanager, ein verlässlicher Konjunkturindikator, schrumpft. Im April betrug er noch 49,2 Punkte, im Mai sank er auf 48,8 Punkte. Ein Wert unter 50 Punkte deutet auf eine sich abschwächende Wirtschaft hin.
  • Industrieproduktion, Immobilienverkäufe und das Kreditwachstum haben sich in den beiden letzten Monaten abgeschwächt. Ebenso die Konsumlust. «Das Vertrauen ist das grosse Problem», sagt Hui Shan, Chefökonom für China bei Goldman Sachs gegenüber der «Financial Times». «Die Konsumenten glauben derzeit nicht an die Zukunft und geben daher kein Geld aus. Die privaten Investitionen schwächeln ebenfalls, und auch die Unternehmen zögern mit neuen Projekten.»

Jamie Dimon, CEO von JPMorgan und der derzeit unbestrittene Star in der Banken-Szene, giesst in einem Interview mit Bloomberg TV gar noch Öl ins Feuer. Er warnt vor den «Unsicherheiten», was die chinesische Regierungspolitik betrifft. «Die wachsende Unsicherheit beeinflusst nicht nur die Investitionen aus dem Ausland», so Dimon. «Sie verändert auch das Vertrauen der eigenen Bevölkerung.»

Dabei sah es vor kurzem noch so gut aus. Nach der abrupten Kehrtwende in der Covid-Politik und der Aufhebung der Lockdowns erholte sich die chinesische Wirtschaft rasch. Dieser Boom scheint jedoch ein Strohfeuer gewesen zu sein. Carlos Casanova, Chefökonom für Asien bei der Genfer Union Bancaire Privée, erklärt ebenfalls in der «Financial Times»: «Wir hatten erwartet, dass dies der Anfang eines neuen Konsum- und Dienstleistungs-Booms werde, und dass sich der neue Optimismus zu einem breiten Aufschwung der gesamten Wirtschaft entwickeln würde. Das ist nicht eingetroffen.»

Nun ist China nicht irgendwer. Es ist nach wie vor der Werkplatz der Welt. Rund ein Drittel der weltweiten Industrieproduktion findet dort statt. China war in den letzten Jahren auch die Lokomotive der Weltwirtschaft. Mehr als die Hälfte des Wachstums des internationalen Handels war China geschuldet.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Märkte bereits reagieren. Nicht nur die Investoren werden nervös, auch die Rohstoffpreise sind angesichts der sinkenden Nachfrage aus China ins Rutschen geraten.

Nicht hilfreich sind auch die geopolitischen Spannungen. Der Ukraine-Krieg und Chinas Parteinahme für Russland haben das Misstrauen gegenüber Peking nochmals verstärkt. So meldet das «Wall Street Journal», dass sich amerikanische Manager vermehrt nach Alternativen zu chinesischen Zulieferern umsehen. «Die Angst vor einer militärischen Auseinandersetzung und wachsende Sicherheitsbedenken haben dazu geführt, dass amerikanische Unternehmen ihre Abhängigkeit von China neu beurteilen», so das «Wall Street Journal».

Bis vor kurzem machte gar der Begriff «Decoupling» die Runde. Inzwischen hat sich jedoch die Einsicht durchgesetzt, dass eine vollständige Abkopplung der westlichen Wirtschaft eine Illusion ist. Zu gross sind die gegenseitigen Abhängigkeiten, und gerade im Kampf gegen die Klimaerwärmung sind wir auf Gedeih und Verderb auf China angewiesen. Dort werden fast alle Solarzellen und die meisten Batterien hergestellt, und von dort stammen die Seltenen Erden, ohne die kein Smartphone funktioniert.

Ohne Kooperation mit China ist der Klimaerwärmung auch deshalb nicht beizukommen, weil die Chinesen mittlerweile am meisten CO₂ in die Atmosphäre pusten. «Ohne China können wir das Problem des Klimawandels nicht lösen», erklärt denn auch die China-Expertin Joanna Lewis von der Georgetown University in der «Washington Post». «Wenn wir uns weigern, eine konstruktive Zusammenarbeit einzugehen, bekommen wir das Problem auf globaler Ebene niemals in den Griff.»

Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, hat daher anlässlich ihres Besuches in Peking vor ein paar Wochen einen neuen Begriff in die Diskussion eingebracht: De-Risking. Dieser Begriff hat sich in kürzester Zeit wie ein Lauffeuer um den Globus verbreitet. Gemeint ist damit, dass man die Verbindung zu China nicht kappen, sondern das Risiko eindämmen soll.

Was in der Theorie gut klingt, ist jedoch in der Praxis teuflisch schwer umzusetzen. Wie etwa soll man im Halbleiter-Krieg zwischen China und dem Westen das Risiko minimieren? Jensen Huang, CEO von Nvidia, dem jüngsten Wunderkind aus dem Silicon Valley, warnt etwa vor einem «enormen Schaden», sollte den amerikanischen Chip-Herstellern verboten werden, ihre Produkte nach China zu exportieren. Militärexperten ihrerseits warnen davor, dass die USA ihren technologischen Vorsprung verlieren werden, sollten Chips wie diejenigen von Nvidia auch den Chinesen zugänglich sein.

Chip War – oder der Kampf um die wichtigste Technologie der Zukunft

Die Tatsache, dass der Begriff De-Risking den Begriff Decoupling ablöst, ist ein positives Zeichen. Er zeigt, dass der Westen und China allen geopolitischen Spannungen zum Trotz eine Ebene finden müssen, auf der eine Kooperation möglich ist – und sei diese noch so bescheiden. Ein Abkopplung hingegen würde Firmen wie Apple vor kaum lösbare Probleme und die deutsche Autoindustrie ins Verderben führen. Und China hätte dann ebenfalls weit gravierende Probleme als arbeitslose Jugendliche.

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