ABB-PRäSIDENT PETER VOSER: «ICH HABE MICH IN PUTIN GETäUSCHT»

Der ABB-Präsident über die Nachfolge an der Konzernspitze, seine Nähe zu Putin und den Fall der Credit Suisse.

Elektrifizierung ist ein Kerngeschäft von ABB, aber am eigenen Hauptsitz in Zürich Oerlikon schwächelt der Konzern: Die gesamte Beleuchtung im Board Room flackert in einem fort. Peter Voser empfängt, kurz nachdem er mit dem Morgenflieger aus New York gelandet ist.

Peter Voser, Sie sind 64, Ihr CEO Björn Rosengren ebenfalls. Wer von Ihnen geht früher in Pension?

Wir haben ganz klar abgemacht, dass Björn Rosengren ungefähr fünf Jahre macht. Jetzt sind etwas mehr als drei Jahre vorbei. Wir sind gut unterwegs, wir haben unsere Ziele erreicht, das letzte Quartal zeigt es. Und es macht uns beiden Spass.

Die Alterslimite im ABB-Verwaltungsrat ist 72, eine Amtszeitbeschränkung gibt es nicht. Bleiben Sie also noch acht Jahre?

Die Altersbeschränkung kann vom Verwaltungsrat auch aufgehoben werden, sofern die Leistung stimmt. Wir haben eine gute Reise hinter uns, aber wir haben noch viele strategische Pläne. Und ich bin nach wie vor mit allem dabei.

Das tönt so, als würden Sie Herrn Rosengren überleben.

Als VR-Präsident hat man keine Exekutivaufgabe. Demzufolge schaut man das auch etwas anders an als den CEO-Posten, von der Amtszeit und auch vom Alter her.

Nach zehn Jahren im Board stimmen die angelsächsischen Vertreter in der Regel gegen eine Verlängerung des Mandats. Das wäre bei Ihnen in zwei Jahren der Fall.

Eine gewisse Amtszeitbeschränkung finde ich eigentlich richtig. Ob das jetzt neun, zehn oder zwölf Jahre sind, darüber kann man diskutieren. In meinen Augen sollte es irgendwo zwischen neun und zwölf Jahren sein.

Das interpretiere ich so, dass der Trend bei Ihnen eher in Richtung zwölf Jahre gehen würde.

Das ist Ihre Interpretation.

Bei der Nachfolge von Björn Rosengren deutet ja alles auf Morten Wierod hin. Weshalb wieder ein Skandinavier?

Bei uns spielt der Pass grundsätzlich keine Rolle. Wir sind eine global aufgestellte Firma, und jeder hat die gleiche Chance. Ich habe es damals bei Shell, einem englisch-holländischen Konzern, auch geschätzt, dass ein Schweizer nach oben kommen kann. Für ABB sind die Leistung, die eine Führungskraft über die Jahre bringt, die Kenntnis der Firma und die Führungseigenschaften entscheidend. Und ich würde mich nie auf einen Kandidaten fokussieren. Das wäre, glaube ich, für den Verwaltungsrat der falsche Weg.

Im Verwaltungsrat sitzt ein Schweizer, Sie, dafür drei Schweden, darunter die beiden mächtigen Vertreter der Grossaktionäre. In der Konzernleitung sitzt ein gebürtiger Schweizer, dafür sind fünf von neun Personen Skandinavier. Da liegt es auf der Hand, dass man einen CEO aus dem eigenen kulturellen Umfeld bevorzugt.

Wenn ich nicht ganz falschliege, haben wir neben mir auch drei Verwaltungsräte mit Schweizer Pässen.

… nun ja, die anderen sind eingebürgerte Angelsachsen und Skandinavier.

Wie gesagt, für mich spielt das gar keine Rolle. Wichtig sind die Märkte: Wir sind zu je einem Drittel in Europa, Asien und Amerika tätig, das muss vertreten sein. Wir sind sehr stark in gewissen Industrien, und wir versuchen auch das abzudecken. Wir haben wahrscheinlich eines der globalsten Boards in Europa, und darauf sind wir stolz.

Dieses Tauziehen zwischen Schweden und Schweizern geht schon seit der Fusion von Asea und BBC vor 35 Jahren. Wird es jemals ein Ende finden?

Dieses Tauziehen hat es nie gegeben und wird es auch nicht, solange ich da bin.

Jürgen Dormann, unter dem Sie in den 2000er Jahren CFO waren, hat es sogar öffentlich bestätigt.

Mag sein, dass es damals eine gewisse Rolle gespielt hat. Aber das war auch die Zeit der grossen Krisen, die doch auch auf die Fusion und das schweizerisch-schwedische Element zurückgegangen sind. Heute ist das kein Thema mehr. Wir sind froh, dass wir die zwei Ursprungsländer haben. Das hilft uns auch weltweit, wenn wir uns als Firma positionieren – je nach Region spielt dann mal die Schweiz eine grössere Rolle und mal die schwedische Seite. Aber im Grundsatz sind wir global.

ABB hat jahrelang die staatliche Elektrizitätsgesellschaft Eskom in Südafrika bestochen. Jetzt mussten Sie 327 Millionen Dollar für eine aussergerichtliche Einigung und Strafzahlungen zurückstellen. Wie kann so etwas passieren?

Wir sind nicht stolz auf das, was in Südafrika passiert ist. Wir hatten eigentlich Systeme und Prozesse, die das verhindern sollten. Aber die haben leider nicht gereicht. Das haben wir in den letzten Jahren nochmals verstärkt an die Hand genommen und die Prozesse verbessert. Unsere Toleranz in diesem Bereich ist null, ganz klar.

Wenn die Toleranz null ist: Wieso sitzt der damals Verantwortliche Peter Terwiesch noch immer in der Konzernleitung?

Ursprünglich war dieses Geschäft erst in der Sparte Stromerzeugung und wurde dann zu Prozessautomation und damit zu Peter Terwiesch transferiert. Man muss vorsichtig sein, bevor man Leute verurteilt, die am Anfang des Geschäfts gar nicht dabei waren. Ich glaube, die Geschäftsleitung von Prozessautomation hat das richtig gehandhabt und auch die Lehren daraus gezogen.

Bei Siemens sind der halbe Vorstand, der CEO und der Chairman zurückgetreten nach dem Korruptionsskandal. Klar, der hatte eine andere Dimension, aber vor 15 Jahren waren die Massstäbe auch noch weit weniger streng als heute.

Ich kenne den Siemens-Fall relativ gut. Da muss man sich einfach anschauen, wer was gewusst hat. Das hat dann zu den von Ihnen genannten Verschiebungen an der Konzernspitze geführt. ABB ist ein anderer Fall.

Sie waren viele Jahre lang aktiv im Board von Catalyst, einer Stiftung, die die Chancen von Frauen in Führungspositionen verbessern will, und sind dort noch immer Ehrenpräsident. Unter den 25 Topmanagern mit Ergebnisverantwortung bei ABB gibt es keine einzige Frau. Wie passt das zusammen?

In Sachen Diversität sind wir ganz klar nicht da, wo wir sein sollten. Daraus machen wir auch gar kein Geheimnis. Aber wir sind daran, diese Situation zu verbessern. Die Anzahl der Frauen in höheren Führungspositionen ist in den letzten drei Jahren von 12 auf 18 Prozent gestiegen. Auch im Verwaltungsrat waren wir nicht so aufgestellt, wie es hätte sein sollen. Jetzt haben wir drei Frauen im Board, das geht in die richtige Richtung. Aber da gibt es ohne Zweifel noch Arbeit zu tun.

Was macht ABB falsch, dass sie nicht attraktiv ist für hoch qualifizierte Frauen?

Ich glaube, ABB ist attraktiv: Von den talentierten Leuten, die zu uns kommen, sind über 40 Prozent Frauen. Aber bevor sie in die höheren Chargen hineinkommen, haben wir einen Aderlass. Das wurde auch analysiert, jetzt wissen wir, wo wir ansetzen müssen, damit sie auch oben ankommen.

Reden wir über Russland. Wie weit ist da der Rückzug inzwischen?

Weit fortgeschritten. Wir haben immer noch einige Leute dort, die jetzt die letzten Sachen abwickeln. Wir erfüllen noch einige vor dem Krieg eingegangene vertragliche Verpflichtungen, selbstverständlich unter Einhaltung der Sanktionen.

Was passierte mit den beiden ABB-Produktionsstandorten dort?

Die haben den Betrieb eingestellt. Wir verkaufen sie nicht an die Mitarbeiter, wie das gewisse andere Firmen gemacht haben.

Was geschieht mittel- und langfristig mit den russischen Werken oder Energieanlagen, in denen ABB-Technologie eingesetzt wird?

Sie meinen die Service-Komponente und die Garantie-Komponente. Wegen der Sanktionen können wir gewisse Ersatzteile nicht mehr liefern. Und wir werden unsere ehemaligen russischen Kunden langfristig nicht betreuen können.

Das heisst, die müssen selber schauen, wie sie dann klarkommen mit Ihren Anlagen und Werken?

Das ist halt so, ja.

Kann ABB jemals wieder in Russland geschäften?

Ich gehe derzeit nicht davon aus.

Sie waren jahrelang einer der ganz wenigen Speaker am St.  Petersburger Forum, auf Einladung von Wladimir Putin. Waren Sie ihm im Rückblick zu nahe?

Nein, war ich nicht. Wenn man wie ich damals als Shell-CEO im Öl- und Gas-Business ist, geschäftet man mit dem Staat. Da ist man natürlich den Regierungsmitgliedern relativ nahe. Die Nähe war adäquat angesichts unserer Investitionen in Russland: Shell hatte grosse Produktionsstätten in Ostsibirien.

Schwarz oder Weiss, Herr Voser?

FC Würenlos oder Boca Juniors? Boca Juniors. Weil da eben nicht nur Fussball dranhängt, da hängen auch fünf erfolgreiche und sehr glückliche Jahre mit der Familie dran.

Widen oder Singapur? Widen, weil wir da sehr glückliche 20 Jahre verbracht haben.

UBS oder CS?Mit der Erfahrung, die ich in der ABB-Krise gemacht habe: Credit Suisse.

Bordeaux oder Burgunder? Bordeaux. Ich habe lieber schwere Weine, damit ich auch alle Sorgen runterspülen kann.

Steak oder Tofu?Steak. Zu lange in Argentinien gelebt.

Porsche oder Tesla? Porsche, weil ich den auch elektrisch fahren kann.

Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo? Lionel Messi, von der Leichtigkeit her gegenüber der eher robusten Spielweise von Ronaldo. Und von der Persönlichkeit her sowieso.

Klimaaktivistin Greta Thunberg oder Shell-CEO Wael Sawan? Natürlich Wael Sawan. Ich schätze ihn als Menschen, und er ist ein guter Nachfolger meines Nachfolgers. Er wird Shell ins neue Energiezeitalter führen.

Haben Sie sich in Putin getäuscht?

Das würde ich nicht so formulieren. Zwischen Täuschung und der Entwicklung von Menschen mache ich einen Unterschied. Ich bin seit 2014 nicht mehr im Öl- und Gas-Geschäft. Das sind acht Jahre Distanz bis zum Kriegsbeginn.

Aber null Jahre bis zur Krim-Invasion.

Das ist richtig. Ich habe Putin immer als Gesprächspartner erlebt, der sehr gut vorbereitet war, der eine ganz klare Strategie und Richtung vorgezeigt hat, mit dem man aber auch geschäften konnte. Da würde ich nicht sagen, dass ich mich getäuscht habe. Aber in Sachen Machtanspruch, in Sachen Kriegsführung, ja, da kann man sagen, dass ich mich getäuscht habe.

Soll die Schweiz Waffen an die Ukraine liefern?

Das ist ein sehr politisches Thema, und als Firmenchef halte ich mich aus solchen Themen heraus.

Welche Rolle wird ABB beim Wiederaufbau der Ukraine spielen?

Das ist natürlich noch zu früh. Aber durch unsere strategische Positionierung sehen wir gewisse Möglichkeiten, sowohl bei der Elektrifizierung wie bei der Automatisierung. Denn neue Fabriken und Industriebetriebe werden wahrscheinlich eher automatisiert werden. Vor dem Krieg hatten wir quasi kein Geschäft in der Ukraine.

Was bedeutet die gegenseitige Entfremdung zwischen China und der westlichen Welt für ABB?

China ist für uns der zweitgrösste Markt nach den Vereinigten Staaten. ABB hat seit Jahrzehnten die Philosophie, dass wir in Ländern für das jeweilige Land produzieren. Da ist China keine Ausnahme: Rund 90 Prozent der in China verkauften Produkte werden dort auch hergestellt. Und das scheint im Moment ein Erfolgsrezept zu sein.

Viele westliche Firmen versuchen derzeit, ihre Abhängigkeit von China zu reduzieren, sowohl im Bereich der Lieferketten als auch das Klumpenrisiko beim Umsatz.

Das ist nicht die Strategie, die wir verfolgen. Wir sehen unser China-Geschäft als langfristiges Geschäft, in das wir auch weiterhin investieren. Aber es ist klar, in der gegenwärtigen angespannten geopolitischen Situation schaut man die Risiken genau an. Aber nochmals: Wir sind viel weniger von Exporten aus China abhängig als andere Firmen, die das Land einfach als grosse Fabrik mit tieferen Kosten benutzt und von dort aus die globalen Lieferketten bedient haben.

Steuern wir auf eine bipolare Welt zu?

Auf der technischen Seite ist das heute schon der Fall. Weltweit benutzen wir die Plattform von Microsoft für das Kundengeschäft. Aber in China nicht, da haben wir 2019, ich war damals CEO, das System von Huawei eingeführt. Auch, weil ein Grossteil unseres Geschäfts dort an staatliche Firmen geht. Und ich glaube, das wird sich eher noch etwas zuspitzen über die nächsten Jahre.

Und wenn wir über das Technische hinausschauen aufs Geopolitische?

Dann muss jedes Land schauen, wie es sich in dieser bipolaren Welt einordnet.

Wie muss sich die Schweiz positionieren?

Die Schweiz hat eine China-Strategie herausgegeben, zu der äussere ich mich nicht. Ich glaube, Europa und demzufolge auch die Schweiz haben in der ganzen geopolitischen Diskussion eigentlich eine gute Ausgangslage, um Brückenbauer zu sein. Und wir haben auch gewisse Vorteile, weil unsere Firmen sehr stark exportorientiert und innovativ sind.

Sie haben bei der Kreditanstalt während des Studiums Lehrlingsausbildung betrieben. Wie sehen Sie den Fall der Credit Suisse?

Die Credit Suisse war immer ein wichtiger Partner für uns, und zwar sowohl in der Schweiz wie auch global. Wir haben grossen Respekt vor vielen Leuten bei der Credit Suisse, mit denen wir sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Aus ABB-Sicht hätten wir es vorgezogen, auch in Zukunft zwei Grossbanken zu haben. Aber wir haben Vertrauen in das Management der UBS, dass wir als industrieller Kunde keine Nachteile erleiden werden. Und wenn ich die gesamte CS-Geschichte anschaue, dann geht der Untergang auf die Finanzkrise 2008 zurück …

… damals waren Sie im Verwaltungsrat der UBS, die vom Staat gerettet werden musste.

War ich. Damals hat man es versäumt, ähnlich wie in Amerika die Banken, und zwar alle Banken, mit genügend Kapital auszustatten. Das hätte man nicht nur bei der UBS, sondern auch bei der CS machen sollen. Deren Reaktion war dann nach der Finanzkrise, das Investment Banking aufzubauen, um dort hohe Profite zu erzielen. Das hat dann dazu geführt, dass die strategische Positionierung der CS nicht mehr zu ihren Stärken gepasst hat.

Welche Rolle hat in Ihrer Wahrnehmung die Tatsache gespielt, dass an der Spitze der Bank teilweise keine Schweizer und teilweise Branchenfremde waren?

Ich glaube nicht, dass die Nationalität eine Rolle spielt …

… auch nicht im stark regulierten Bankenumfeld, wo die Verbindungen nach Bundesbern essenziell sind?

Die kann man auch als Ausländer aufbauen – ich habe auch Shell geleitet, und ich war nicht Holländer oder Engländer. Aber branchenfremd zu sein, sehe ich im Finanzbereich als hohes Risiko – besonders wenn es gleich die beiden obersten Stufen, CEO und VR-Präsident, betrifft. Das müsste man dann verstärkt durch bankspezifische Kenntnisse in anderen Positionen auffangen. Aber man hat natürlich ein existierendes Machtgefüge.

Sie standen mit ABB in den 2000er Jahren ebenfalls vor dem Abgrund und konnten den Konzern retten. Was hätte die Credit Suisse von ABB in Sachen Krisenmanagement lernen können?

Man kann die Industrie nicht direkt mit der Bankbranche vergleichen. Aber die Kommunikation ist extrem wichtig. Und wenn ich mir die Kommunikation der Credit Suisse über die letzten Jahre anschaue, dann glaube ich, wir haben wesentlich offener, klarer, transparenter und viel früher kommuniziert. Nur deshalb haben wir auch die Unterstützung erhalten, die wir damals sehr brauchten – auch durch die Banken …

… auch durch die CS damals.

Die war sogar extrem wichtig, und dafür bin ich auch heute noch dankbar! Die CS war eine der vier Banken, die für das Überleben der ABB absolut essenziell waren, neben der Citi, Barclays und der Deutschen Bank. Und die Credit Suisse hat ihren Teil gestemmt und das auch gut gemacht. Daher gibt es diese starke Verbindung zwischen CS und ABB. Darum hätten wir auch gerne beide Grossbanken behalten. Aber ich glaube, die Aufräumarbeiten, die Kommunikation, die Konzentration auf die Stärken des Unternehmens und die Verminderung von Risiken, das wurde alles zu spät angepackt. Für das letzte Management inklusive Verwaltungsrat war nicht mehr viel möglich.

2023-05-25T08:10:48Z dg43tfdfdgfd