SVPLER VERSCHICKT FAKE NEWS AN SCHWEIZER HAUSHALTE – ETH LAUSANNE FINDET DAZU KLARE WORTE

Das SVP-Mitglied Kurt Zollinger verschickt faktenwidrige Flyer an zahlreiche Schweizer Haushalte und stützt sich auf Zahlen der ETH Lausanne. Diese meint jedoch, dass die Zahlen aus dem Zusammenhang gerissen würden.

Anonymes Schreiben in Schweizer Haushalten

Ein anonymes Schreiben ist zu Beginn der Woche in zahlreichen Briefkästen der Schweiz gelandet. Auf einer DIN-A4-Seite wird vor dem Klimaschutzgesetz gewarnt, das am 18. Juni an die Urne kommt. Gegenüber watson sagt Post-Sprecherin Jacqueline Bühlmann: «Ich kann Ihnen bestätigen, dass der Flyer schweizweit durch die Post zugestellt wurde.» Gezeichnet ist das Schreiben vom «Komitee Rettung Werkplatz Schweiz», das seinen Sitz im zürcherischen Stäfa haben soll.

Auf dem Flyer wird auf eine Website verwiesen, dort ist jedoch nicht zu erfahren, wer hinter dem Schreiben steckt. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass das Komitee vor einem Urnengang Briefe verschickt. Dasselbe tat es etwa vor der Abstimmung zur Durchsetzungs-Initiative. Damals war das Schreiben auf Kurt Zollinger zurückzuführen, der als Präsident der SVP Stäfa amtete.

Heute ist Zollinger nicht mehr Präsident der Ortspartei, sondern nur noch Mitglied. Auch bei diesem Schreiben ist er federführend. Er sei «der Organisator» des Briefes, sagt er gegenüber watson. Es würden aber «sehr viele Personen» dahinterstecken.

Zollinger hat eine Zutrittsberechtigung zum Bundeshaus, wie ein Republik-Journalist am Mittwoch auf Twitter schrieb. Demnach hat er die Berechtigung von Nationalrat Roger Köppel erhalten.

Über die Kosten des Versands will Zollinger keine Auskunft geben, jedoch rechnet der «Tages-Anzeiger» vor, dass er rund eine Million Franken gekostet hat. Die Post schickt für rund 665'000 Franken die Briefe an alle Schweizer Haushalte, hinzu kommt der Druck.

ETH Lausanne kontert

Gar keine Freude am Schreiben hat man an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). Im Brief steht, dass die EPFL mit Kosten von 400 Milliarden Franken rechne, falls das Klimaschutzgesetz angenommen werde.

«Aus dem Zusammenhang gerissen, verlieren diese Informationen ihren wissenschaftlichen Charakter und tragen in keiner Weise zur öffentlichen Meinungsbildung bei.» //EPFL

Auf Anfrage von watson sagt Corinne Feuz, Sprecherin der Hochschule: «Die EPFL begrüsst es, dass die Arbeit ihrer Wissenschaftler dazu dient, die öffentliche Debatte zu erhellen. Sie bedauert jedoch, dass in mehreren Fällen in jüngster Zeit bestimmte Akteure nur eine Zahl oder einen Aspekt einer Forschung herausgreifen und sich weder um die Argumentation, auf der sie beruht, noch um ihren Nutzen innerhalb einer wissenschaftlichen Beweisführung kümmern.»

Feuz erklärt: «In seiner Studie Future Swiss Energy Economy stellt Professor Andreas Züttel mehrere Szenarien auf, um die Kosten verschiedener Optionen für den Energiewandel zu beziffern.» Was die SVP und das Werkplatz-Komitee aus der Studie gemacht haben, stösst der EPFL sauer auf. «Die SVP wählte für ihre Kampagne das teuerste – und am wenigsten realistische – Szenario, in dem die Schweiz ihre gesamte Energie selbst produzieren würde (insbesondere durch die Herstellung synthetischer Kraftstoffe). Ein rein theoretisches Szenario, das der Autor der Studie selbst ausschliesst, das aber innerhalb seiner wissenschaftlichen Beweisführung durchaus seinen Nutzen hat.»

Feuz meint: «Aus dem Zusammenhang gerissen, verlieren diese Informationen ihren wissenschaftlichen Charakter und tragen in keiner Weise zur öffentlichen Meinungsbildung bei.»

Post überprüft Inhalte nicht

Ist es erlaubt, während eines Abstimmungskampfes Informationen zu verschicken, die faktenwidrig sind? Die Antwort ist: Ja. Auf der Website des Bundes ch.ch steht, es sei «vieles erlaubt». «Beispielsweise ist es nicht komplett verboten, willentlich falsche Informationen (Fake News) zu verbreiten.»

Als Privatperson kann man nicht verhindern, dass solche Sendungen im Briefkasten landen. Ein Stopp-Werbung-Kleber nützt nichts. Auf der Website des Konsumentenschutzes steht: «Mitteilungen von Bund, Kantonen oder Gemeinden, Politwerbung sowie amtliche Anzeiger gelten als sogenannte offizielle Post und werden in alle Briefkästen verteilt.»

Und die Post? Muss sie nicht überprüfen, ob sie Fake News verteilt? Auf Anfrage von watson sagt Post-Sprecherin Bühlmann: «Die Post stellt Sendungen im Auftrag ihrer Auftraggeber zu und muss und kann nicht überprüfen, ob diese damit allenfalls geltendes Recht verletzen. In anderen Worten: Es ist Sache des Auftraggebers sicherzustellen, dass seine Sendungen keine rechtlichen Bestimmungen verletzen. Die Post überprüft die aufgegebenen Sendungen inhaltlich nicht auf Rechtskonformität. Dazu ist sie weder in der Lage noch verpflichtet.»

Die Post stütze sich bei dieser Regelung auf die Grundsätze der schweizerischen Lauterkeitskommission SLK, welche mit dem Konsumentenschutz abgesprochen und akzeptiert seien.

GLP-Nationalrätin: «Verschwörungstheorien verbreitet»

Auch beim Ja-Komitee zum Klimaschutz hat man das Schreiben zur Kenntnis genommen. «In diesem Brief werden anonym Verschwörungstheorien verbreitet, die weder dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen noch den Inhalten des Klimaschutzgesetzes», sagt GLP-Nationalrätin Barbara Schaffner gegenüber watson.

Auf Seiten der SVP hat man sich bisher noch nicht vom faktenwidrigen Schreiben distanziert. Im Gegenteil: Mindestens ein SVP-Nationalrat hat den Brief auf Twitter geteilt und dazu geschrieben, dass er «vernünftige Nachrichten» beinhalte.

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