OECD-MINDESTSTEUER: KARIN KELLER-SUTTER SOLL ETWAS VERSCHWIEGEN HABEN

Finanzministerin Karin Keller-Sutter soll wichtige Details zur OECD-Mindeststeuer für sich behalten haben, wie ein Medienbericht behauptet. Das Finanzdepartement widerspricht dieser Darstellung – aber auch nicht ganz.

Karin Keller-Sutter von der FDP hat als Finanzministerin bisher ein Totschlagargument gehabt: Lehnt das Volk die OECD-Mindeststeuer am 18. Juni ab, dann «verschenkt» die Schweiz Steuergelder in Millionenhöhe ans Ausland.

Zum einen, weil andere Länder zum Ausgleich mehr Steuern von Unternehmen verlangen könnten, wenn diese in der Schweiz nicht die Mindeststeuer von 15 Prozent zahlen müssten. Zum anderen, weil eine neue Vorlage nicht rechtzeitig bereit wäre. Es gäbe kein Zurück mehr.

Die «Wochenzeitung» (WOZ) hat am Donnerstag aufgedeckt, dass Letzteres nicht stimmt und die Finanzministerin das angeblich auch weiss. Die WOZ behauptet, dass Keller-Sutter «für den Fall eines Neins einen ‹Plan B› bereit[hält], mit dem eine korrigierte Reform rechtzeitig umgesetzt werden könnte». Rechtzeitig heisst hier zum 1. Januar 2024.

Mittels Öffentlichkeitsgesetz ist die WOZ an interne E-Mails gelangt, die offenbar zeigen, dass die Vorlage bei einem Nein durchaus in der diesjährigen Herbstsession vom Parlament angepasst werden und im März 2024 an die Urne kommen könnte. Ebenfalls wäre es «rechtlich zulässig», dass die OECD-Mindeststeuer rückwirkend auf 1. Januar 2024 implementiert werden würde. Das geht aus einem Screenshot hervor, den die WOZ ihrem Artikel zum Beweis beigefügt hat.

Dass dem so ist, bestätigt der Steuerexperte René Matteotti in der «Tagesschau» vom Sonntag:

«Eine Rückwirkung ist immer unschön, aber rechtlich gesehen wäre sie wohl möglich.»

Finanzdepartement weicht aus

Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) hat die Darstellungen der WOZ am Donnerstag in einer Mitteilung als «falsch» und «irreführend» bezeichnet.

Es gebe keinen Plan B, mit dem das EFD die Einführung der OECD-Mindeststeuern per 1. Januar 2024 «sicherstellen» könne, wenn die Vorlage vom Volk am 18. Juni abgelehnt werden würde. Das gelte unabhängig davon, ob eine Rückwirkung rechtlich möglich sei oder nicht.

Darum sei es «nicht möglich», vor einer zweiten Abstimmung die «Rechtssicherheit» einer allfälligen Alternative zu garantieren. Das EFD schliesst mit dem Satz:

«Fazit: Wird die Vorlage am 18. Juni vom Volk oder den Ständen abgelehnt, wäre unklar, ob und wann die Schweiz die Mindestbesteuerung einführen könnte.»

Ausschlaggebend ist das Wort «sicherstellen», welches das Ganze einem Eingeständnis gleichkommen lässt. Das EFD dementiert damit nämlich nicht, dass es einen Plan B gehabt und, wie von der WOZ behauptet, diesen verheimlicht hat, sondern sagt nur, dass der Plan B eine Rückwirkung per 1. Januar 2024 nicht garantieren könne, weil es dafür einen Volksentscheid brauche, von dem noch nicht klar sei, wie er ausgehen werde.

Damit stellt das EFD eigentlich nur das Offensichtliche fest: Die Regierung weiss erst, was wird, wenn das Volk darüber abgestimmt hat. So weit, so logisch.

Warum Keller-Sutter, wie von der WOZ behauptet, aber an ihrem Totschlagargument festgehalten hat, obwohl sie offenbar wusste, dass eine Rückwirkung möglich wäre, dazu sagt das EFD nichts.

Der Autor des WOZ-Artikels wirft dem EFD in einem Tweet vor, mit «Nebelpetarden» zu werfen. Das sei, angesichts der Tatsache, dass das Departement zu Transparenz verpflichtet sei, irritierend.

Medien und Volk «in die Irre geführt»

Die WOZ wirft dem Departement und Keller-Sutter auch vor, die Medien – und damit auch das Volk – diesbezüglich «wiederholt in die Irre geführt» zu haben. Die Zeitung schreibt:

«Fakt ist, dass das Finanzdepartement und Keller-Sutter persönlich auf explizite Fragen nach einer möglichen Rückwirkung beziehungsweise einem ‹Plan B› dessen Existenz verschwiegen haben.»

Dabei bezieht sich die WOZ unter anderem darauf, dass eine SRF-Journalistin an einer Medienkonferenz zur OECD-Mindeststeuer explizit nach einem Plan B gefragt hat, Keller-Sutter aber nichts dazu gesagt hat, obwohl es laut den Recherchen der WOZ zu diesem Zeitpunkt den Plan B bereits gegeben hat.

Die Frage der SRF-Journalistin sei zwar an eine Kantonsvertreterin adressiert gewesen, räumt die WOZ ein, aber Keller-Sutter habe danach auch das Wort ergriffen – und dann «nicht nur» ihren Plan B verschwiegen, sondern auch behauptet, dass es am 18. Juni darum gehe, ob die Schweiz das Geld behalte oder dieses ins Ausland verschenke. Für die WOZ ist das faktisch falsch.

In der Richtigstellung schreibt das EFD, dass die Bundesrätin nie direkt danach gefragt wurde, ob eine Rückwirkung rechtlich möglich wäre. Bei der Medienkonferenz habe sie die Antwort nur «ergänzt» und gesagt, dass es unwahrscheinlich ist, dass «die Vorlage noch in diesem Jahr zur Abstimmung kommen würde». Die WOZ oder andere Medien hätten sie aber nie explizit nach einer Rückwirkung gefragt.

Volk unter weniger Druck

Das Totschlagargument von Keller-Sutter hat mit dem Artikel der WOZ jedenfalls an Kraft verloren. Denn: Mit einer möglichen Rückwirkung verliert die Schweiz erst einmal kein Geld ans Ausland – vorausgesetzt, das Volk spricht sich innert nützlicher Frist für die OECD-Mindeststeuer aus.

Auch steht das Volk jetzt weniger unter Druck, die Vorlage am 18. Juni unbedingt annehmen zu müssen, und kann, wenn es will, auf eine angepasste Vorlage warten, die vielleicht eine andere Verteilung der Einnahmen vorsieht.

Diese würden bei einem Ja am 18. Juni nämlich zu 75 Prozent an die Kantone und zu 25 Prozent an den Bund gehen. Die SP, der Gewerkschaftsbund und diverse NGOs finden das ungerecht, weil er einzelne Kantone (namentlich Tiefsteuerkantone wie Basel-Stadt und Zug) «zu stark bevorteilt». Sie fordern eine neue Lösung, bei der Bund und Kantone jeweils die Hälfte der Einnahmen bekommen würden.

Wie das Ganze ausgehen wird, wird das Volk entscheiden – entweder im Juni oder im März.

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