KELLEHER, HAMERS UND KHAN: WIE DAS ALPHA-TRIO DER UBS ZUSAMMENSPIELT

Auf der ­Suche nach ­einem Gleich­gewicht: Wie sich die Machtbalance an der Spitze der ­Grossbank neu austariert.

Es war eine illustre Runde, die sich zur Abschiedsfeier eingefunden hatte. Geladen war ins Restaurant Kindli am Rande der Zürcher Altstadt, und mehr als 50 hochkarätige Banker waren an diesem Septemberabend gekommen, um einen Mann zu ehren, der 22 Jahre für die UBS gearbeitet hatte und einst sowohl für Sergio Ermotti als auch für Oswald Grübel die wichtigste Stütze der Bank war: Tom Naratil. Seine beiden Ex-Chefs, kommunikativ mit eher geringem gegenseitigem Austauschbedarf, waren beide vor Ort. Es war ihnen wichtig.

Das Überraschende an dem Anlass, wie mehrere Teilnehmer berichteten: Naratil, bis dahin als Co-Chef des Wealth Managements und Amerika-Chef Herr über den Markt mit den meisten Milliardären der Welt, liess wenig Zweifel daran, dass er gern geblieben wäre – und dass er sich jetzt woanders umschaue. Offenen Groll zeigte der 61-Jährige zwar nicht, da blieb der Veteran professionell bis zum Schluss. Aber so ganz harmonisch war der Abschied des Mannes, den Ermotti sogar als seinen Nachfolger portiert hatte, auch nicht.

Für die einen ist der Abgang des verdienten Amerikaners ein Zeichen, dass CEO Ralph Hamers auch vor den grossen Namen beim Umbau nicht haltmacht. Für andere ist es der erste grosse Fehler des Holländers, der seit zweieinhalb Jahren die Grossbank führt. Denn mit dem Abgang Naratils stellte er gleichzeitig das gesamte Wealth Management unter eine Führung – und schafft damit nicht nur einen Koloss innerhalb der Bank, was nicht unbedingt die von Hamers propagierte Agilität verkörpert, zumal das US-Geschäft bei Struktur und Regulatorien mit dem Rest der Welt chronisch unkompatibel ist.

Botschaft: Alles In Minne

Vor allem: Der Umbau verleiht einem Mann grosse Macht, der jetzt über mehr als die Hälfte von Einnahmen und Profit befehligt und von der «Financial Times» als «extrem ehrgeizig» beschrieben wird: Iqbal Khan, Schweizer mit pakistanischen Wurzeln und vor dreieinhalb Jahren mit grossem Getöse im Zuge der CS-Spionageaffäre zur UBS gewechselt. «Aus machiavellistischer Sicht hat Hamers hier einen Fehler begangen», sagt ein hochrangiger Manager. «Aber so denkt er eben nicht.»

Der Hauptsitz der UBS an der Bahnhofstrasse 45, ein kalter Januarmorgen. «Heute ist der erste Tag, an dem wir keine Krawatte mehr tragen müssen», flötet der Portier – nur das Einstecktuch in UBS-Farben und der Drei-Schlüssel-Pin im Knopfloch sind noch Pflicht. Das von Hamers aufwendig destillierte Purpose-Motto prangt in grossen Lettern am Empfangstresen: «Reimagining the power of investing. Connecting people for a better world.» Viel Idealismus in einem Geschäft, das eher nicht unter Weltverbesserungs-Verdacht steht. Hamers’ Vorgänger Ermotti oder Grübel wären kaum auf diese Idee gekommen – und auch sein neuer VR-Präsident Colm Kelleher gilt als Zahlenmensch, der sich den grossen Sinnfragen lieber abseits des Geschäfts bei einer Zigarre zuwendet.

Hamers empfängt in einem Sitzungszimmer im dritten Stock. Seine Beziehung zum neuen Präsidenten Kelleher, gern strapaziertes Thema hässlicher Spekulationen? «Die Gerüchte von einem Machtkampf sind kompletter Unsinn.» Und auch für seinen mächtigsten Spartenmanager Khan findet er nur lobende Worte: kundenfokussiert, ein sehr guter Teamplayer. Die Botschaft, natürlich: Alles in Minne.

Gerade in der Kommunikation könnte der Unterschied zu dem vorherigen Führungsduo Sergio Ermotti und Axel Weber kaum grösser sein. Die schweizerisch-deutsche Kombination führte das Haus traditionell: top-down, klare Hierarchien, mit wenig direktem Zugang zu den tieferen Chargen. Dafür aber in der Aussenwahrnehmung durchaus präsent: Weber bespielte die öffentliche Bühne mit grosser Lust, und Ermotti mischte sich auch gern in die Politik ein und legte sich schon mal mit einem eher randständigen Blogger an, wenn ihm dessen Meinung nicht passte. Die Offenheit strahlte auf die anderen Konzernleitungsmitglieder ab: Hier ein Interview, dort ein Auftritt – die UBS war ein Open House.

Heute ist die Lage umgekehrt. Hamers, den intern alle Ralph nennen, gilt in der Belegschaft als umgänglich, nahbar, offen, ohne Allüren. Gleichzeitig ist die Bank nach aussen fast eine Bastion. Der neue Präsident Kelleher hat sich einmal für ein BILANZ-Porträt zur Verfügung gestellt, liess sich aber für sein erstes Interview in der Schweiz in der «NZZ» zehn Monate Zeit. Auch Hamers tritt für einen UBS-Chef hierzulande eher spärlich auf, mal beim Swiss Economic Forum, mal bei der Swiss-American Chamber of Commerce, zuletzt jubelte die Genfer Zeitung «Le Temps» über das erste Interview in der Romandie – nach mehr als zwei Jahren. Der traditionelle Presseanlass beim WEF, bei dem sich die Konzernleitung bei einem Frühstück informell mit den Journalisten austauschte, wurde dieses Jahr gestrichen. Das grosse Schweigen hat auch die anderen Konzernleitungsmitglieder erfasst. Als Khan von der CS zur UBS wechselte, klagte er über die Medienkontrolle des damaligen CS-CEO Tidjane Thiam, durch die er seine Leistungen nicht kommunizieren durfte. Jetzt taucht Khan gar nicht mehr auf. Beim WEF sollte er an einem UBS-Anlass sprechen, sagte aber ab. Und selbst in den Regionen geben sich die Verantwortlichen nach aussen auffallend zurückhaltend. Wenn schon kurze Statements, dann nur zum Geschäft. Bloss nichts Persönliches.

Gossip aus Zürich

Und so spriessen die Gerüchte. Mal ist von einem Machtkampf zwischen Kelleher und Hamers die Rede, dann will Khan Hamers stürzen, dann gerät angeblich die neue Finanzchefin Sarah Youngwood zwischen die Fronten von Präsident und CEO. Doch die Bank hält es nach aussen mit den Royals: «Never explain, never complain.»

Es ist die Gelassenheit des Marktführers. Für Negativschlagzeilen ist seit Monaten die Credit Suisse verantwortlich, die UBS hat sich dagegen gemessen an ihrem Buchwert zur höchstbewerteten Grossbank Europas hochgearbeitet, von der ZKB in einer Studie jüngst als «gut geölte Maschine» geadelt. 60 Prozent der Analysten stellen die Aktie auf Kauf, nur 5 Prozent auf Verkauf. Seit dem Antritt von Hamers ist der Kurs um 25 Prozent gestiegen. Da springt man nicht über jeden Stock im kleinen Heimmarkt.

Zudem spielt beim Führungsduo auch eine Verwunderung über die Schweizer Medienszene eine Rolle. «Ich war 32 Jahre bei Morgan Stanley, und in dieser ganzen Zeit hatten wir nie diesen Gossip und diese Blogs, die wir in Zürich haben», sagte Kelleher im November bei einer «Financial Times»-Konferenz. «Ich war es gewohnt, dass man sich für das Professionelle interessiert, nicht für das Privatleben», betonte auch Hamers gegenüber «Le Temps». So lernen es die ausländischen Chefs auf die leidvolle Art: Die Aufmerksamkeit, die die Schweizer ihren Grossbanken entgegenbringen, ist eben ungewöhnlich – in einem urdemokratischen Land, das seinen Präsidenten jährlich wechselt, aber die Weltmacht der Vermögensverwaltung darstellt, sind die UBS-Chefs die Royals der Firmenszene.

Doch dass selbst die sonst so akkuraten Berichterstatter von Bloomberg, Kelleher aus seinen Wall-Street-Jahren bestens bekannt, im Zürcher Büro einen eher boulevardesken Stil pflegen, kam dann doch überraschend. «In der Raucherecke der UBS-Tiefgarage schwelt eine Palastintrige», lautete der Titel des Artikels von Ende Oktober. Er beschrieb, wie sich Khan mit dem Risikochef angeblich bei Zigarettenpausen gegen Hamers verschwört. Der Unmut über die Story wurde in der Bloomberg-Zentrale in New York deponiert.

Doch es gilt eben auch: Der persönlich-soziale Bezugsraum des Niederländers Hamers und des Iren Kelleher ist nicht die Schweiz, beide müssen ihr Ego hier medial nicht pflegen, und so gestaltet sich der Blick auf den Heimmarkt eher nüchtern. Ein wichtiger Markt gewiss, aber lange nicht so gewichtig wie die USA oder Asien und für den Aktienkurs auch nicht zentral: Die grossen Aktionäre sitzen in New York und London. Man könnte auch sagen: Die UBS wird erwachsen – es ist die Nestléisierung der Grossbank: als Hors-sol-Konzern, der in seinem eigenen Orbit kreist und sich von der Schweiz weitgehend abkoppelt. Doch selbst der Nahrungsmittelriese gibt sich schweizerischer – solange eine Schweizer Fahne auf dem Dach weht, so das Mantra in Vevey, rechnen wir auch in Franken. Die UBS hat längst auf Dollar umgestellt.

Eisernes Schweigen

Jedoch: Die Machtkampf-Gerüchte allein auf die Schweizer Medienszene zurückzuführen, greift zu kurz. Die Kommunikationsverweigerung nach dem Akquisitions-Abbruch des kalifornischen Vermögensverwalters Wealthfront im September, auch im internationalen Massstab ungewöhnlich, befeuerte auch bei den angelsächsischen Leitmedien wie der «Financial Times» Gerüchte über ein Zerwürfnis zwischen Kelleher und Hamers und ein angebliches Bündnis von Khan mit Kelleher gegen den CEO. Dass die Bank keine Begründung für den Abbruch nannte, liess die Bedeutung des eher marginalen Zukaufs unnötig anschwellen. Intern werden rechtliche Gründe für die Schmallippigkeit angeführt, und statt einer Breakup Fee, die bei einem Kaufpreis von 1,4 Milliarden Dollar schnell einmal auf 300 Millionen ansteigen kann, bot der Vertrag offenbar eine Ausstiegsmöglichkeit, die der UBS bei einem kleinen Investment – einer Wandelanleihe in Höhe von 70 Millionen Dollar – den Abgang ermöglichte. Teil der Vereinbarung: eisernes Schweigen.

Immerhin gaben die Chefs schnell Gegensteuer. Sie trafen sich zu einem ersten gemeinsamen Fireside Chat, der an die mehr als 70'000 Mitarbeiter übertragen wurde. Botschaft: Wir stehen eng zusammen. Kelleher als Banker alter Schule, der offen zugab, sich in Digitalisierungsfragen nicht so auszukennen, Hamers als Mann der Organisationsoptimierung. Bei der «Financial Times»-Konferenz wiederholte der Chelsea-Fan Kelleher dann nochmals: «Wir kommen phänomenal gut miteinander aus.» Es klang fast wie der rituelle Treueschwur eines Präsidenten für seinen belagerten Trainer.

Doch die Ausgangslage ist hier in der Tat anders. Kelleher erlebte als Finanzchef von Morgan Stanley die Finanzkrise im New Yorker Epizentrum und sicherte das Überleben der Wall-Street-Ikone – die Bank stand 22 Minuten vor der Konkursmeldung. Er geniesst in der noch immer machohaften Szene der Investmentbanker, in der sich alle kennen und belauern, einen exzellenten Ruf. Laut wird er selten, doch seine engsten Mitarbeiter wissen: Ein Zucken der Augenbraue signalisiert höchste Gefahr. Er leitete lange das operative Geschäft bei Morgan Stanley, im Kapitalmarktgeschäft und auch im Wealth Management, das das Wall-Street-Haus im letzten Jahrzehnt stark forcierte, ist er deutlich erfahrener als Hamers, der vor seinem UBS-Antritt sieben Jahre als CEO die niederländische Grossbank ING steuerte. In der Bankhierarchie sehen sich die Investmentbanker ganz oben, was sie mit ihren zweistelligen Millionenpaketen demonstrieren. Unten darben die Retailbanker mit ihren kargen Salären. Kelleher traf sich auch mit ehemaligen Bankchefs vor seinem Antritt, die ihm schmunzelnd berichteten: Ja, der Neue bei der UBS sei halt ein Retailbanker.

Auch die Absage des Wealthfront-Deals ist in diesem Spannungsfeld zu suchen: Der bislang stets defizitäre Tech-Broker bot Zugang zu einer Kundschaft mit Durchschnittsvermögen von 50'000 Dollar – klassische Retailklientel, die Hamers bei ING im Visier hatte. «Das war wie Aldi gegen Sprüngli», sagt ein hochrangiger Banker. Kelleher war angesichts der fallenden Tech-Bewertungen der Preis zu hoch – und er suchte die Retailklientel nicht. Er setzt – wie auch Khan – auf das Geschäft mit den Superreichen. Hamers wollte zudem mit der Wealthfront-Technologie den DigitalRückstand in den USA aufholen. Doch auch dieser Punkt überzeugte angesichts des hohen Preises am Ende nicht mehr.

Allerdings: Hamers ist mehr als ein klassischer Retailbanker, und dass sich auch die Bankenwelt durch die Digitalisierung massiv verändert, hat auch bei der alten Garde ein diffuses Gefühl der Verunsicherung ausgelöst. In diese Lücke stösst Hamers, der ebenfalls mit grosser Erfahrung bestückt ist: Die Einsamkeit eines CEO kennt er seit Jahren, er hat einen grossen Konzernumbau – die Abspaltung des Post-Geschäfts bei ING – durchexerziert, und starkes mediales Feuer ist er gewohnt – in seiner Heimat brach einst ein Sturm los, weil sein Cheflohn auf für Schweizer Verhältnisse eher schüchterne drei Millionen Euro angehoben werden sollte. Das IT-Budget der UBS war schon vor dem Antritt von Hamers hoch, und in manchen Bereichen war die Bank bei der Digitalisierung deutlich weiter als ING.

Doch der Unterschied ist: Hamers lebt die Digitalisierung. «Er hat der Bank einen richtigen Stromstoss verpasst», sagt ein langjähriger Manager. Kelleher weiss, dass er diese Kompetenzen nicht hat, und so liegt die Stärke des Führungsduos vor allem in ihrer Komplementarität: hier der Ökonom Hamers mit mathematischem Hintergrund und binärem Entscheidungsraster, der sich für Radsport begeistert, dort der Historiker Kelleher mit viel Erfahrung und ausgeprägtem Pragmatismus, der auf seiner Dachterrasse in der Zürcher Innenstadt – die Wohnung hat er von Vorgänger Weber übernommen – seine Zigarren geniesst, gern auch bei einem Whisky. Als Ire und Niederländer kennen beide auch das Gefühl des Underdogs, deshalb gefällt ihnen die egalitäre Schweiz. Und beide verbindet ein zuweilen durchaus exzentrischer Humor. Jeden Montag treffen sie sich zum Jour fixe, wenn immer möglich physisch und mindestens für eine Stunde.

Es gibt also keinen Machtkampf, sondern ein normales Eingewöhnungsritual, wie es auch bei dem Vorgänger-Tandem Ermotti-Weber in den Anfangszeiten zu besichtigen war. Der Unterschied: Wenn es um spezielle Bankfragen ging, wusste der Ökonomieprofessor Weber stets, ab welchem Punkt er dem Bankprofi Ermotti das Feld überlassen musste. Das ist jetzt anders: Kellehers Bankexpertise greift tief. Und so bedeutet sein Antritt eine Verschiebung der Machtbalance. In den Niederlanden ist die Rolle des Verwaltungsrates eher schwach, die Verantwortung für die Strategie liegt primär bei der Konzernleitung. Das gilt in der Schweiz nicht und bedeutet für Hamers eine Umstellung. Denn Kelleher hat genau studiert, dass das Schweizer Aktienrecht dem Präsidenten die strategische Oberleitung zuspricht, was ja auch die Hauptbegründung liefert für das mit sechs Millionen Franken höchste Präsidentensalär der Bankenwelt. Kelleher, daran lässt er intern keinen Zweifel, ist ein Hands-On-Chairman.

Ziel Kurssteigerung

Er studiert nicht nur die Zahlen akribisch. Dass sich Hamers, der ohne Mitstreiter von Amsterdam nach Zürich wechselte, am Anfang wegen Corona nicht stark genug mit seinen Konzernleitungskollegen verbinden konnte, will Kelleher als eine Art väterlicher Coach ändern. Auch mit der neuen Finanzchefin Youngwood, die keine Erfahrung als Group-CFO hatte, hält er engen Betreuungskontakt. Acht Standorte in der Schweiz hat er schon besucht, den Kontakt mit den Bundesräten sucht er direkt – die Verantwortung als Präsident ist eben nicht teilbar. Sein Vize Lukas Gähwiler pflegt vor allem den Kontakt zu den Verbänden – bei der Bankiervereinigung etwa, eigentlich Revier des UBS-Präsidenten, vertritt er die Grossbank als Vizepräsident durchaus gewichtig.

Doch nach aussen lässt Kelleher seinem CEO den Vortritt. Beim WEF-Kundendinner war früher Präsident Weber die dominierende Person, und Ermotti wirkte bei zu langen Ausführungen seines Präsidenten zuweilen so, als habe er auf eine Zitrone gebissen. Beim diesjährigen Anlass sagte Kelleher kein Wort, die Begrüssung übernahm Hamers, wie auch die TV-Auftritte etwa bei CNBC. Dafür verfolgt Kelleher hinter den Kulissen umso mehr das Ziel eines klassischen Investmentbankers: den Kurs in die Höhe zu treiben.

Als er im November auf einem Panel in Hongkong die Chancen in China lobte, hagelte es Kritik. Dabei setzt er nur klare Prioritäten. Er will dorthin, wo die meisten Milliardäre sind: China und USA. Dass sein Ex-Arbeitgeber Morgan Stanley mit seinem langjährigen Vorgesetzten James Gorman an der Börse zum 1,6-Fachen des Buchwerts gehandelt wird und damit höher als die UBS, stachelt ihn besonders an. Auch Goldman-Sachs-Chef David Solomon und Bank-of-America-Vormann Brian Moynihan sieht er als Rivalen. «Unser Wealth Management ist das beste der Welt. Es gibt keinen Grund, dass wir in der Bewertung so deutlich hinter unseren amerikanischen Rivalen zurückliegen», betont er gegenüber BILANZ.

Kosten im Griff

Andererseits sieht auch Kelleher die Erfolge, die Hamers zu verzeichnen hat: Die lange verkrustete Bank ist deutlich durchlässiger geworden. Schon letztes Jahr bemass sich der gesamte Bonus der Konzernleitung am Gesamtresultat und nicht an Spartenergebnissen, ein scharfes Signal gegen das noch immer zu verbreitete Silodenken. Neu gilt diese Systematik teilweise auch für die zweite und dritte Führungsstufe. Mit seinem Programm «Unlock» hat Hamers eine grosse Zahl an Initiativen angestossen, die Auflistung über die Veränderungen seit seinem Amtsantritt umfasst allein 50 erreichte Zielwerte mit einer grossen Zahl von Unterpunkten. In der Schweiz und im Wealth Management in Asien und Europa hat Hamers etwa die Zahl der Hierarchiestufen von sieben auf fünf reduziert. Das von ihm eingeführte agile Arbeiten, bei dem die Entscheidungen schnell und hierarchiefrei nach Kompetenz getroffen werden, gilt bereits für 18'000 Mitarbeiter, in einem Jahr sollen es mehr als 22'000 Mitarbeiter sein.

Doch es bleibt ein steiniger Weg: Die vier Sparten – Wealth Management, Investmentbanking, Asset Management und das Schweizer Retailgeschaft – sind nur bis zu einem gewissen Punkt integrierbar, die Geschäfte sind schlicht zu unterschiedlich. Die Bürokratie ist noch immer gewaltig. Dass Hamers den mehr als 100 Group Managing Directors ihren Sondertitel einfach gestrichen hat, spricht zwar für seine Durchsetzungskraft. Doch die betroffenen Führungskräfte wurden nicht verabschiedet und sorgen mancherorts für böses Blut. Kommt hinzu, dass bei der Transformation für Aussenstehende schwer nachvollziehbar sei, «wie gut sie zieht», urteilt die ZKB. Mehrere Male habe er an Agility-Workshops teilnehmen müssen, ätzt ein langjähriger Vermögensverwalter, er habe das Konzept aber bis heute nicht verstanden. Dass in der ING-Zentrale genderneutrale Toiletten existieren, ein Umbau, den Hamers orchestriert habe, wird ebenfalls gegen den Chef verwendet.

Doch eine Kennzahl ist messbar, und sie spricht vor allem in Analystenkreisen für Hamers. Die zu hohen Kosten waren vor seinem Antritt immer ein Kritikpunkt. Hamers hat sie in den letzten Jahren konstant gehalten, trotz hoher Investitionen. Dass hinter all den hehren Purpose-Versprechen ein eiserner Kostenwind weht, bringt ihm dann intern auch den Vorwurf der Doppelmoral ein. Für das «Right to invest» gilt: Jede Abteilung muss es sich durch Effizenzsteigerungen erarbeiten. Das Kosten-Ertrags-Verhältnis ist dann auch auf tiefe 71 Prozent gesunken.

Wie konsequent Hamers vorgeht, zeigt sich auch bei der Neubesetzung der Konzernleitung. Ab 60 Jahren tickt die Uhr, diesem Gesetz fielen bereits Markus Diethelm, Axel Lehmann und Kirt Gardner zum Opfer – und zuletzt eben auch der verdiente Tom Naratil. Doch gerade im US-Geschäft kam der Entscheid nicht gut an, denn Naratil hatte dort ein extrem hohes Ansehen. Und da Hamers klare Verantwortlichkeiten will («Ich bin kein Anhänger von Co-Chefs auf Konzernleitungsebene»), war es für ihn ein logischer Folgeentscheid, Iqbal Khan zum alleinigen Chef der Königssparte zu ernennen – seinen potenziell grössten Rivalen.

Der Aufsteiger müsste ihm deshalb zu Dank verpflichtet sein, doch es ist ein gefährliches Geschenk. Einerseits wegen Khans Vorgeschichte: Auch wenn er in der Schlammschlacht mit seinem Ex-Chef Thiam vor allem als Opfer galt, so bleiben doch Restzweifel, wie es um seine Loyalität gegenüber Vorgesetzten bestellt ist. Dass er in der Tiefgarage Putschpläne schmiedet, wie von Bloomberg beschrieben, scheint zwar weit hergeholt, zumal er die Raucherecke dort schon vor der Ankunft von Hamers frequentierte. Doch dass der Verdacht bei ihm eben besonders schnell im Raum seht, ist seine besondere Hypothek. Und dass er von zu luftigen Purpose-Initiativen eher wenig hält und sich eher als obersten Verkaufsturbo sieht, bestätigen mehrere Mitarbeiter. Das Konzeptionelle von Hamers geht ihm ab. Naratil war da breiter, etwa was die Einführung neuer Technologien angeht.

Kommt hinzu, dass eine Integration des US-Markts schon aus regulatorischen Gründen hochkomplex ist. Die mehr als 6000 Finanzberater arbeiten de facto als selbstständige Unternehmer, die mit hohen Provisionen die Kosten hochtreiben. Khan steht zudem unter besonderer Beobachtung von Kelleher, für den der US-Ausbau höchste Priorität hat. Der Präsident will die Kennzahlen zum US-Geschäft wieder separat offenlegen, was die schwache Profitabiliät offenbaren wird – aber auch das Potenzial, das Khan heben muss.

Allein ist er nicht. Der US-Verkaufschef Jason Chandler gilt intern als ruchloser Einpeitscher. Und als neue Amerika-Chefin ist mit Naureen Hassan eine technologieaffine Bankerin an Bord, die zwar von Hamers geholt wurde, aber Kelleher besonders gut kennt: Gemeinsam führten sie das Wealth Management bei Morgan Stanley zur Blüte, jetzt soll sich Hassan vor allem um die Digitalisierung des US-Geschäfts kümmern. Khan weiss: Er kann nur als Teamplayer reüssieren.

Zeithorizont zehn Jahre

Sein Vorteil: Im Verwaltungsrat gilt er schon heute als erster Ersatzkandidat, falls der 56-jährige Hamers ausfallen sollte. Das bedingt schon die Position: Die beiden anderen Kandidaten, die 57-jährige Schweiz-Chefin Sabine Keller-Busse und der 55-jährige Investmentbanking-Chef Robert Karofsky, sind zwar intern unangefochten, doch zu weit weg vom Kerngeschäft. Zudem verkörpert Khan mit 46 Jahren die nächste Generation. Kelleher hält viel vom kundengetriebenen und sozial weitläufig kompatiblen Khan, auch wenn der Wealth-Management-Chef bei Technologie- und Risikothemen noch zulegen muss. Der 65-Jährige, der zehn Jahre auf dem Präsidentensessel bleiben will und deshalb wohl irgendwann über die Hamers-Nachfolge entscheiden wird, strebt eine interne Lösung an.

Doch er hat Zeit. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass die Entscheidung über die Eröffnung eines Geldwäscheverfahrens gegen Hamers aus seiner ING-Zeit grosse Dringlichkeit in den Niederlanden hat. Und selbst wenn das Verfahren kommt, müsste Hamers nur gehen, wenn neue belastende Fakten auftauchten. Das gilt nach derzeitigem Stand als unwahrscheinlich.

Und Khan weiss auch: Kronprinzen gab es schon viele bei der UBS. An die Spitze haben es nur die wenigsten geschafft.

2023-01-26T16:15:39Z dg43tfdfdgfd