Noch jung und dennoch omnipräsent: Raymond Cloosterman steckt hinter der Kosmetikmarke. Nun will er Gutes bewirken.
In zwei benachbarten Häusern an Amsterdams edler Herengracht versteckt sich das Hauptquartier der Marke Rituals, von aussen kaum zu erahnen. Innen hohe Decken, lichte Räume, schöne Menschen, mit Stil gekleidet. Mastermind Raymond Cloosterman trifft leicht verspätet ein, er hat neuen Mitarbeitern gerade die Firma erklärt.
Na ja, das ist viele Jahre her, und ich hatte damals noch braune Haare. Meine Familie lacht immer, wenn das zur Sprache kommt.
Klar, ich mag Stil, wenn Sie so wollen. Unser Geschäft ist, Menschen schöne Dinge und Momente zu verschaffen. In diesem Sinn sind wir ein Wellbeing-Unternehmen mit luxuriösen Produkten.
Ich fühlte mich wie ein Unternehmer im Unternehmen, hatte damals nie daran gedacht, eine Firma zu gründen. Nach meinem MBA arbeitete ich 13 Jahre für Unilever, und ich war überzeugt, dort bis zum Ruhestand zu bleiben, weil es viele nette und schlaue Leute gab und genug Geld, um in gute Ideen zu investieren.
Das war Zufall. Im Alter von 23 bis Mitte 30 konnte ich im Konzern unternehmerisch sein. Dann sollte ich eine Art visionären Job übernehmen – eine ganz neue Marke erfinden und aufbauen.
Zuvor hatte ich 20 Meetings und 1000 E-Mails am Tag, jetzt sass ich an einem leeren Schreibtisch. Also stellte ich mir eine Art Inspirationsreise zusammen: Ich besuchte Forschungszentren und Trend-Gurus in verschiedenen Teilen der Welt, Parfumhäuser, machte aber auch Power Shopping in New York, London oder Paris – in kleinen, trendigen Geschäften.
Voller Enthusiasmus! Ich entschied, eine Firma mit neuem Blick auf Beauty und Pflege zu gründen. So entstand Rituals. Zwei Freunde waren an Bord, Unilever anfangs als Shareholder. Und ich, zuvor ein Mittdreissiger mit hohem Gehalt und Chauffeur, war plötzlich in einem Mini-Start-up mit gar nichts.
Es waren drei Wahrnehmungen, oder Einsichten, die ich hatte. Erstens, «das Glück in den kleinen Dingen zu finden». Viele Menschen haben vergessen, die kleinen Dinge im Leben zu geniessen. Also war die Idee, aus alltäglichen Routinen bedeutungsvolle Rituale zu machen. Das wurde zum Markennamen. Heute nennt man das Mindfulness oder Self-Awareness.
Dass wir 24/7 unter Druck sind, Männer und Frauen. In unseren Rollen in der Familie, mit Freunden, im Job. Manchmal will man vor diesem Druck fliehen. Und eigentlich gibt es nur zwei Rückzugsorte: dein eigenes Selbst – und dein Haus. Diese Erkenntnis hat mir die Augen geöffnet: Das Heim ist zur Erweiterung der Persönlichkeit geworden. Und im Beauty-Geschäft kombinierte niemand die Felder Home und Body.
Den habe ich durch das Analysieren von Zara gelernt. Die wurden zu einem Phänomen, ohne Werbung wuchsen sie zu einer globalen Marke. Sie hatten elegante Stores und Kleidung, aber in einer mittleren Preislage. Im Beauty-Geschäft gab es so etwas nicht. Sondern entweder Drogerien und Supermärkte oder Luxuswarenhäuser, nichts dazwischen.
Das wurde die Basis für Rituals: elegante Geschäfte, luxuriöse Produkte, im Wettbewerb mit Luxusmarken, aber zu erschwinglichen Preisen.
Ich drittelte meinen Lohn, steckte alle Ersparnisse in Rituals. Unilever sagte Hilfe zu, zwei Jahre waren sie Mehrheitseigner. Unsere Zahlen waren schlecht in diesen Anfangsjahren. Unilever gab sich dann eine neue Strategie, fokussierte auf ihre grössten Marken, also übernahmen wir ihre Aktien, ich nahm dafür eine neue Hypothek auf. Aber ich werde Unilever immer dankbar sein, der Kontakt ist bis heute sehr gut.
Ziemlich gleichmässig. Wir haben zwei hauptsächliche Zielgruppen. Einerseits kauft man bei uns Geschenke, wir konkurrieren hier mit Blumen, Büchern, Parfums. Andererseits haben wir loyale Fans, die feste Produktvorlieben haben, und auch da ist es oft eine Kombination von Home und Body. Sie starten bei Rituals mit Dingen, die einfach zu probieren sind, wie Raumdüfte oder Duschgels, und wenn sie die Qualität erleben, greifen sie auch zu unseren luxuriösen Haut- und Gesichtscrèmes. Diese Kategorien wachsen bei uns sehr schnell, bei Frauen wie auch bei Männern.
Stimmt, und wir sehen uns klar als Luxusmarke. Wenn wir Produkte entwickeln, konkurrieren wir bei der Reichhaltigkeit der Formulierungen oder der Qualität der Duftstoffe mit den Allerbesten. Die sind für uns Benchmark. Weil wir aber keine grossen Werbebudgets haben, können wir günstiger anbieten. Marke und Stores fungieren bei uns als Werbeplattform.
Ich würde sagen, das ist unser Businessmodell. Aber diese Nische haben wir uns in den vergangenen 20 Jahren selber geschaffen. Aber …
… viele waren skeptisch, etwa an Universitäten, ob uns das gelingen könnte. Wir wurden als Fallstudie an MBA-Schulen genutzt, und die Studenten sagten genau das: Ihr werdet scheitern. Und die ersten zehn Jahre sah es oft so aus, als ob sie recht behalten würden. Doch irgendwann fing unser Geschäft zu fliegen an, und heute kann unsere Positionierung kaum noch kopiert werden. Ich würde sagen, Nespresso tat etwas Ähnliches wie wir: Sie machten Kaffee von einer Commodity zur Luxusware. Wir machten aus etwas Langweiligem wie Duschgel etwas Schönes, das man in Luxuskaufhäusern erwirbt und verschenkt.
Wir wollen ein neues Level erreichen. Wir wollen ein Wellbeing- und Impact-Brand sein, der führende in der Luxusindustrie. In unserem «Book of Rituals» steht alles drin. Wir müssen Experten für Inhalte werden, Menschen helfen, sie auch anleiten können. Und wir arbeiten an Dienstleistungen. In unserem House of Rituals in Amsterdam finden Sie in der obersten Etage das weltweit erste Spa für Geist und Seele.
Es nennt sich Mind Oasis, man kann dort eine Brain Massage buchen. Man liegt eine halbe Stunde auf dieser Liege, das hat einen Effekt wie zweieinhalb Stunden Tiefschlaf. Es gibt Massage-Wasserbetten und weitere Dinge. Viele können nicht mehr entspannen, also haben wir über die drei relevanten Werkzeuge dafür, Atmen, Schlafen und Meditieren, die Dienstleistung entwickelt. Das passt zu unserer DNA. Und das entwickeln wir weiter.
Absolut. Wir sind damit bereits auf den Champs-Élysées, in Antwerpen, Paris, Barcelona und Deutschland, und wir kommen auch in die Schweiz.
Das Kreativdepartement leite ich selber mit zwei Kollegen. Ich bin immer noch CEO und Gründer, aber meine Rolle hat sich etwas geändert; ich habe zudem sehr starke Leute, die das Operative führen. Mindestens zwei Tage pro Woche bin ich bei unseren Kreativen. Denn Innovation ist der Maschinenraum für Wachstum. Und weil rund 30 Prozent unseres Umsatzes von Geschenkkäufern kommen, wollen wir unseren Kunden immer neue Inspiration bieten.
Wir behalten unsere Einstiegsprodukte, bringen aber immer mehr Luxusartikel. Auch so wachsen wir. Zum Beispiel kommen wir jetzt mit schönen, eleganten Kerzen. Oder mit einer neuen Kategorie wie Autodüften. Auch die Zeit im Auto ist eine Art Me-Time. Und zwei Mal jährlich bringen wir limitierte Editionen.
In den ersten 15 Jahren haben wir nicht einen Euro aus der Firma genommen. Sondern alles in Innovation und neue Stores gesteckt. Neue Shops bringen natürlich Volumen, aber unser wichtigster Treiber ist das interne Wachstum, like-for-like. Also mehr Geschäft auf gleicher Fläche.
Das ist wohl etwas, das in einem wächst, wenn man älter und weiser wird und das Glück einer sehr profitablen Firma hat. Dieses Privileg geht für mich mit einer steigenden Verantwortung einher. Wir haben hart gearbeitet, um ein starkes Unternehmen aufzubauen, und jetzt haben wir einen Punkt erreicht, an dem wir uns fragen: Können wir nicht noch mehr tun und mehr Verantwortung übernehmen? Als ich «A Life on Our Planet» von David Attenborough gesehen habe, war ich schockiert – klar, man weiss es, aber wenn man die Bilder sieht …
Sehr. Zugleich zeigt Attenborough, dass man sehr praktisch etwas unternehmen kann. Wir als Firma sind «B Corp»-zertifiziert seit drei Jahren.
Zudem haben wir diese schöne Philosophie, das Glück in kleinen Dingen zu finden, und zugleich fällt die Welt auseinander. Dann schaut man sich im Spiegel an und sagt: Raymond, statt nur Negatives zu minimieren, könnten wir nicht auch etwas Positives bewirken?
Wir setzten uns als Team zusammen und diskutierten es. Es sollte praktisch sein. Wer machte so was?
Das wollten wir nicht. Denn bei uns hängen 12'000 Familien mit ihren Löhnen an der Marke, also müssen wir sicherstellen, dass die in 50 Jahren auch noch existiert, dass wir weiter in neue Stores investieren können. Dafür brauchen wir Profit. Und statt ihn den Aktionären zu geben, also vor allem mir, lasst uns damit etwas Sinnvolles machen. Für mich ist das auch etwas Persönliches.
Wir kaufen Regenwaldfläche in Kolumbien, die wir den Ureinwohnern zurückgeben, und versuchen, die Gebiete mit einem Unesco-Schutz abzusichern. Es gibt noch weitere Aktivitäten, zum Beispiel die App «Super Chill», die Übungen für Kinder enthält, die sie etwas widerstandsfähiger machen sollen, bevor Social Media voll auf sie einstürmt.
Wenn wir uns weiterentwickeln wie bisher, sind es wohl insgesamt 300 bis 400 Millionen Euro in der nächsten Dekade.
1,7 Milliarden Euro Umsatz machte Rituals 2023. In diesem Jahr sollen es bereits 2 Milliarden werden.
184 Millionen Euro Reingewinn hat Rituals 2023 eingefahren. Damit gibt es Spielraum, um der Welt etwas zurückzugeben.
270 neue Stores öffnet Rituals 2024. Bisher gibt es bereits 1125 Shops. Zudem gibt es 3900 Shop-in-Shops, die Produkte sind in über 1000 Hotels präsent.
300 Millionen Euro mindestens dürfte Rituals in der nächsten Dekade für soziale Projekte spenden.
Wir haben uns überlegt, ob wir überhaupt etwas dazu sagen wollen, wir haben ja schon seit rund zehn Jahren viele Projekte im Stillen gefördert. Und gern wird Firmen Greenwashing vorgeworfen, wenn sie über derartige Dinge sprechen. Also schweigen manche.
Tja. Aber uns ist wichtig, dass unsere Mitarbeiter und Kunden das Gefühl haben, sie sind am richtigen Ort.
Ja, der grösste Ländermarkt, wir sind in der ganzen DACH-Region sehr stark. Aber auch in Frankreich und Italien wachsen wir kräftig, und in Grossbritannien, nach zehn schwierigen Jahren, nun plötzlich auch. Wir erwarten, dass in wenigen Jahren Frankreich und Grossbritannien nach Deutschland die stärksten Märkte sein werden.
Mit unseren Stores sind es 34, aber inklusive Flughafen-Retail oder in Hotelräumen sind es über 100. Mein Traum seit der Gründung war, dass wir einmal ein globaler Beauty-und Lifestyle-Brand werden.
Europa ist unsere erste Priorität. Wir haben Momentum in unseren grossen Märkten, in Deutschland, Italien, auch der Schweiz. Wir gehen jetzt nach Osteuropa. Zweite Priorität ist Asien, wo wir in den kommenden fünf Jahren eine Plattform für späteres Wachstum bauen. Wir öffnen gerade in Tokio und haben bereits Standorte in Singapur, Kuala Lumpur, Bangkok, Shanghai. Und klar, eines Tages wollen wir in die USA und die anderen Teile der Welt.
Ich bin leider nicht das beste Beispiel für Entspannung und Entschleunigung. Ich folge der Philosophie, die kleinen Dingen im Leben zu geniessen, dass Glücklichsein nichts mit Geld zu tun hat, so hat mich meine Mutter erzogen. Ab und zu meditiere ich, wir haben zudem im Büro einige Sportgeräte. Aber für mich ist Entspannung auch, einen Film zu schauen oder mit Freunden vor dem Kamin ein Glas Wein zu trinken.
Nein, die haben sich verabschiedet. Andere Aktionäre haben wir ausgekauft. Also, es gibt noch einige kleine Shareholder, die ich aber nicht nennen darf.
Ja, Sie können mich als Gründer, CEO und Eigentümer bezeichnen. Für mich ist wichtig, unabhängig zu sein, deshalb hat die Firma über die Jahre viele Aktien zurückgekauft. Damit können wir in der Zukunft einfacher agieren und besser ins Wachstum investieren.
Für mich ist das kein Treiber. Ich bin heute so glücklich wie zu der Zeit, als wir zwei Geschäfte hatten. Was mich motiviert, ist, schöne Dinge zu erschaffen, die Menschen berühren. Verstehen Sie mich richtig, ja, ich habe Geld, Ferien an schönen Orten. Aber man startet keine Firma wegen des Geldes. In den ersten zehn Jahren sieht man keine Ergebnisse, wir brauchten sieben Jahre, um 100 000 Euro Profit zu erreichen. Man muss eine Passion haben, darauf kommt es an.
Vorerst möchte ich hier weitermachen und unabhängig bleiben. Wir sind gesund, können investieren. Alle fünf Jahre schauen wir in den Spiegel. Mein Traum ist, dass es eine Familienfirma wird. Vielleicht kann eines Tages eins meiner Kinder übernehmen.
Vier. Sie haben in unseren Stores gearbeitet …
Ja. Die sind am Boden geblieben, haben heute wirtschaftliche Ausbildungen. Vielleicht könnten einer oder zwei zu Rituals kommen.
Im Moment sicher nicht. Wir brauchen kein Geld, um weiterzuwachsen.
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