WIE VIEL EIGENKAPITAL BRAUCHT DIE UBS?

Ein starker Finanzplatz braucht eine starke Grossbank. Doch die Behörden schlagen lieber auf sie ein. Es ist ein lähmender Regulierungsstreit.

Wer den Startschuss zum Showdown zwischen der Grossbank und den Behörden gab, bleibt offen für Interpretationen. War es die schneidige Replik von UBS-Chef Sergio Ermotti («eine Provokation») an einem Forum Ende Januar? Der PUK-Bericht zum CS-Aus vor Weihnachten mit seinem angeschwollenen Unmutspegel gegen böse Banker? Die harsche Haltung des Finma-Sheriffs Stefan Walter («Wir haben kein Mandat für die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes»)?

Bei genauer Betrachtung ist die Sachlage jedoch weniger umstritten: Es war ein Satz der Finanzministerin, der die Debatte um die UBS-Regulierung zu einem Duell zwischen der staatlichen Dreifaltigkeit Finanzdepartement, Nationalbank und Finma und der letzten Schweizer Grossbank hochschaukelte. Am 10. April letzten Jahres hatte Karin Keller-Sutter den zweijährlichen Bericht des Bundesrats zur Bankenstabilität vorgelegt, doch das Echo zu den 22 Massnahmen war verhalten: Zu zahm, zu bankennah – eine Einschätzung, die so gar nicht korrespondierte mit dem Selbstbild der starken Frau im Bundesrat, die die CS-Krise so heldinnenhaft gemeistert hatte. Ihr spärlich geschätzter SVP-Vorgänger Ueli Maurer galt eher als Fan denn als Kontrolleur der Banken, und von ihm wollte sie sich maximal distanzieren. Der Vorwurf der Bankennähe war ein Stich.

Doch da bot ein Analyst des verschwiegenen Londoner Research-Hauses Autonomous Abhilfe. Stefan Stalmann hatte bereits im Sommer 2021 eine 30-Seiten-Studie verfasst, in der er auf die Unterkapitalisierung der CS-Auslandstöchter hinwies. Für seine Arbeit zahlten Banken und Vermögensverwalter viel Geld, die Kernaussagen gelangten über Finanzagenturen in die Öffentlichkeit. Am 11. April veröffentlichte er ein 16-seitiges Papier mit dem Titel «The Tiger is out the bag», und Reuters brachte eine Meldung: Wenn die UBS ihre Auslandstöchter mit mehr Eigenkapital unterlegen müsste, würde das in einem Basisszenario ihren Kapitalbedarf um 10 bis 15  Milliarden Dollar erhöhen. Das Worst-Case-Szenario: 700 Basispunkte mehr Eigenkapital – 35 Milliarden Dollar.

Als Keller-Sutter drei Tage später von der «Aargauer Zeitung» zu den Massnahmen befragt wurde, wählte sie explizit das sehr technische und in Details selbst für Analysten schwer zu durchdringende Thema der Auslands-Kapitalisierung: «Herausheben würde ich unseren Vorschlag, dass die Schweizer Stammhäuser von systemrelevanten Banken ihre ausländischen Beteiligungen künftig mit bis zu 100 Prozent Eigenkapital unterlegen müssen.» Noch vermied sie den Fehler, konkrete Zahlen zu nennen. Drei Tage später beging sie ihn doch. «Es stimmt, die Grössenordnungen sind plausibel», antwortete sie dem «Tages-Anzeiger», der sie mit Schätzungen von 15 bis 25 Milliarden konfrontiert hatte.

Toxische Banker

Der böse Geist war aus der Flasche, der Korridor von höchstamtlicher Stelle bestätigt. Es war der Startschuss zu einer bizarren Debatte, die vor allem eines zeigt: Wie die Wildwest-Bank Credit Suisse all die Jahre die Behörden überforderte, so steigt den staatlichen Verantwortungsträgern auch das Nachspiel über den Kopf. Für Finanzplatzveteranen ein Déjà-vu: Auch auf die Staatsrettung der UBS 2008 folgte eine jahrelange Kakofonie, welche die Schweiz die einzige Too-big-to-fail-Gesetzgebung der Welt verabschieden liess. Doch sie wurde bei ihrem ersten Praxistest als dermassen untauglich taxiert, dass niemand ernsthaft ihre Anwendung erwog: der Schweizer Sonderweg als Papiertiger.

Dennoch gilt wieder: Ein Kleinstaat mit nur in Spurenelementen vorhandenen Kapitalmarktkenntnissen an den Behördenspitzen trifft auf einen globalen Bankkonzern mit Tausenden von hoch qualifizierten und üppig besoldeten Mitarbeitenden in den grossen Zentren der Finanzwelt – und will ihn mit einer eigenen Regulierung aus dem beschaulichen Bern bändigen, über alle internationalen Vorgaben hinweg. Politiker, Regulatoren und Professoren wittern Profilierungschancen bei einem Thema, das in der Öffentlichkeit nach all den Skandalen maximale Empörungswerte liefert. Die Versicherungsriesen vom Zürcher Mythenquai etwa, obwohl im Konkursfall kaum weniger gefährlich für die Volkswirtschaft als die Grossbank UBS, interessieren niemanden – zu langweilig.

Die UBS und ihre Angestellten zahlen mehr als 2,5  Milliarden Franken in die Steuerkassen, mit mehr als 35'000 Mitarbeitenden allein in der Schweiz ist sie der drittgrösste Arbeitgeber, und sie ist der Bannerträger des Finanzplatzes, der global noch immer die Nummer eins im Wealth Management ist und das Swiss Banking um die Welt trägt. Dass die Schweiz etwa zu den Finanzministertreffen der G-2o eingeladen wird, obwohl gar nicht Mitglied im Club der 20 grössten Volkswirtschaften der Welt, verdankt sie vor allem der Strahlkraft der UBS – Österreich oder Belgien sind dort nicht vertreten. Zum letzten Treffen ins sommerliche Kapstadt flogen Keller-Sutter und Nationalbank-Chef Martin Schlegel Ende Februar durchaus stolz. Doch statt die UBS zu stützen, wird sie gestutzt. Selbst die «NZZ», eigentlich einem erfolgreichen Finanzplatz verpflichtet, spielt munter mit. Sie prägte den Ausdruck «Monsterbank», obwohl die UBS-CS-Kombination fast zwei Drittel kleiner ist als vor der Finanzkrise. «Wir sollten die UBS ziehen lassen», lässt sie etwa einen gewissen Georg Junge, einen pensionierten Finma-Mitarbeiter und zuvor UBS-Risikomanager, auf einer ganzen Zeitungsseite ausbreiten. «Die UBS ist zu gross für die Schweiz», darf sich auch der ehemalige Kantonalbanken-Präsident Urs Müller in Szene setzen.

Wie sehr die Schweiz an der UBS leidet, zeigt auch die Reaktion der Politiker. Es war SVP-Grande Christoph Blocher höchstpersönlich, der nach dem CS-Aus eine Zerschlagung der UBS forderte: Per Gesetzesrevision sollte das Parlament festhalten, dass keine Bank mehr too big to fail ist. Seit dem PUK-Bericht, den SVP-Banker Thomas Matter als einziger Finanzfachmann in der 14-köpfigen Delegation entscheidend prägte, klingen die Forderungen zwar nicht mehr ganz so radikal. Doch das hinderte ihren Thurgauer Ständerat Jakob Stark nicht daran, einen Höchstlohn von drei bis fünf Millionen für Banker zu fordern, und die eigentlich als weise beleumundete kleine Kammer nahm die Motion sogar an. Die SP stimmte zu und will die Boni auf zehn Jahre sperren und natürlich auch die Bank massiv verkleinern. Die Mitte hatte nach dem CS-Zusammenbruch bereits Eigenkapitalforderungen von 25 Prozent gestellt, und auch für die einstige Bankenpartei FDP ist das Thema toxisch: bloss nicht für Banker kämpfen.

Unsensibler Ermotti-Lohn

Flankiert wird das UBS-Bashing von professoraler Stelle. «Die Schweiz könnte sehr gut ohne die UBS existieren», verkündete etwa Ende Januar via «Le Temps» der Berner Ökonomieprofessor Aymo Brunetti, nach der Finanzkrise die treibende Kraft der Too-big-to-fail-Regulierung. Dass er auch nach dem CS-Aus weiter darauf bestand, der Bund hätte das von ihm orchestrierte Regelwerk anwenden können, kam bei der Finanzministerin offenbar so schlecht an, dass sie ihn nicht in die professorale Kommission direkt nach dem Untergang berief. Dafür schiesst er seitdem umso schärfer. Es brauche einen Abwicklungsplan, der vollständig funktioniere: «Sonst ist es besser, die UBS ausser Landes zu schicken.» Dass kein Land auf der Welt einen solchen praxistauglichen Abwicklungsplan hat und bei einem Bankrun auf eine globale Grossbank immer der Staat als letzte Bastion zur Verfügung steht, ist auf allen grossen Finanzplätzen implizit akzeptiert. Doch Schweizer Professoren wie Brunetti gönnen sich die reine Lehre.

Sein Berner Kollege Dirk Niepelt verfasste eine Studie zur Staatsgarantie und bezifferte ihren Wert auf 2,6 Milliarden. Grundlage: eine Konkurswahrscheinlichkeit von 10 Prozent im nächsten Jahr und mehr als 40 Prozent in den nächsten fünf Jahren. Damit sei die Kreditwürdigkeit der UBS «vergleichbar mit dem Kongo, Irak oder Nigeria», hielt die Grossbank nüchtern fest. Wohlgemerkt: Die UBS ist eine kerngesunde Bank mit einem deutlich tieferen Risikoprofil als die frühere CS – vor der Finanzkrise lagen bei beiden Banken zusammen mehr als 70 Prozent der Assets im Investmentbanking, heute sind es in der Fusionsbank noch 25 Prozent. Die Praktiker der Ratingagentur Moody’s taxieren die Konkurswahrscheinlichkeit auf 0,1 Prozent in einem Jahr und 0,8 Prozent über fünf Jahre – dann wäre der Wert der Subvention gemäss Niepelts Modell bei null. Doch die Panikmache zieht, die Studie fand breiten Widerhall. Die UBS: vom Retter des Finanzplatzes zum Prügelknaben der Nation.

Da setzt auch eine FDP-Magistratin auf Distanz. Während in den USA oder Grossbritannien der Austausch der Bankspitzen mit den Finanzministern intensiv ist, hält Keller-Sutter Abstand. Dass die gelernte Dolmetscherin, als Tochter eines Wirteehepaars im sankt-gallischen Wil bodenständig aufgewachsen, die Bonuskultur der Grossbanker verabscheut, kaschiert sie nicht, und da lieferte die Bank letztes Jahr mit Ermottis unsensiblem 14-Millionen-Lohn frische Munition. Ueli Maurer bewunderte das grosse Geld, sie findet es unschweizerisch. Die Finanzminister von Luxemburg oder Singapur treffen sich bei Schweiz-Besuchen mit Bankchefs, um Geschäft anzulocken. Der Kontakt zu Keller-Sutter: nahe null. Die Gelder für Finance Swiss, eine Standortförderungs-Organisation, hat das Finanzdepartement zusammengestrichen. Staatliche Unterstützung für böse Banken: eher nicht.

Einmalige Debatte

Ein normales «Weiter so» war der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln. Und so brauchte es ein Instrument, das Härte signalisierte. Das Problem ist nur: Bankenregulierung ist hochkomplex und in ihren Finessen für die breite Bevölkerung in etwa so bekömmlich wie die Detailauswertung einer Darmspiegelung. «Die überwiegende Mehrheit der Bürger dürfte nicht wissen, was mit Kernkapital einer Bank gemeint ist», betonte UBS-Präsident Colm Kelleher letzten September im «SonntagsBlick». Oft wissen es auch die Finanzexperten nicht genau: Schon die Bewertung des Eigenkapitals variiert in den verschiedenen Ländern stark – die Amerikaner etwa zählen auch Softwareabschreibungen oder Steuergutschriften zum harten Eigenkapital CET1, unter den härteren Schweizer Regeln würde ihr Kernkapital massiv schmelzen. Zudem werden die globalen Regeln, festgelegt vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, nicht einheitlich umgesetzt –die Amerikaner haben die Einführung des aktuellen Regelwerks Basel III unter Trump ausgesetzt, in der Eurozone und in Grossbritannien gibt es nur eine abgeschwächte Version. Doch die Schweiz gönnt sich seit Jahresbeginn die Maximalvariante, was laut UBS bei ihr allein schon zu zusätzlichen Eigenkapitalanforderungen von fünf Milliarden Dollar führt.

Noch schwerer verständlich ist die Frage der Kapitalunterlegung der Auslandstöchter. Allein die Berechnung ist hochkomplex, und im vertraulichen Konsultationsprozess hat sich die UBS in den letzten Monaten mit der Finma und auch mit dem Staatssekretariat für Finanzfragen heftige Zahlenschlachten geliefert. Selbst die Zahl von 25 Milliarden Dollar Zusatzkapital, die überall herumgeistert, ist kaum mehr als eine Annäherung. Autonomous-Analyst Stalmann rechnete im April 2024 für seine Maximal-Zusatzforderung von 35 Milliarden mit 19 Milliarden Zusatzkapital für das Aufstocken der Bewertung der Auslandstöchter von 60 auf 100 Prozent, die restlichen 16 Milliarden basierten auf Zusatzfaktoren wie dem Verbot von Steuergutschriften oder Softwareabschreibungen. Stalmann bezifferte den Wert der Auslandstöchter damals aber noch auf 64,7 Milliarden Dollar, heute liegt er laut UBS nach Portfolio-Bereinigung aber nur noch bei 46 Milliarden Dollar und soll nach einer Bewertungsumstellung (von Discounted-Cashflow- auf Nettobuchwert-Methode) auf 36 Milliarden sinken. Würden die Auslandstöchter voll abgeschrieben und alle Steuergutschriften und Softwareabschreibungen gestrichen, käme die UBS auf einen totalen Zusatzbedarf von 26 Milliarden. Doch das sei «nicht verhältnismässig», schreibt sie in ihrer internen zehnseitigen Präsentation zur Too-big-to-fail-Regulierung. Ihr Vorschlag als Verhandlungsstart: fünf Milliarden mehr.

Es handelt sich um eine spezielle Ausprägung des Schweizer Sonderwegs – kein Land der Welt leistet sich eine derartige Debatte. Wie viel Kapital eine Bank ihren Auslandstöchtern zuweist, sollte vor allem die Regulatoren an diesen ausländischen Standorten interessieren. Die Regelsetzer im Basler Ausschuss machen keine Vorgaben: Sie legen für die systemrelevanten Banken lediglich Kapitalanforderungen auf Gruppenstufe fest und überlassen es den Instituten selbst, wie sie ihr Kapital intern verteilen. Dass die Schweizer Banken überhaupt die Kapitalisierung ihrer Auslandstöchter separat ausweisen, macht sie schon zu Musterschülern: Der Grossteil der globalen Banken kennt ein derartiges Reporting gar nicht. Derzeit fordert kein Finanzplatz von der UBS eine erhöhte Kapitalunterlegung. Die mit Abstand grösste Auslandsbeteiligung ist die US-Tochter. Die New Yorker Regulatoren verlangen nach dem letzten Stresstest eine Eigenkapital-Unterlegung von 13,8 Prozent – der UBS-Wert liegt schon bei 20,5 Prozent.

Zudem: Es handelt sich um einen klassischen Fall, bei dem die Generäle den letzten Krieg führen. Anders als die CS hat die UBS von der Finma niemals Kapitalerleichterungen für die Auslandstöchter erhalten. Und die Frage einer etwaigen mangelnden Kapitalunterlegung stellt sich erst, wenn man sie verkaufen will. Das war die Krux mit dem desaströsen Umbauplau der CS ein halbes Jahr vor dem Ende: Weil sie überwertete Teile des Investmentbankings abstossen wollte, hatte sie zu wenig Kapital auf Gruppenstufe, und die Finma verdonnerte sie zu einer Kapitalerhöhung.

Doch wie realistisch ist das hier? Ein Notverkauf steht nirgends an. Doch selbst wenn es zu einer Schieflage käme: Das wenig kapitalintensive Wealth Management in den USA oder Asien liesse sich in Sekundenschnelle an die Konkurrenz abstossen. Und dass die Auslandstöchter im Krisenfall voll abgeschrieben werden könnten, die Bank aber weiter funktionieren könnte, bleibt ein Szenario für Theoretiker.

Harte Linie

Fakt ist: Kein Regulator der Welt fährt eine derart harte Linie bei den Auslandsbeteiligungen – Ermotti hat recht, wenn er diese Massnahmen als «total übertrieben» bezeichnet. Was zudem in der überhitzten Debatte leicht vergessen geht: Die UBS muss wegen der gestiegenen Anforderungen nach der CS-Übernahme bereits 17 bis 19 Milliarden an Zusatzkapital aufbauen. Kämen jetzt noch mal 26 Milliarden hinzu, hätte sie mit 19 Prozent die mit Abstand höchste Kernkapitalquote der globalen Banken. Selbst ihr eigener Vorschlag von zusätzlichen fünf Milliarden Kernkapital würde ihr schon die weltweit härtesten Forderungen auferlegen. Es wäre ein besonders harter Swiss Finish, der die UBS im globalen Wettbewerb stark benachteiligen würde – und bei der Lösung der Krise nicht geholfen hätte: Die CS ist nicht an Kapitalmangel, sondern an Liquiditäts- und Vertrauensabfluss gescheitert.

Dabei geht es um mehr als nur erhöhte Kapitalkosten eines Einzelinstituts: Auf dem Spiel steht die Stärke des gesamten Finanzplatzes. Noch ist die Schweiz die weltweite Nummer eins im Wealth Management. Doch dafür braucht es auch eine Bank, die bei der Bewertung mit den grossen Amerikanern mithalten kann.

Die UBS war zunächst auf Versöhnung bedacht. Präsident Kelleher hatte in den Verhandlungstagen einen starken Eindruck von Keller-Sutter: fokussiert, durchsetzungsstark, verbindlich. «The Boxer» nannte man die Hobbyboxerin anerkennend auf der Chefetage, ihre exzellenten Englischkenntnisse machten den Austausch deutlich flüssiger als mit dem in Fremdsprachen eher herausgeforderten Maurer. Kelleher hatte nach der Dealverkündung viele Investoren kontaktiert, und auch das schweizerisch-schwedische Geldhaus Cevian stieg ein, überzeugt von einem Businessmodell, das die Investoren als bestes der globalen Bankenindustrie bezeichneten: Weltmartktführer im ertragsstarken und risikoarmen Wealth Management – eine bessere Morgan Stanley, der langjährige Arbeitgeber von Kelleher. Das Kursziel: 50 Franken – ein Börsenwert in der 200-Milliarden-Region, in der sich das Wall-Street-Haus bewegte, trotz deutlich grösserem Investmentbanking. Da waren die erhöhten Regulierungsanforderungen Kurs-Gift.

Finma unter Druck

Doch die Bankspitze hoffte weiter auf den Kontakt, den sie zu Keller-Sutter etabliert hatte. Intern wurde die Linie ausgegeben: Zehn Milliarden Zusatzkapital sind die Obergrenze. Jedoch: Die Finanzministerin war an einem engen Austausch wenig interessiert, sich separat mit Bankchefs zu treffen, wie es Maurer tat, war für sie ein No-Go. Nur bei Branchentreffen gab es eine Möglichkeit: Zweimal im Jahr trifft sich die Finanzministerin mit den Präsidenten der grossen Banken und Versicherungen. Am Rande eines dieser Treffen soll es im November zu einem Austausch zwischen Kelleher und Keller-Sutter gekommen sein. Immerhin: Es gab offenbar Signale, dass die volle Unterlegung von 100 Prozent für die Auslandstöchter abwendbar sei. Und die Bankspitze machte einen Vorschlag: Man könne festschreiben, dass das Investmentbanking maximal 30 Prozent betrage – eine simple und zweckmässige Massnahme zur Risikoreduktion, die von Keller-Sutter auf dem Verordnungsweg einführbar wäre. Die Finanzministerin schien offen zu sein, so der Eindruck.

Doch zu Jahresbeginn gab es eine Kehrtwende. Man traf sich in Davos, und die Fronten hatten sich verhärtet. Auslöser: der PUK-Bericht. Die 569-seitige Fleissarbeit blieb zwar bei ihren Forderungen schwammig. Doch sie fokussierte auf das hochtechnische Thema der sogenannten «regulatorischen Filter», die die Finma der CS für Kapitalerleichterungen ihrer Auslandstöchter gewährt hatte. Einzelne PUK-Mitglieder betonten ernsthaft, diese Filter im Sommer 2024 «entdeckt» zu haben.

Damit lieferte die PUK einen weiteren eindrücklichen Beweis, wie die globalen Grossbanken die kleinteilige politische Schweiz überforderten. Denn die CS wies die Kapitalerleichterungen in ihren Geschäftsberichten seit 2019 sauber aus, Autonomous-Analyst Stalmann hatte sie detailliert analysiert, und die Finma selbst hatte sie in ihrem «Lessons learned»-Bericht vom Dezember 2023 offen angesprochen: Sie mussten von der CS «quartalsweise offengelegt werden und waren den Investorinnen und Investoren somit bekannt».

Doch die Finma, schon immer das schwächste Glied der Behörden-Dreifaltigkeit und durch den PUK-Report noch stärker unter Druck, sah in dem Bericht eine Chance für die harte Linie: Der noch immer neue Finma-Chef Walter, in der Öffentlichkeit deutlich präsenter als seine Vorgänger, bekräftigte publikumswirksam die Forderung nach einer 100-Prozent-Kapitalunterlegung der Auslandstöchter. Jetzt schwenkte auch Keller-Sutter auf die harte Linie ein. Dass Ermotti Ende Januar mit der Wortwahl der «Provokation» die Gegenwehr öffentlich hochfuhr, war da kaum nur die Aufwallung seines lateinischen Bluts, wie manche der eigenen Mitarbeiter vermuteten. Es war vor allem eine Reaktion auf die Verhärtung nach dem Treffen in Davos.

Doch Walter wagt sich weit vor. Denn wie auch immer die Regelung ausfallen wird: Die Finma ist für die Festlegung nicht verantwortlich. Bis Ende Februar waren alle Beteiligten davon ausgegangen, dass der Bundesrat auf Antrag von Keller-Sutter die Kapitalfrage am 21. Mai per Verordnung entscheidet. Dann schob die Finanzministerin das heikle Dossier jedoch ins Parlament – eine spezielle Form der Verantwortungsdelegation. Doch ob Verordnung oder Gesetz: Die Finma ist nicht für die Regelfestsetzung, sondern nur für die Aufsicht zuständig. Dennoch forderte Walter lautstark die Verschärfung. Zwar sprach sich auch Nationalbank-Chef Schlegel dafür aus, doch er gilt bei den Banken als offener und kompromissbereiter. Der Deutsche Walter dagegen, sozialisiert im Behördenzentralismus der EZB und von manchen Bankern schon «Stahlhelm-Stefan» genannt, scheint die Finma nach all den Versäumnissen unbedingt als scharfen Polizisten positionieren zu wollen.

Da tritt er auch härter auf als bei seiner früheren Tätigkeit als oberster Bankenaufseher der EZB. Von den Banken der Eurozone forderte er nie Kapitalunterlegungen für die Auslandstöchter. Die Deutsche Bank etwa ist heute noch immer deutlich risikostärker unterwegs als die UBS. Gewiss, die Schweizer Grossbank stellt den Staat wegen ihrer Grösse vor ein spezielles Problem – ihre Bilanzsumme ist doppelt so gross wie die Wirtschaftsleistung des Landes. Doch da hilft ein Blick in die Geschichte: Vor der Finanzkrise 2008 waren die Bilanzsummen von CS und UBS zusammen sogar sechs Mal grösser als das Schweizer Bruttoinlandsprodukt. Die UBS verlor mehr als 50 Milliarden Franken, dennoch wurde eine Lösung gefunden, an der der Bund am Ende sogar noch mehr als eine Milliarde verdiente. Ähnlich lief es jetzt auch bei der CS-Lösung, aller medialen Panikmache zum Trotz in Blättern wie der «SonntagsZeitung», die das Bankster-Narrativ bedienen und behaupten, 65 Milliarden Dollar seien «direkt an die Amerikaner» geflossen – dass diese Liquiditätshilfen komplett zurückbezahlt wurden und der Bund aus Verlustgarantie und Liquiditätshilfe-Darlehen 200  Millionen Franken eingenommen hat, wird lieber verschwiegen. Die neue UBS, deutlich risikoärmer als 2008, verfügt über insgesamt 185 Milliarden Dollar verlustabsorbierendes Kapital – damit könnte sie die Verluste aus der historischen Krise fast viermal decken. Da sei die Prognose gewagt: Auch eine weitere Rettung würde gelingen.

Zäher Prozess

Es droht ein zäher Prozess. Keller-Sutter plant offenbar weiterhin, die Eckwerte am 21. Mai zu veröffentlichen, doch statt des Endes der Debatte durch Verordnung droht eine lähmende Verlängerung im Parlament um mindestens drei Jahre. Der Streit drückt auf die Aktie, der nachhaltige Ausbruch über die 30-Franken-Marke stockt. Immerhin ist SVP-Bankenmann Matter schon auf den sinnvollen Vorschlag der Beschränkung des Investmentbanking-Anteils auf 30 Prozent eingestiegen. Kombiniert mit einer härteren Gewährsprüfung, die Nicht-Banker wie die CS-Untergangskapitäne Urs Rohner und Tidjane Thiam nicht ans Steuer lassen würde, und schärferen Bonus-Rückzahlungsregeln, könnte sich hier ein Weg ohne überrissene Kapitalanforderungen abzeichnen. Derweil spriessen die Spekulationen über einen UBS-Wegzug weiter, und hält die Bank an ihren milliardenschweren Aktienrückkäufen fest, dürfte das den Lobby-Erfolg bei den Parlamentariern torpedieren.

Interessant ist der Blick nach Grossbritannien. Dort sind die Bilanzsummen der Top-3-Banken mehr als doppelt so gross wie das Bruttoinlandsprodukt, eine Systemkrise wie 2008 wäre wegen der höheren Verschuldung deutlich gefährlicher als in der Schweiz. Doch die volle Einführung von Basel III verschob die Finanzaufsicht PRA mit einer interessanten Begründung: Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumsaussichten der Banken dürften nicht leiden.

Doch Wettbewerbsfähigkeit interessiert die Schweizer Behörden nicht wirklich – mit der vollen Einführung von Basel III gefallen sie sich in der Musterschüler-Rolle. In England erhalten die Banken von den Behörden freundliche Unterstützung. In der Schweiz gibt es Friendly Fire.

2025-03-27T09:09:44Z