IWC war die erste Schweizer Uhrenmarke, die auf industrielle Produktionsmethoden setzte. Und diese mit Handwerkskunst kombinierte.
Der junge Mann, der aus Amerika per Schiff über den Atlantik angereist war, hatte einen speziellen Grund für seine wohl strapaziöse Reise: die damals tiefen Löhne in der Schweiz. Florentine Ariosto Jones hiess der 27-jährige Entrepreneur; er wollte hierzulande eine ganz neue Uhrenfabrik gründen. Neben der Tatsache, dass die Alpenrepublik ein Billiglohnland war, kam ihm dabei eine zweite Eigenart der Schweiz zupass: Hier, das wusste er, gab es fähige Uhrmacher, Handwerker mit einem ausgeprägten Savoir faire.
Dieses Savoir faire wollte Jones 1868 mit einem amerikanischen Know-how verbinden – nämlich mit der hierzulande in der Uhrmacherei noch kaum bekannten industriellen Fertigung, wie er in Inseraten verkündete: Sein Ziel, so schrieb er, sei die «Kombination aller Vorzüge des amerikanischen mechanischen Fertigungssystems mit den herausragenden Fähigkeiten der Schweizer Handwerkskunst».
«In den USA war die Uhrenfertigung damals bis ins letzte Detail geplant», weiss IWC-Historiker David Seyffer. «Die Industrie schaffte es, mit standardisierten Teilen Uhren in riesigen Stückzahlen zu bauen. Und zwar in hoher Qualität zu tiefen Preisen.» Jones, der in dieser Industrie tätig gewesen war, wollte die Methoden jetzt in einem «transatlantischen Businesstransfer» in die Schweiz bringen. Und zwar nach Schaffhausen mit der von ihm gegründeten International Watch Company, kurz IWC.
Noch heute ist bei IWC die Verbindung von traditioneller Uhrmacherei mit industriellem Denken das Credo Nummer eins: «Die Marke steht ganz klar für einen einzigartigen Engineering-Ansatz, der von unserem Gründer Florentine Ariosto Jones kam», sagt CEO Christoph Grainger-Herr. «Es ging bei uns von Anfang an um eine Kombination aus Handwerkskunst und industrieller Technologie.»
Man sieht das den Uhren an, die sich in ihrer klaren Formensprache vom gerade in der französischen Schweiz verbreiteten barocken Schnörkelstil unterscheiden. «Wir suchen nach Designsprachen und Innovationen, die in ihrem Ansatz konzeptionell modern sind und den Weg in die Zukunft weisen», sagt der CEO dazu gerne. Was das konkret bedeutet, zeigte die Marke soeben an der Uhrenmesse Watches and Wonders mit einem ausgeklügelten Meisterstück, der Portugieser Eternal Calendar. Besonderheit der Uhr: Sie zeigt die Mondphase in den nächsten 45 Millionen Jahren stets korrekt an – erst dann müsste man korrigierend eingreifen. Bei normalen Uhren ist das nach drei Jahren der Fall, bei besseren Modellen nach 122 Jahren. Noch wichtiger: Die Uhr zeigt auch das Datum immer richtig an; sie «weiss» also, ob ein Monat 30 oder 31 Tage hat und schaltet nach dem 28. Februar korrekt zum 1. März, in den Schaltjahren aber erst nach dem 29. Februar.
Uhren, die das können, heissen Ewige Kalender und gehören zur Königsklasse der Uhrmacherei. Doch bei ihrer neuen Eternal Calendar geht IWC einen Schritt weiter und berücksichtigt auch die Ausnahmen des gregorianischen Kalenders. Demnach wird bei Jahren am Ende eines vollen Jahrhunderts, also bei Jahren mit zwei Nullen am Ende, das Schaltjahr übersprungen und kein 29. Februar angezeigt – unter der Bedingung allerdings, dass die Jahreszahl nicht ohne Rest nach dem Komma durch 400 teilbar ist. Die Ingenieure haben die komplexe Auflage mechanisch sozusagen in die Zahnrädchen einprogrammiert. Dass die Uhr in der Portugieser-Kollektion realisiert wurde, ist kein Zufall. «Wenn wir darüber reden, was eigentlich das Herz der DNA von IWC repräsentiert, dann landen wir sehr schnell bei der Portugieser», sagt CEO Christoph Grainger-Herr, «das ist unsere Kollektion mit der grössten historischen Kontinuität im Design.» Ihre Geschichte: 1939 hatten portugiesische Kaufleute IWC gebeten, eine Armbanduhr mit der Präzision eines Marinechronometers zu entwickeln – mit einem Taschenuhrwerk darin. Das Stück geriet zum Exportschlager und wurde ein Standbein der Marke. «Wenn ich die damalige Uhr neben eine aktuelle Portugieser Automatic 40 halte, sehe ich nach wie vor die gleiche Design-DNA», sagt der IWC-Chef.
Zurück zur Anfangszeit der Marke und der damaligen wirtschaftlichen Grosswetterlage. 1876 kam es an der Weltausstellung in Philadelphia zur Demütigung: Industrielle Massenware schlug in puncto Produktionseffizienz, Herstellungskosten, Zuverlässigkeit und Präzision die gute alte Schweizer Uhr. Der Kundschaft blieb das nicht verborgen: 1872 hatte die Schweiz noch 366'000 Uhren exportiert, fünf Jahre später waren es noch knapp 50'000. Das stürzte die Branche in die schlimmste Krise ihrer Geschichte. Daraufhin schickte die Schweiz eine Art Werkspione in die USA, um dem Geheimnis des «amerikanischen Systems», wie man es nannte, auf die Spur zu kommen. Man hätte aber auch nur nach Schaffhausen reisen müssen – Jones hatte die Methoden in Schaffhausen implementiert. Zur Stadt am Rheinfall hatten ihn erstens die lokale Wirtschaftsförderung gebracht, die ihm den Weg nach Schaffhausen ebnete. Zweitens die Wasserkraft des Rheins, dank dem sich modernste Maschinen über allerlei Transmissionsriemen antreiben liessen. Das war für die damalige Zeit sozusagen Hightech.
Wie modern und industriell Florentine Ariosto Jones damals agierte, zeigt sich am frühen IWC-Angebot: Auf der Basis von zwei Grundkalibern, «Pattern B» und «Pattern H», offerierte das Schaffhauser Unternehmen 17 verschiedene Werke. Es war, wenn man so will, die Vorwegnahme einer Plattformstrategie, wie sie heute die Automobilindustrie kennt.
1884 etwa brachte IWC mit der Pallweber-Taschenuhr eine Uhr mit mechanischer Digitalanzeige – heute ein gesuchtes Sammlerstück. Und 1936 wurde eine spezielle Armbanduhr für Piloten präsentiert – auch sie stand für die Technologieverliebtheit der Marke und ihrer Besitzer. Es folgte die Grosse Fliegeruhr Kaliber 52, 1948 kam die legendäre Navigator’s Wristwatch Mark 11 für die British Royal Air Force, 1992 läutete die Fliegeruhr Doppelchronograph die Ära der modernen Fliegeruhren ein.
Für den Ingenieursgeist, dem die Marke klar verpflichtet war, steht vorab auch das Modell Ingenieur von 1955, welches letztes Jahr aufgefrischt und neu lanciert wurde. Es war bei ihrer Geburt die Uhr zum Zeitgeist der 1950er-Jahre, durchtränkt von einem euphorischen Fortschrittsglauben: Das Schweizer Fernsehen hatte zu senden begonnen, die gigantische Grande-Dixence-Staumauer, lange die höchste der Welt, stand im Bau, das Atomkraftwerk Beznau war in Planung – Ingenieure waren die Stars des Jahrzehnts. Die Spezialität der nach ihnen genannten Uhr war neben dem modernen Pellaton-Aufzug ein Weicheisenkern um das Kaliber. Es schützt das Uhrwerk vor elektromagnetischen Feldern, die damals zum Thema wurden.
Und so ging es weiter: Schon in den 1980er-Jahren baute IWC als Pionier Uhren im Titangehäuse. 1985 präsentierten die Schaffhauser mit dem Modell Da Vinci ihren legendären Ewigen Kalender, 1986 die weltweit erste Armbanduhr mit einem Gehäuse aus schwarzer Zirkonoxidkeramik, leichter und härter als Stahl. Stolz ist man derzeit bei der Ostschweizer Uhrenschmiede auf das neuste Gehäusematerial Ceratanium, ein neu entwickelter Werkstoff, der die Vorteile von Titan und Keramik vereint. Das Material ist so leicht, bruchfest und hautverträglich wie Titan, aber auch hart und kratzfest wie Keramik. Durch den speziellen Herstellungsprozess erhält es eine schwarze, keramische Oberfläche – und wird gerne zum Beispiel bei den Fliegeruhren der «Top Gun»-Reihe eingesetzt.
Fliegeruhren sind ein wichtiges Standbein der Marke – und zu verdanken hat es IWC den Söhnen des späteren IWC-Besitzers Ernst Jakob Homberger. Die Homberger-Söhne, beide leidenschaftliche Piloten, drängten auf die Produktion von Fliegeruhren – und legten damit den Grundstein für eine Erfolgsgeschichte. Es habe dazu aber auch eine pragmatische Motivation gegeben, sagt IWC-Historiker David Seyffer: «Die frühen 1930er-Jahre waren sehr herausfordernd», sagt er. «Es war also eine Notwendigkeit, Neues zu machen, um neue Märkte zu öffnen.» Und die Fliegeruhr war dafür ein Beispiel.
Rudolf Homberger tat als Fliegeroberleutnant Dienst in der Schweizer Armee – und schrieb ein Stück Schweizer Militärgeschichte: Am 8. Juni 1940 stiegen rund ein Dutzend Schweizer Kriegsflugzeuge in den Himmel auf. Eben hatte der Fliegerbeobachtungsdienst berichtet, sechs deutsche Kampfflugzeuge des Typs Messerschmitt Me 110 hätten im Pruntruter Zipfel eine Schweizer C-35 auf Grenzüberwachungsflug überrascht – und einfach abgeschossen. Die Schweizer trafen auf eine Übermacht von 32 deutschen Flugzeugen. Es kam zum Gefecht – dabei wurde Oberleutnant Rudolf Homberger getroffen und schwer verletzt. 34 Einschüsse wurden an seiner Me 109 gezählt, Homberger erlitt zwei Lungendurchschüsse, ein Projektil durchbohrte seinen Oberschenkel. Nach der Landung bei Bözingen auf nur einem Rad – das andere war wegen einer angeschossenen Ölleitung ausgefallen – brach er bewusstlos zusammen. Im Spital in Biel erholte er sich dann von seinen Verletzungen. PR-mässig wurde die Geschichte von IWC nie ausgeschlachtet. Aber historisch beschlagene Fans der Marke erzählen sie sich gerne.
Dieser Artikel ist im Millionär, dem Magazin der «Handelszeitung», erschienen (Juni 2024).
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