SO REICH WAREN DIE REICHSTEN NOCH NIE

Das Gesamtvermögen ist mit 833,5 Milliarden Franken auf einem Rekordhoch. Und auch die Zahl der Milliardäre erreicht einen neuen Höchststand.

Der Wind hat gedreht: Nach zwei Jahren mit einem Rückgang ist das Gesamtvermögen der 300 Reichsten der Schweiz wieder gestiegen und hat mit 833,5 Milliarden Franken einen absoluten Rekordwert erreicht. Um 4,8 Prozent hat das gesamte Vermögen zugenommen und damit auch den bisherigen Höchstwert aus dem Corona-Jahr 2021 überschritten.

Getragen wurde der Zuwachs auch von der günstigen Entwicklung auf den Aktien- und Immobilienmärkten, zwei Bereichen, in denen die Superreichen traditionell stark investiert sind. So kletterte der breit gefächerte Swiss Performance Index (SPI) bis zum Redaktionsschluss am 15. November um 6,3 Prozent, und auch der Immobilienmarkt boomt weiter. So legten die Eigenheimpreise weiter zu und stiegen laut einer Studie der UBS im dritten Quartal 2024 im Vorjahresvergleich um 2,8 Prozent.

Grosse Unterschiede

Allerdings haben nicht alle Kategorien gleich stark zugelegt. Besonders profitieren konnte dieses Jahr die Kategorie Digital, wo das Gesamtvermögen 2024 um über 30 Prozent auf 38,7 Milliarden Franken anstieg. Dies liegt einerseits an den markanten Zuwächsen bei bisherigen Vertretern aus dem Tech-Bereich wie Checkout.com-Gründer Guillaume Pousaz (+2 Milliarden) oder Ex-Google-Technologiechef Urs Hölzle (+500 Millionen), andererseits aber auch an dem grossen Vermögen des Neuzugangs der Kategorie, Kryptokönig Giancarlo Devasini, das auf 7 bis 8 Milliarden Franken geschätzt wird. Der Italiener ist in die Liste gerückt, weil sein Wohnsitz laut Gerichtsunterlagen aus dem Jahr 2023 in Lugano ist. Dort darf er sich eines sehr kryptofreundlichen Umfelds erfreuen: Die Tessiner Stadt ist mit dem ehrgeizigen Vorhaben angetreten, zur europäischen Hauptstadt der Kryptowährungen zu werden. Generell verspürt Krypto seit der Wahl Donald Trumps einen Aufschwung, steht der zukünftige Mr. President der Branche doch ausgenommen freundlich gegenüber.

Neuzugang in den Top Ten

In die Liste der 300 Reichsten kommen Schweizerinnen und Schweizer sowie Ausländerinnen und Ausländer, die ihren Wohnsitz hierzulande haben. Untere Grenze für den Einzug in die Liste ist ein Vermögen von 100 Millionen Franken.

Mit einem Plus von 3,8 Prozent nur unterdurchschnittlich zugelegt haben die zehn Allerreichsten. Allerdings sorgen die Top Ten mit einem addierten Vermögen von 218 Milliarden Franken immer noch für mehr als ein Viertel des Gesamtvermögens der 300 Reichsten.

Dieses Jahr gibt es einen neuen Vertreter in den Top Ten: die Familie Firmenich, deren Vermögen um rund 5 Milliarden zugenommen hat. Nach der Fusion des gleichnamigen Aromen- und Riechstoffkonzerns mit DSM sind die Firmenichs investiert geblieben, halten heute noch deutlich mehr als ein Drittel der Aktien und konnten vom deutlichen Aufschwung der Aktie an der Börse profitieren. Daneben erhielt die Familie damals von DSM noch eine Barabfindung von 3,5 Milliarden Euro.

Die Firmenichs verdrängen die Kamprad-Brüder aus den Top Ten, die dort 21 Jahre lang die Spitzenposition gehalten hatten, im letzten Jahr allerdings den ersten Platz Chanel-Erbe Gérard Wertheimer überlassen mussten. Der ist auch dieses Jahr wieder der Reichste, allerdings aufgrund des Abschwungs in gewissen Bereichen der Luxusbranche mit einem tieferen Vermögen. Die Kamprads waren nach einer grundsätzlichen Neubeurteilung – das Vermögen des von Ingvar Kamprad (1926–2018) gegründeten Ikea-Konzerns, das zum grössten Teil in einer Stiftung gebündelt ist, auf welche die Gründererben keinen Zugang haben, wurde abgezogen – letztes Jahr noch auf Platz zehn, fielen dieses Jahr gänzlich aus dem exquisiten Kreis der zehn Reichsten und sind neu in der Kategorie Händler zu finden.

Rund zehn bis zwölf Neuzugänge zählt die Reichstenliste im Schnitt, und auch dieses Jahr sind es wieder ein Dutzend. Zusammen bringen sie 12,3 Milliarden Franken auf die Waage, wobei der erwähnte Kryptokönig Devasini den Grossteil davon hält. Das Spektrum ist breit und reicht von klassischen Industriellen wie den Familien Zehnder (Zehnder Group) oder Suhner (Brugg Group) aus dem Kanton Aargau bis hin zu schillernden Vertretern wie dem Serieninvestor und Ribopharma-Gründer Christian Angermayer, der sein Geld unter anderem mit der Herstellung und Vermarktung psychedelischer Substanzen für medizinische Zwecke gemacht hat. Nach 15 Jahren in London hat sich Angermayer wie Devasini am Luganersee niedergelassen und gesellt sich im schönen Tessin zu den vielen Norwegern in der Liste, die aufgrund der ungünstigen Steuerlage in ihrem Heimatland in den letzten Jahren in die Schweiz gezogen sind.

Erstmals in der Liste sind in diesem Jahr auch die Brüder Milan und Tomas Prenosil, Inhaber der Confiserie Sprüngli, bekannt vor allem durch ihren Shop und ihr Restaurant direkt am Zürcher Paradeplatz. Knapp dreissig Filialen betreibt das Unternehmen inzwischen, darunter eine Niederlassung am Flughafen München und ein Outlet am Produktionsstandort in Dietikon ZH. Ihre «Luxemburgerli» sind Kult, aber auch Schokolade, Kuchen oder Sandwiches locken die Kaufkundschaft in die Geschäfte.

Ist deren Business eher traditionell, sind andere Neuzugänge im Hightech-Bereich tätig. Robotik-Unternehmer und ETH-Professor Raffaello D’Andrea etwa, Mitgründer von Verity, einer Firma, die ihr Geld hauptsächlich mit Drohnensystemen zur Inspektion von Lagerhäusern macht und auf rasantem Wachstumskurs ist. Auch der Franzose Romain Girbal, wohnhaft in Kilchberg am Zürichsee, ist neu dabei und setzt auf modernste Ansätze: Geschäftsmodell seiner Firma IB2 ist es, Aluminiumraffinerien grüner und kosteneffizienter zu machen.

Parallel zum steigenden Gesamtvermögen nimmt auch die Zahl der Milliardäre in der Liste stetig zu. Unter den 300 Reichsten der Schweiz ist heute mehr als jeder zweite Milliardär, 152 sind es genau, zwei mehr als im Vorjahr. Eine ähnliche Entwicklung gibt es auch in Deutschland, wie die aktuelle Reichstenliste der Kollegen vom «Manager Magazin» zeigt: Von deren 500 Reichsten sind inzwischen 249 Milliardäre, also fast jeder zweite. In keinem anderen Land der Welt gibt es allerdings im Verhältnis zur Anzahl Einwohner mehr Milliardäre als in der Schweiz, wie internationale Vergleiche gezeigt haben.

Einsatz für die Politik

Dieses Jahr machten die Milliardäre in der Schweiz aus besonderem Grund Schlagzeilen: Auffallend viele Superreiche engagieren sich politisch. Und auffallend oft europakritisch. Etwa im Verein Kompass Europa, der das Verhandlungspaket des Bundesrats, das die bilateralen Beziehungen zur EU regeln soll, ablehnt. Der Verein hat rund 3400 Mitglieder. Im 27-köpfigen Initiativkomitee sitzen vier Milliardäre, die auch in der diesjährigen Liste sind, nämlich die drei Gründer des Zuger Private-Equity-Unternehmens Partners Group, Marcel Erni, Alfred Gantner und Urs Wietlisbach, sowie der Immobilienunternehmer Stéphane Bonvin. Vor allem Urs Wietlisbach legt sich auch öffentlich ins Zeug und vertritt die Position des Vereins im Fernsehen und in Zeitungsinterviews.

Doch das ist nicht das einzige europakritische Sammelbecken von Unternehmern und Unternehmerinnen, es gibt daneben noch den Verband Autonomie-Suisse, der die Kompass-Initiative unterstützt. Er hat 800 Anhänger und 22 Komiteemitglieder. Im Komitee dabei sind unter anderem Vertreter der dieses Jahr neu in die Liste gerückten Industriellenfamilien Zehnder und Suhner: Hans-Peter Zehnder und Otto Suhner. Es gibt allerdings auch Wirtschaftsvertreter, welche im Gegensatz zu den Genannten die bilateralen Verträge befürworten, im Einklang mit der offiziellen Haltung des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse notabene. FDP-Nationalrat und Ypsomed-CEO Simon Michel etwa, der als Unternehmer derzeit sehr erfolgreich unterwegs ist: Im Jahresvergleich schossen die Titel rasant in die Höhe, was das Vermögen der Familie Michel, die 72 Prozent der Aktien hält, um mehr als zwei Milliarden Franken anschwellen liess.

Das Pro-Kopf-Vermögen der 300 Reichsten der Schweiz beträgt 2,8 Milliarden Franken. 1989, als BILANZ erstmals eine Reichstenliste veröffentlichte (damals mit erst 100 Reichsten) lag der entsprechende Wert noch bei 660 Millionen. Heute besitzen nur schon die beiden Erstplatzierten, der erwähnte Chanel-Erbe Gérard Wertheimer mit 37,5 und die Roche-Besitzerfamilien Hoffmann, Oeri und Duschmalé mit 28,5 Milliarden, zusammen 66 Milliarden Franken und damit genau so viel wie damals sämtliche 100 Reichsten gemeinsam.

Grosses Spektrum

Mit Zahlen und Fakten zu den Vermögen der Reichsten der Schweiz zusätzliche Transparenz zu schaffen und das alles mit reichlich Lesevergnügen zu verbinden, ist uns schon seit den ersten Reichsten-Ausgaben ein Anliegen. An der vorliegenden 36. Ausgabe der goldenen BILANZ haben erneut über 30 Journalistinnen und Journalisten und über ein Dutzend weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Produktion, Grafik, Bildredaktion, Korrektorat und IT mitgewirkt. Entstanden ist auch dieses Jahr ein Sammelsurium von 300 kleineren und grösseren Geschichten, die zeigen, wie vielfältig das Spektrum des Reichtums in der Schweiz heute ist.

Als Rechercheure und Autoren haben am diesjährigen BILANZ-Ranking der 300 Reichsten mitgewirkt: Corinne Amacher, Mark Baer, Erich Bürgler, Jost Dubacher, Wolfgang Gamma, Erich Gerbl, Gret Heer, Marc Kowalsky, Silvan Kuenzle, Iris Kuhn-Spogat, Anne-Barbara Luft, Stefan Lüscher, Matthias Mehl, Erik Nolmans, Dirk Ruschmann, Dirk Schütz, Sibylle Veigl. Von «Bilan»: Benjamin Berger, Francesco Bonsaver, Ghislaine Bloch, Jean-Philippe Buchs, Luigino Canal, Daniel Eskenazi, Vincent Gillioz, Philippe Lugassy, Andrea Machalova, Patricia Meunier, Lucie Monnat, Joan Plancade, Marat Shargorodsky, Frédéric Thomasset, Julien de Weck, Myret Zaki.

2024-11-28T21:18:21Z