Das EU-Dossier ist derzeit ein heisses Eisen in Bundesbern. Deshalb konnten Superreiche die Debatte kapern – und Politiker halten sich zurück.
Sie gehören zu den reichsten Einwohnern dieses Landes. Sie sind männlich, meist deutlich über 50 Jahre alt und haben ein gemeinsames Hobby: Sie wollen mitbestimmen, wie die Schweiz ihre Beziehung zur EU ausgestaltet.
Die Zahl der Schweizer Superreichen, die gegen eine Annäherung an die EU kämpfen, ist aussergewöhnlich hoch. Dies zeigt der Blick auf die neue BILANZ-Reichstenliste. Rund ein Dutzend Männer – und eine Frau – sind unter den 300 Reichsten der Schweiz verzeichnet, die sich nebenamtlich gegen die EU engagieren.
Die bekanntesten unter ihnen: Alfred Gantner (56), Urs Wietlisbach (63) und Marcel Erni (59). Die drei Gründer der Investmentfirma Partners Group stecken hinter der Initiative Kompass Europa. Diese kämpft mit viel Medienpräsenz gegen das Rahmenabkommen und will verhindern, dass die automatische Rechtsübernahme die Souveränität der Schweiz zu stark einschränkt.
Die drei Männer verfügen über ein Vermögen von je 2,75 Milliarden Franken. Und sie können auf viel Support zählen: Neben Ski-Legende Bernhard Russi (76) und Moderator Kurt Aeschbacher (76) sitzen im Initiativkomitee weitere Schweizer Superreiche:
Autonomiesuisse heisst eine weitere Bewegung, die sich skeptisch gegen neue EU-Verträge zeigt. Auch an ihrer Spitze stehen schwerreiche Unternehmer: Im Komitee sitzen etwa der Aargauer Unternehmer Hans-Peter Zehnder (70, Familienvermögen: 125 Millionen Franken) oder Bernhard Alpstaeg (78), bekannt als FC-Luzern-Mäzen und Unternehmer (Vermögen: 1,75 Milliarden Franken).
Im Vorstand sitzen ferner Investor Giorgio Behr (76), 425 Millionen Franken schwer, sowie der 79-jährige Aargauer Unternehmer Otto Suhner (Familienvermögen: 325 Millionen Franken). Als gewöhnliches Mitglied ist auch Ex-SVP-Nationalrat und Stadler-Rail-Patron Peter Spuhler (65, Vermögen: 3,75 Milliarden Franken) gelistet.
Es waren diese Männer, die in den vergangenen Monaten die Debatte um eine neues Rahmenabkommen geprägt haben. Aussergewöhnlich dabei: Sie konnten sich auf dem politischen Spielfeld ziemlich frei austoben. Die Bundesparlamentarier überliessen ihnen, mit Ausnahme von Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard (56), das Feld quasi freiwillig. FDP und Mitte, bisher das Rückgrat der Bilateralen, schauen derzeit nur zu.
FDP-Präsident Thierry Burkart (49) und Mitte-Präsident Gerhard Pfister (62) halten sich am Spielfeldrand vornehm zurück. Beide scheinen sich derzeit nicht engagieren zu wollen: Denn die Vorlage ist in ihren Parteien umstritten. Solange kein belastbares Verhandlungsresultat vorliegt, ist es aus ihrer Sicht nicht ratsam, sich für die Vorlage ins Zeug zu legen.
Und Aussenminister Ignazio Cassis (63), der wichtigste Spieler in der innenpolitischen Debatte, schien lange gar abgetaucht: Öffentlich hat sich der FDP-Mann seit März nicht mehr zum prägendsten Dossier seiner ganzen Amtszeit geäussert. Seither gab Cassis nur noch zwei Interviews an lokale TV-Sender. Dort äusserte er sich etwa zum Unkrautjäten in seinem Garten.
Haben also EU-skeptische Milliardäre die Debatte an sich gerissen? Nicht ganz. Milliardär und FDP-Nationalrat Simon Michel (47, Familienvermögen: 5,5 Milliarden) kämpft derzeit vehement für eine rasche Lösung bei den Bilateralen II. Unermüdlich weibelt der CEO und Mitbesitzer des Medtechkonzerns Ypsomed in Bundesbern. Stets betont er: Gute Beziehungen zu den wichtigsten Nachbarn seien für die Schweizer Wirtschaft essentiell.
Unter der Bundeshauskuppel kreuzt er dabei die Klingen mit Milliardärin und SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (55, 15,5 Milliarden Familienvermögen). Die Chefin und Mitbesitzerin der EMS-Chemie ist zwar nur Ersatzmitglied der Aussenpolitischen Kommission. Wenn es ums EU-Dossier geht, sollen dem Vernehmen nach andere SVP-Vertreter auch schon zufällig gefehlt haben. Das EU-Dossier ist bei der SVP Chefsache.
2024-11-29T08:33:18Z