Psychopathen manipulieren gezielt ihre Mitmenschen – und sind trotzdem oft CEOs. Darum erkennen wir die Warnsignale oft nicht.
Psychopathen sind ausgezeichnet im Lügen und Weltmeister im Anzetteln von Intrigen – und landen trotzdem oft im Top-Management. Dabei gebe bereits das Bewerbungsschreiben Hinweise darauf, mit wem man es zu tun hat, sagt Stephan Siegfried (siehe Box) im Gespräch mit der Redaktion.
«Diese Menschen suchen gezielt Macht und Geld und arbeiten oft in grossen Unternehmen»
Herr Siegfried, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Sprachanalysen von Bewerbungsschreiben zu machen?
Die Sprache und ihre Wirkung hat mich schon immer fasziniert. Sie ist der Spiegel der Seele – der Mensch ist so, wie er spricht. Das hat der Mimen-Autor Publilius Syrus schon im ersten Jahrhundert v. Chr. festgestellt.
Was kann man mit Sprachanalysen aus einem CV herauslesen?
Sehr viel, vor allem aus dem Motivationsschreiben und weiterer Korrespondenz. Man merkt schnell, ob jemand begeisternd, konfrontierend, autonom, deutlich, offen, ordentlich, teamorientiert, zuversichtlich oder dramatisch unterwegs ist. Das gibt uns Hinweise darauf, ob eine Person als Führungskraft geeignet ist oder nicht.
Funktioniert das heute immer noch, jetzt, wo viele ihr Motivationsschreiben mit ChatGPT verfassen?
Es ist schwieriger geworden, wir setzen für unsere Sprachanalysen aber ebenfalls auf künstliche Intelligenz. Spätestens im persönlichen Gespräch kann sich dann aber niemand mehr verstecken. Drei bis fünf W-Fragen reichen oft, um sich ein Bild von einer Person zu machen.
Was sind das für Fragen?
Wer ist dein Mentor? Welches sind deine besten beruflichen Erlebnisse? Welches waren die grössten Herausforderungen und wie war das Vorgehen? Das sind typische Fragen, die uns helfen, die Persönlichkeit einer Person zu erfassen.
Rund ein Prozent aller Menschen haben eine toxische Persönlichkeit, erkennen Sie diese aufgrund eines Bewerbungsschreibens?
Nicht direkt, es gibt erste Hinweise mit einer hohen Erfolgsquote. Menschen mit einer toxischen Persönlichkeit verwenden gewisse Sprachmuster, Formulierungen und Verhaltensweisen, die sie von den anderen 99 Prozent unterscheiden.
Können Sie Beispiele nennen?
Psychopathen haben eine schludrige Schreibweise, sie nutzen lange Sätze und kreieren Wortschöpfungen, um Eindruck zu schinden. Sie verwenden emotionale Begriffe für Gegenstände und kognitive Begriffe für Emotionen. Auch eine Kampfrhetorik und ein aggressiver Ton sind nicht selten. So sprechen sie beispielsweise von Gefolgschaft statt von Mitarbeitern.
Gibt es weitere Warnsignale?
Toxische Persönlichkeiten manipulieren oft gezielt Menschen, etwa indem sie unwahre Aussagen so mit der Wahrheit verbinden, dass es kaum auffällt. Zudem sprechen sie viel aus der Ich-Perspektive, widersprechen sich oft im gleichen Satz und kopieren den Sprachstil des Gegenübers. Sie sind ausgezeichnet im Lügen und Weltmeister im Anzetteln von Intrigen.
Wie hoch ist die Psychopathen-Quote bei den CEOs?
Fast vier Prozent aller CEOs sind Psychopathen. Das verwundert mich nicht, denn diese Menschen suchen gezielt Macht und Geld und arbeiten oft in grossen Unternehmen. Ein Beispiel dafür ist die ehemalige France Télécom, wo es 2008 und 2009 über 35 Suizide gab. Der Hauptgrund für die Suizide war die toxische Führung im Top-Management.
Sind auch in der Schweiz oft Psychopathen im Top-Management?
Ja, das kommt oft vor. Auffällig sind dabei eine hohe Fluktuation und überdurchschnittlich viele krankheitsbedingte Absenzen. Eine hohe Arbeitslast ist kaum die Ursache, das ist organisatorisch lösbar. Es sind die toxischen Verhaltensmuster, die das Umfeld sozusagen in den Wahnsinn treiben. In meiner beruflichen Tätigkeit habe ich viele Fälle in Firmen gesehen, wo toxisches Verhalten enormen Schaden angerichtet hat.
Welche Eigenschaften haben solche Personen?
Man kann neurobiologisch messen, dass diese Menschen kein Gewissen haben. Sie können keine Empathie entwickeln und sind nicht fähig, ihre Ängste zu verarbeiten. Stattdessen haben sie den sogenannten Predator-Blick und wissen genau, wie sie andere Menschen manipulieren, belügen und betrügen können.
Warum dauert es oft so lange, bis toxische CEOs gehen müssen?
Diese Menschen sind charismatisch und können andere so einfach beeindrucken. Unsere leichtgläubige Gesellschaft ist bisher kaum für dieses Thema sensibilisiert. Und Menschen gehen davon aus, dass andere gleich denken und fühlen wie sie selbst. Psychopathen wissen das und nutzen es gezielt aus.
Was empfehlen Sie Firmen, dass es gar nicht wo weit kommt?
Wer früh in Aufklärung und Prävention investiert, kann die hohen Kosten verhindern, die durch eine toxische Führung auftreten. Kürzlich zeigte ich einem Schweizer Firmenchef in der Baubranche auf, worauf er achten muss. Er sagte danach, dass er Hunderttausende Franken Schaden hätte verhindern können, wenn er das früher gewusst hätte.
2024-10-23T10:40:40Z