DER NOTENDRUCKER RüSTET SICH FüR DIE ­DIGITALE WELT

Seit 500 Jahren prägt der Notendrucker die Geschichte des Geldes und will nun in der digitalen Ära bestehen. Einblicke in eine diskrete Firma.

Mitten im geschäftigen Wiedikon, nur wenige Schritte vom Bahnhof entfernt, liegt die Dietzingerstrasse. Eine kaum befahrene 30er-Zone, auf beiden Seiten reihen sich Altbauten aneinander, die schmucklosen Fassaden üben sich in nobler Zurückhaltung. Fast unsichtbar fügt sich Haus Nr. 3 ein. Über einem Fenster im ersten Stock erkennt man den schlichten, in den Sandstein gemeisselten Schriftzug: Orell Füssli. Seit 1923 ist hier der Hauptsitz eines der ältesten Unternehmen der Welt. In der Schweiz bekannt für den Buchhandel, weltweit angesehen für den Druck von Geldnoten.

Schon von der Strasse her hört man den gleichmässigen Rhythmus der Druckmaschinen wie einen mechanischen Herzschlag. Jeder Schlag steht für einen Bogen mit 40 Noten. Auf mehreren unterirdischen Stockwerken wird das Papiergeld gedruckt, in Tresoren gelagert und auf Paletten gestapelt, bevor es mit Lastwagen von der Dietzingerstrasse zum Flughafen und von dort in die ganze Welt geflogen wird.

Very old Economy

Banknotendruck in der Zeit digitalen Bezahlens, Buchhandel in einer Welt, in der Lesen vor allem auf dem Smartphone stattfindet – Orell Füssli muss sich in der Very Old Economy behaupten. Gleichzeitig will das mehr als 500 Jahre alte Unternehmen auch in neuen digitalen Geschäftsfeldern wachsen. Ob dieser Spagat gelingt, steht in den Sternen. Wie er gelingen soll, dafür hat Daniel Link eine Vision.

Der Chef von Orell Füssli hat genug vom Schwelgen in der gloriosen Firmengeschichte, in der es um Zwinglis Bibel, die ersten Briefmarken auf dem europäischen Kontinent und den roten Schweizer Pass geht. Link will sich nicht für die Erfolge der Vorväter rühmen lassen. Er will Strategien für die Zukunft schärfen. Vor fünf Jahren übernimmt der Mikrotechnik-Ingenieur das Steuer und stellt als Erstes die Konzernleitung mit internen und externen Köpfen neu zusammen. Das neue grössere Team setzt er auf die Frage an: Wie werden unsere Produkte in den nächsten fünf bis zehn Jahren aussehen?

Seit Mitte der 1950er Jahre druckt Orell Füssli den Schweizer Pass, heute auch den Führerausweis und andere Dokumente. Die Frage lautet daher: Wie sieht der Pass der Zukunft aus? «Wir kamen zu der Einsicht, dass digitale Identifikationsnachweise die Zukunft sind», sagt Link. Schnell wird klar, dass für diese E-IDs das Know-how nicht im Haus ist. Daher wird 2021 das Start-up Procivis übernommen und seither gezielt in die Entwicklung neuer Technologien investiert.

Die 30 neuen Mitarbeitenden werden im vierten Stock an der Dietzingerstrasse einquartiert. Ihren Start-up-Grove möchte man den Softwareentwicklern nicht nehmen, daher richtet man ihnen ein modernes Grossraumbüro mit Sofaecke und Zugang zur Dachterrasse ein. Dort spricht man Englisch und trägt Jeans. Die Kreativität soll nicht von holzgetäfelten Wänden, historischen Werbeplakaten oder Vitrinen mit alten Bibeln – wie man sie sonst im Haus allerorts vorfindet – gestört werden. «Ich habe mich bemüht, Procivis grosse unternehmerische Freiheiten zu gewähren, möglichst frei von unseren Corporate-Strukturen», erklärt Link. Während beim Banknotendruck eine Null-Fehler-Toleranz gilt, heisst es bei den Softwareentwicklern: «Fail fast, fail cheap.» Und das funktioniert: «Bis jetzt sind sie im Businessplan.»

Viel Prestige, kaum Umsatz

Für VR-Präsident Martin Folini ist das gute Verständnis von Zukunftsthemen eine von Daniel Links grossen Stärken. «Er ist zudem sehr umtriebig bezüglich der Wahrnehmung von Marktchancen», lobt Folini den CEO, der zuvor Chef der Textilmaschinenfirma Bräcker und in der Konzernentwicklung von Rieter war. Ein guter Schachzug von Link war sicher die Berufung von Désirée Heutschi als Leiterin Unternehmensentwicklung in die Orell-Füssli-Geschäftsleitung. Die ehemalige Microsoft-Managerin wird zudem Co-CEO von Procivis. Mit Heutschi an der Spitze gelingt die Entwicklung einer neuen Softwarelösung für digitale Ausweise. Diese überzeugt auch das U.S. Department of Homeland Security, das Procivis im Sommer ein Datenschutzprojekt überträgt.

Die Zusammenarbeit mit der US-Behörde bringt viel Prestige – wie lukrativ sie ist, verrät Orell Füssli nicht. «Viele Player versuchen, sich mit digitalen Identitäten zu etablieren, der Markt verspricht sehr hohe Wachstumschancen. Wer die Gewinner sein werden, weiss man heute noch nicht», sagt Daniel Bürki, der für die Zürcher Kantonalbank Schweizer Aktien analysiert. Bisher wird Procivis in den Orell-Füssli-Finanzkennzahlen unter «übrige Geschäftsfelder» aufgeführt. Bürki schätzt die Tochterfirma beim Umsatz auf einen tiefen einstelligen Millionenbetrag und als vermutlich defizitär ein.

In der Schweiz wird es vermutlich ab 2026 elektronische Identifikationsnachweise geben. Orell Füssli möchte für den Bund Softwarekomponenten für die technische Umsetzung der neuen Ausweise liefern. Einen konkreten Auftrag gibt es noch nicht. Ob sich die hohen Investitionen in digitale Ausweise auszahlen werden, wird man demnächst sehen. Spätestens in drei Jahren soll Procivis schwarze Zahlen schreiben, sagt Daniel Link.

Die Hightech-Nötli

Das meiste Geld verdient Orell Füssli nach wie vor im Sicherheitsdruck. Keine andere Sparte ist so lukrativ und stabil. Seit mehr als 100 Jahren druckt OF die Schweizer Banknoten – selbstredend die sichersten der Welt. Vor wenigen Wochen hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) angekündigt, eine neue Banknotenserie zu entwickeln. Der Gestaltungswettbewerb wurde bereits lanciert, gedruckt werden die neuen Nötli erst in einigen Jahren. Obwohl es eine offizielle Ausschreibung geben wird, kann man davon ausgehen, dass auch die neuen Scheine in den Kellern an der Dietzingerstrasse gedruckt werden. Nicht nur, weil das schon immer so war und die SNB Hauptaktionärin von Orell Füssli ist, sondern auch, weil niemand sonst derart fälschungssichere Geldscheine herstellen kann.

Bereits das Papier stellt ein Sicherheitsmerkmal dar. Euro und Dollar werden auf Papier aus Baumwollfasern gedruckt, Pfund und kanadische Dollar auf Polymer – also Plastik. Der Franken hingegen auf einem Hybrid: Wie bei einem Sandwich wird eine Schicht Polymer zwischen zwei Lagen Papier gepresst und laminiert. Das spezielle Material, Durasafe, wurde in der Schweiz von der Papierfabrik Landquart entwickelt. Von der bezieht Orell Füssli die Blankobögen. Wasserzeichen und Metallfäden sind dann bereits eingearbeitet.

Auch die Farbe des Geldes, geliefert von der Westschweizer Firma Sicpa, ist ein Hightech-SicherheitsFeature. Abhängig davon, in welchem Winkel das Licht auf die Geldnote fällt, ändert sich die Farbe, oder ein Symbol erscheint dreidimensional. Und als wäre das nicht genug, kommen noch Hologramme, Mikroschriften, fluoreszierende UV-Elemente und Mikroperforierungen – ins Schweizerkreuz sind 80 mikroskopisch kleine Löcher gelasert – hinzu. Orell Füssli besitzt das Know-how und die Maschinen, aus all diesen Komponenten eine nahezu fälschungssichere Banknote herzustellen. Dafür sind zehn Prozessschritte nötig. Zum Vergleich: Euronoten werden in fünf Schritten gedruckt. Wie viel das Schweizer Hightech-Nötli kostet, darf Daniel Link nicht verraten. Nur so viel: «Die meisten Noten, die wir drucken, sind für den Export und weniger teuer als die Schweizer Noten.»

Fälscher benötigen Jahre, um alle Komponenten nachzuahmen – spätestens dann werden im besten Fall neue Noten unters Volk gebracht. Das ist auch der Grund, warum Falschgeld in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern höchst selten im Umlauf ist. Die Schweizer Polizei stellte im vergangenen Jahr rund 4000 gefälschte Frankenscheine sicher, aber mehr als 130'000 Euroblüten. Die Motivation der Geldfälscher ist laut Fedpol vielfältig, sie reiche von Experimentierfreude bis hin zu Geldmangel. So wurden vor zwei Jahren in Urdorf ein ehemaliger Mitarbeiter von Orell Füssli und dessen Spiessgeselle zufällig aufgespürt und verhaftet. Die beiden hatten eine Werkstatt eingerichtet, um in grossem Stil Dollarnoten zu fälschen. Im Sommer wurden sie zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren verurteilt.

Ursprünglich war die SNB der einzige Kunde für Banknoten von Orell Füssli, mit all den Nachteilen – wie beispielsweise zyklischen Schwankungen –, die eine solche exklusive Geschäftsbeziehung mit sich bringt. Seit einigen Jahren werden in Wiedikon auch Geldnoten für andere Länder gedruckt. Darunter Uruguay, Costa Rica und Madagaskar – alle anderen Namen sind hochvertraulich. «Für die SNB ist es vorteilhaft, dass Orell Füssli Banknoten für andere Länder druckt», heisst es vonseiten der Notenbank. OF gewinne dadurch Erfahrungen bei der Entwicklung und der Innovation von Produkten und Prozessen, von denen auch die SNB profitiere.

Klein und flexibel

Pro Jahr kann Orell Füssli 700 bis 800 Millionen Geldscheine drucken. Sehr grosse Aufträge kann das Unternehmen daher nicht annehmen. «Eine Bestellung für mehr als eine Milliarde Noten würde uns über ein Jahr lang beschäftigen und alle Kapazitäten blockieren», erklärt Link. «In dieser Zeit könnten wir kaum Aufträge anderer Kunden annehmen.» Ein breites Kundenportfolio ist im Sicherheitsdruck wegen aktueller Referenzen aber von grosser Bedeutung. Besonders wichtig ist es daher, dass OF die Druckerei an der Dietzingerstrasse schnell von einer Währung auf die nächste umrüsten kann – was dank sehr guten Maschinen und geschultem Personal möglich ist.

  • 232 Millionen Franken Umsatz:

Nach der Covid-Delle hat Orell Füssli im vergangenen Geschäftsjahr bei Umsatz und Gewinn wieder zugelegt.

  • 18,1 Millionen Frnaken Ebit:

Das meiste Geld verdient Orell Füssli nach wie vor mit dem Druck von Banknoten und Ausweisen.

  • 664 Mitarbeitende:

In den vergangenen Jahren ist die Belegschaft leicht gestiegen. 2021 kamen mit Procivis 30 Neue dazu.

«Ich versuche natürlich, möglichst viel mit Bargeld zu bezahlen, aber für grössere Beträge benutze auch ich die Kreditkarte», räumt Link ein. Vor dem Verschwinden des Bargelds hat er trotzdem keine Angst: «Jedes Jahr werden etwa 150 Milliarden Banknoten gedruckt. Der Markt wächst mit vier bis sechs Prozent.» Vor allem in Schwellenländern ist Cash immer noch King, und dort, in Afrika und Südamerika, sind die Kunden von Orell Füssli.

Aber auch in der Schweiz wird jede dritte Zahlung immer noch bar getätigt. Die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung möchte Bargeld auch in Zukunft als Zahlungsmittel nutzen und zwischen Bargeld und elektronischen Zahlungsmitteln wählen können. Die SNB hat die gesetzliche Aufgabe, die Bargeldversorgung zu gewährleisten. «Deshalb sorgen wir dafür, dass die Schweizer Banknoten langfristig sicher und modern sind», betont ein SNB-Sprecher.

Sicher ist auch der Hauptsitz von Orell Füssli. Was von aussen wie ein unauffälliges Bürogebäude aussieht, entpuppt sich im Innern als Hochsicherheitsanlage. Der Eingang zu den Büros des Sicherheitsdrucks ist durch eine Schleuse geschützt, die immer nur eine Person passieren kann. Doch das ist nichts gegen die Sicherheitsstandards in den Untergeschossen. Nicht nur die Schlösser sind dort deutlich aufwendiger. Ein Hintergrundcheck jedes Mitarbeiters vor der Anstellung ist Standard. Jedes Jahr muss ein Betreibungsregisterauszug vorgelegt werden. Darüber hinaus gilt ein striktes Verbot für Handys, Laptops und jedes Gerät mit Kamera. Bei Schichtende werden die Mitarbeitenden stichprobenmässig durchsucht.

Vor mehr als zehn Jahren konnten trotzdem unbemerkt Scheine im Wert von 1,8 Millionen Franken aus der Druckerei in Zürich-Wiedikon entwendet werden. 2012 wurden in England zwei Männer festgenommen, die Schweizer Tausendernoten wechseln wollten – allerdings fehlte die Seriennummer. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Noten bei Orell Füssli gestohlen worden waren.

Illustre Investoren

Seit 1991 ist die Schweizerische Nationalbank Aktionärin von Orell Füssli – mit 33 Prozent sogar die grösste. Während in der Eurozone, den USA und vielen anderen Ländern Staatsdruckereien die Banknoten herstellen, ist die Zusammenarbeit mit Privatunternehmen für Notenbanken ein Risiko hinsichtlich der Versorgungssicherheit mit Bargeld. Im Verwaltungsrat wird die SNB durch Thomas Moser, stellvertretendes Direktoriumsmitglied, vertreten. Er bringt sich vor allem bei Themen rund um neue technologische Entwicklungen und die Digitalisierung ein. Zu den Grossaktionären zählt seit den 1980er Jahren auch der Unternehmer und Yello-Musiker Dieter Meier. Sein Anteil ist heute mehr als 20 Millionen Franken wert. An der Feier zum 500-Jahr-Jubiläum vor fünf Jahren trat Meier als Musiker auf – für CEO Link ein Beweis für Meiers Verbundenheit mit dem Unternehmen.

Ein Kaufargument für die Orell-Füssli-Valoren ist vor allem die attraktive Dividende, von der auch Theo Siegert profitiert. Der deutsche Manager und Unternehmer, der auch zu den Shareholdern der SNB zählt, hält seit vielen Jahren knapp neun Prozent an OF. Neben den Ausschüttungen ist ein Investment in den starken Franken aus Siegerts Perspektive lohnenswert – darüber hinaus ist der 77-Jährige ein Fan der Schweiz und verbringt gerne Zeit in den Alpen.

Aktie ohne Fantasie

In den vergangenen Jahren hat die Orell-Füssli-Aktie keine grossen Sprünge gemacht. Auf Jahressicht hat das im Swiss Performance Index gelistete Papier knapp sechs Prozent gewonnen. Selbst die Ankündigung der SNB, eine neue Notenserie zu drucken, hat keine Bewegung in den Kurs gebracht. Das mag an der besonderen Aktionärsstruktur und am geringen Free Float liegen. Gemäss ZKB-Analyst Bürki fehle momentan die Fantasie, um diesen Titel zu beflügeln, wobei die digitalen Identitäten hier Potenzial böten.

Verwaltungsratspräsident Martin Folini ist davon überzeugt, dass das Ergreifen von Chancen im digitalen Bereich, aber auch das starke Kerngeschäft Orell Füssli in Zukunft erfolgreich machen werden. An der Dietzingerstrasse könnte eine solche Symbiose aus Handwerk und Hightech gelingen – inmitten dieser unscheinbaren Strasse.

2024-11-28T10:48:19Z