Die Künstliche Intelligenz wird uns retten, lautet das Versprechen der Technokraten. Ja, aber zunächst verschärft sie unser Energieproblem, entgegnet Alexandre Pauchard, der CEO des CSEM.
Herr Pauchard, Ray Kurzweil, ein Pionier der Künstlichen Intelligenz (KI), hat wieder einmal ein Buch veröffentlicht. Darin verspricht er uns eine rosige Zukunft: billige Energie, Umweltprobleme werden gelöst, ein langes Leben dank mit KI aufgemotzter Medizin etc. Wie beurteilen Sie diese rosigen Prognosen?Alexandre Pauchard: Technologie kann nicht alle Probleme lösen, ja, Technologie schafft auch neue Probleme. Langfristig gesehen eröffnet die KI sicherlich neue Perspektiven, doch kurzfristig verschärft sie unser Energie-Problem.
Weshalb?Das Training für die KI-Modelle verschlingt ungeheuer viel Energie. Die nächste Generation von Rechenzentren (sogenannte Exascale-Rechenzentren) werden zwischen 100 und 500 Megawatt Strom brauchen. Allein im Norden von Virginia gibt es 300 Rechenzentren der heutigen Generation. Insgesamt benötigen sie 2,5 GW Strom – das entspricht der Produktion von 2,5 Atomkraftwerken. Es ist fast unglaublich, wie viel Strom da verbraucht wird.
Zum Glück wird dieser Strom immer billiger und sauberer. So hat der «Economist» kürzlich in einer Titelgeschichte prophezeit, die Welt werde bald in Solarstrom schwimmen, der praktisch gratis sein wird.Ja, aber vorläufig verschlingt auch die Herstellung von Solarpanels sehr viele Ressourcen. Es mag sein, dass auch die KI-Modelle immer energieeffizienter werden, aber sie werden auch in immer neue Märkte eingeführt werden.
Könnte es nicht sein, dass KI dafür sorgen wird, dass KI weniger Strom verbraucht?Das wäre wunderbar. Aber derzeit ist dies nicht der Fall. So hat kürzlich Microsoft erklären müssen, die hochgesteckten Energiesparziele würden nicht erreicht werden, gerade weil so viel Energie in KI gesteckt werden müsse.
Microsoft ist kein Einzelfall. Die Wirtschaft will zwar grün werden, trotzdem haben viele Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsziele zurückgesteckt. Weshalb?Am Anfang sieht man das Potenzial einer neuen Technologie, später dann die Probleme. Menschen sind leider nicht sehr gut darin, Probleme zu antizipieren.
Es gibt ja auch das Bonmot: Technischer Fortschritt wird kurzfristig über- und langfristig unterschätzt. Offenbar trifft dies auch auf die KI zu, oder?Sehr sogar. Wir werden bald den Einfluss von KI überall sehen. Der Impact wird sehr gross sein. Deshalb müssen wir uns Gedanken machen, wie wir sie einsetzen können, um unser grösstes Problem zu bewältigen: die Klimaerwärmung.
Ein Problem, das uns gerade wieder einmal drastisch vor Augen geführt wird.Wenn wir dieses Problem nicht seriös anpacken, dann wird uns auch die KI nicht aus der Patsche helfen. Wir brauchen dringend erneuerbare Energie. Doch wir müssen sie gezielt einsetzen.
Grüne Parteien haben es derzeit schwer. Die Menschen wissen zwar, dass wir etwas gegen die Klimaerwärmung unternehmen müssen, aber es darf nicht wehtun. «Die KI wird es schon richten» ist daher eine weitverbreitete Ansicht.Das ist eine Illusion. Nochmals. Wir beim CSEM arbeiten viel mit KI, doch wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass derzeit das Training der KI-Modelle noch sehr viel Energie verschlingt.
KI-Skeptiker sagen, sie werde unsere Welt noch komplexer machen und deshalb vor allem zu mehr Bürokratie führen. Könnte es sein, dass die KI unser Leben nicht einfacher, sondern komplizierter machen wird?Nein, ich bin überzeugt, dass die KI unser Leben vereinfachen wird. Denken Sie bloss, wie viel einfacher es geworden ist, Informationen zu beschaffen und zu verarbeiten. Doch die Technologie entwickelt sich so schnell, dass die Bürokratie – und auch die Politik – nicht mehr mithalten. Diese Probleme werden wir jedoch lösen können. Am meisten Sorgen macht mir der Energieverbrauch. Und dabei müssen wir uns eingestehen, dass die demokratischen Prozesse diesbezüglich unser Leben nicht einfacher machen.
Machen die Chinesen es besser? Sie sind mittlerweile die führenden Hersteller im Bereich der Photovoltaik (PV). Sollten wir uns nicht sagen: Wir profitieren davon und lassen uns von den Chinesen eine kostengünstige und nachhaltige neue Infrastruktur bauen?Die Chinesen sind inzwischen auch in vielen anderen Technologien sehr stark geworden, im Bereich der Chips oder der Quantentechnologie beispielsweise. Deshalb müssen wir uns sehr genau überlegen, wo wir investieren wollen. Im PV-Bereich waren wir einst führend, vor allem Deutschland. Inzwischen sind fast alle Produzenten abgewandert. Der letzte ist die Firma Meyer Burger. Die eröffnet jetzt eine Zwei-Gigawatt-Anlage in den USA.
Das geschieht, weil die USA einen Green New Deal haben und diese Unternehmen grosszügig unterstützen. Müssten wir dies – um unsere Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten – nicht auch machen?Die EU versucht dies nun. Aber für viele Unternehmen wie Meyer Burger ist dieser Plan zu spät gekommen.
Und was ist mit der Schweiz?Wir sind keine Fans von Industriepolitik.
Die Amerikaner machen es, die Chinesen, die Franzosen und zunehmend sogar die Deutschen. Können wir es uns leisten, es nicht zu machen?Das ist für mich eine grosse Frage. Die Staaten, die Sie erwähnt haben, machen auch grosse Schulden. Nun kann man sagen: So what?
Kann man.Wir in der Schweiz ticken anders.
Wir vergöttern die Schuldenbremse.Schlussendlich ist dies vielleicht sogar der richtige Weg.
Sie stehen an der Front der technologischen Entwicklung. Schmerzt es Sie nicht, wenn der technische Fortschritt auf dem Altar der Schuldenbremse geopfert wird?Die Schweiz ist zu klein, um allein eine grosse Wirkung zu haben. Wenn schon, müsste Europa gemeinsam etwas auf den Weg bringen. Aber derzeit müssen wir uns eingestehen: Die USA und China sind in der Halbleiter- und Quantentechnologie führend. Und im Übrigen: Die Chinesen können nicht nur billig produzieren, sie sind mittlerweile auch ausgezeichnete Wissenschaftler. Diesbezüglich sind wir ins Hintertreffen geraten.
Wie weit dürfen wir Schweizer wieder bei den europäischen Forschungsprogrammen mitmachen?Wir sind zwar kein Mitglied, auch kein assoziiertes, aber als Drittstaat trotzdem dabei, zumindest teilweise. Grosse Projekte dürfen wir nicht mehr leiten, und es gibt Bereiche, wo wir ausgeschlossen sind. In der Quantentechnologie etwa, was für uns als CSEM ganz schlimm ist, weil wir darin führend sind. Auch bei Digital Europe – ein Programm für die Digitalisierung der KMU – sind wir aussen vor.
Schiessen wir uns da nicht selbst ins Knie?Es ist sicher nicht von Vorteil für unsere Industrie. Viele Investitionen werden nun nicht mehr bei uns, sondern anderswo in Europa gemacht. Dieser Zustand dauert nun schon seit vier Jahren. Geht es so weiter, wird es sicher negative Effekte haben. Wichtig ist auch: Investitionen in die Technologie lohnen sich. Die USA machen uns vor, wie man damit die Wertschöpfung erhöhen kann. Die Chinesen haben dies inzwischen auch verstanden, die Südkoreaner sowieso. Wir in Europa hingegen haben diese Lektion ein bisschen vergessen.
Sind wir schon hoffnungslos ins Hintertreffen geraten?Der Abstand ist aufzuholen. Aber dazu müssen die Mittel für neue Investitionen verfügbar gemacht werden. Nicht nur die Staaten, auch die Unternehmen müssen viel mehr investieren. Amerikanische Firmen haben in 2023 acht bis zehn Mal mehr in KI investiert als europäische. Deshalb kommen auch fast alle KI-Produkte aus den USA. Auch in Europa haben wir gute Ingenieure und gute Unternehmer. Was fehlt, sind Investitionen.
Welchen Einfluss hat die Politik auf die Entwicklung der KI? In fast allen westlichen Ländern ist die politische Situation sehr labil. Unternehmen hassen Unsicherheit. In China hingegen scheint alles stabil zu sein. Ist das ein Grund, weshalb bei uns zu wenig investiert wird?So stabil ist die Lage für die Chinesen auch nicht. Denken Sie bloss an Taiwan. Viele Firmen arbeiten heute mit uns, weil sie deswegen verunsichert sind. Auch die innenpolitische Stabilität Chinas wird von manchen in Zweifel gezogen. Deshalb müssen wir in der Schweiz glücklich darüber sein, dass wir politisch stabile Verhältnisse haben.
Wir haben das Gespräch mit den rosigen Aussichten, welche die KI verspricht, begonnen. Sprechen wir über die dunklen Seiten, die es ja auch gibt. Wie weit ist die Angst begründet, dass dereinst Roboter die Macht übernehmen?Die Angst ist berechtigt. Die Demokratie ist ein fragiles Gebilde, und Manipulation durch Fake News wird dank KI immer wahrscheinlicher und schwieriger zu entdecken.
Auch wir werden immer stärker überwacht, auch wenn es nicht aus politischen, sondern aus kommerziellen Gründen geschieht.Die Technologie macht sehr vieles möglich, was früher nicht denkbar war. Deshalb brauchen wir Regeln und Gesetze, die sicherstellen, dass Grenzen eingehalten werden. Das ist schwierig, weil – wie schon erwähnt – die technische Entwicklung sehr viel schneller voranschreitet als die gesellschaftliche.
Wie gross ist die militärische Bedrohung? Haben wir dank KI bald Killer-Roboter?Auch diese Angst ist begründet. Die Roboter werden nicht nur intelligenter, es wird bald auch viel mehr davon geben. Im Krieg kann der Einsatz solcher Roboter weitreichende Konsequenzen haben.
Verbreitet ist auch die Angst vor den Robotern als Job-Killer. Werden sie uns die Arbeit wegnehmen?Das glaube ich nicht. Historisch gesehen hat der technische Fortschritt mehr Jobs geschaffen als vernichtet. Warum soll das bei KI anders sein?
Schliesslich: Wird es dank KI bald «Übermenschen» geben? Menschen, die dank eines Chips im Gehirn allen anderen überlegen sind?Elon Musk träumt davon. Aber heute ist das noch Science Fiction. Kein vernünftiger Mensch würde sich heute schon einen solchen Chip implantieren lassen. Es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass diese Entwicklung langfristig erfolgen wird.
Wird der Mensch damit nicht überfordert sein?Vor 150 Jahren hatten die Menschen Angst vor der Eisenbahn. Es hat sich gezeigt, dass wir uns sehr gut anpassen können.
Mehr zum Thema KI: