Bis zu 13 Milliarden Franken weniger Boni erhalten Frauen in der Schweiz jedes Jahr weniger als Männer – und das liegt nicht nur an den Löhnen, sondern auch an Macht und Einfluss. Warum diese Ungleichheit besteht, Diversität uns alle etwas angeht und was du dafür tun kannst.
Der IPO-Raum im SIX-Hauptquartier ist fast bis auf den letzten Platz besetzt. Zusammengekommen ist ein buntes Publikum mit Menschen aus der Wirtschaft, verschiedenen Organisationen, Finanzinstituten, Universitäten. Wer es nicht in den Raum geschafft hat, schaut online zu. Präsentiert wird der Advance Gender Intelligence Report 2024, eine bereits zum achten Mal erscheinende Studie, herausgegeben vom führenden Wirtschaftsverband für Gleichstellung in der Schweiz, Advance in Zusammenarbeit mit dem CCDI (Kompetenzzentrum für Diversity & Inklusion) der Universität St.Gallen (HSG).
Der Report untersucht jährlich die Entwicklung der Geschlechterverteilung auf allen Führungsstufen von Schweizer Unternehmen. Die Auswertungen für die achte Ausgabe basieren auf der Analyse von 370'000 anonymisierten Personaldaten von Mitarbeitenden aus über 90 Unternehmen und Organisationen in der Schweiz. Dieses Jahr besonders spannend: Die Daten wurden erstmals mit Blick auf Macht, Einfluss und entsprechende finanzielle Vergütung unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse lassen aufhorchen. Das Machtgefälle zeigt sich eindrücklich in Zahlen – anhand der Personalverantwortung und Boni. Ich war vor Ort und habe für euch die wichtigsten Fakten und Tipps zusammengefasst, was wir alle für mehr Diversität und wirtschaftliche Freiheit tun können.
Zum Start die Zahlen über den Fortschritt von Diversität in Unternehmen – sie sind ernüchternd. Die Geschlechterverteilung auf den Führungsebenen hat sich gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Der Anstieg des Frauenanteils auf den verschiedenen Führungsebenen bewegt sich zwischen null und zwei Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Im Top-Management besetzen Frauen rund ein Fünftel aller Positionen. Ein Vergleich mit den Zahlen früherer Studien zeigt, dass wir nur langsam Fortschritte machen oder uns sogar rückwärts bewegen: 2018 lag der Anteil an Frauen in Non-Management-Positionen bei 51 %, heute bei 47 %. Im mittleren Management waren es damals 22 %, heute sind es 23 %, in 6 Jahren gerade mal 1 Prozentpunkt.
Frauen sind in Positionen mit Einfluss stark unterrepräsentiert. Rund drei Viertel aller sogenannten Power-Positionen, das sind Stellen mit z. B. mit Budget- oder Personalverantwortung, sind in Männerhand. Bei den Top-Positionen mit Einfluss machen Frauen gerade mal 3 % aus. Auch werden Männer, je nach Alter, zwei- bis dreimal so häufig in solche Positionen befördert. Das Argument, dass Frauen diese Positionen gar nicht wollen, hält nicht stand: Gemäss einer Befragung von 1'200 gut qualifizierten, berufstätigen Frauen streben 90 % einen beruflichen Aufstieg an – über alle Altersgruppen hinweg.
Eine der Hauptursachen für diese Imbalance sind Arbeitsmodelle: 79 % aller Beförderungen gehen an Vollzeitangestellte, nur 5 % an Mitarbeitende mit weniger als 80 % Arbeitszeit. In der Schweiz arbeiten Frauen etwa dreimal so häufig in Teilzeit wie Männer – 58,1 % der erwerbstätigen Frauen und 19,6 % der erwerbstätigen Männer haben eine Teilzeitbeschäftigung (BFS).
«Nur 13 % der Machtpositionen in Schweizer Unternehmen sind mit Frauen besetzt. Dies ist nicht nur eine Zahl – es ist ein Weckruf. Diese Zahl steht für ein riesiges ungenutztes Potenzial an vielfältigen Perspektiven, die darauf warten, die Unternehmenslandschaft zu verändern und die Produktivität und Innovationskraft der Schweiz zu steigern.»
Wie gross das Machtgefälle tatsächlich ist, zeigt sich eindrücklich bei den Boni. Vergleicht man die Bonushöhe von Männern und Frauen, ergibt sich eine Differenz von 54%. Rechnet man die durchschnittliche Bonus-Differenz auf alle erwerbstätigen Frauen und Männer in der Schweiz hoch, unter Berücksichtigung der jeweiligen Beschäftigungsgrade, beläuft sich die Differenz auf etwa 13 Milliarden Schweizer Franken – jährlich (Spezialauswertung der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des Bundesamts für Statistik 2024, Daten 2022).
Dies ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs: Auch bei den Gehältern gibt es noch Unterschiede. Während der Unterschied beim Bruttogehalt auf Nicht-Management-Ebene bei 7 % liegt, steigt er im mittleren und oberen Management auf deutliche 18 %. Im Laufe ihres Erwerbslebens können Frauen aufgrund unterschiedlicher Erwerbsbiografien bis zu 43% weniger verdienen als Männer.
Verschiedene Studien belegen, dass Unternehmen mit einer zielführenden D&I-Strategie eine höhere Wahrscheinlichkeit für branchenüberdurchschnittliche Renditen haben. Boston Consulting Group fand heraus, dass Diversität die Innovation steigert und zu 19 % mehr Umsatz führt. Gemäss der Beratungsfirma McKinsey sollen vielfältige Teams eher bessere und mutigere Entscheidungen treffen.
Unternehmen mit mindestens einem weiblichen Vorstandsmitglied erzielen z. B. eine höhere Eigenkapitalrendite und ein höheres Nettogewinnwachstum als Unternehmen ohne Frauen im Vorstand. Die Wahrscheinlichkeit eines höheren Erlöses steigt mit D&I-Strategien um ein Drittel. Zudem sind diversifizierte Unternehmen in Krisensituationen rentabler als ihre Branchenkollegen.
Dass Vielfalt nicht nur Frauensache ist, sondern uns alle betrifft, zeigt das nationale Barometer zur Gleichstellung 2024 von SOTOMO: Drei Viertel der Befragten sind der Ansicht, dass in der Schweiz in Sachen Lohngleichheit noch keine Gleichstellung herrscht. Knapp zwei Drittel der Befragten glauben auch, dass die Gleichstellung in Bezug auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie in der Schweiz noch nicht erreicht ist.
Es wird aber auch bereits viel unternommen, wie Fallbeispiele von Unternehmen zeigen. Um nur einige zu nennen: Syngenta und Siemens haben gezielte Förderprogramme für mehr Diversität in Tech-Jobs entwickelt. EY überwacht entsprechende Kennzahlen und Ziele regelmäßig auf Führungsebene. Bereits 2021 lancierte SIX den SPI Gender Equality Index, der die Leistung von Schweizer Unternehmen misst, die anhand der Anzahl von Frauen in ihrem Top-Management ausgewählt werden. Die Bank Vontobel hat seit etwas mehr als acht Monaten ein diverses CEO-Team. IKEA lebt Gleichstellung bereits seit fast einem Jahrzehnt. Pirmin Meyer und Konrad Weber haben kürzlich Allyship.ch ins Leben gerufen, eine Initiative, die Unternehmen bei der Gestaltung einer inklusiven Unternehmenskultur durch Strategieentwicklung, Workshops und Vorträge unterstützt.
Mit 55 % aller Top-Manager über 50 werden in den kommenden fünf bis zehn Jahren mehrere tausend Führungspositionen frei. Dies bietet eine enorme Chance für bewusstes Nachfolgemanagement, um eine vielfältige und inklusive Führung aufzubauen. Unternehmen sollten Massnahmen ergreifen, wie z. B.:
Warum du hemmungslos über Geld sprechen solltest
Ein bewusster Umgang mit diesen Themen und das Einfordern von Chancen können nicht nur deine eigene wirtschaftliche Freiheit zu stärken, sondern auch die Gleichstellung in der Gesellschaft und damit verbundene Vorteile schaffen. Was würde deiner Meinung nach am meisten dazu beitragen, die Gleichstellung in der Schweiz voranzubringen?
Olga Miler ... ... war über zehn Jahre in verschiedenen Funktionen bei der UBS tätig, unter anderem hat sie dort das Frauenförderungsprogramm und den UBS Gender ETF aufgebaut. Danach gründete sie den unabhängigen Finanzbilder SmartPurse, eine Plattform, auf der sie digitale Kurse und Workshops zum Thema Finanzen anbietet. Seit fünf Jahren schreibt Miler den Blog «MoneyTalks», jüngst erschien ihr erstes Buch «Rich, Richer...Me!», ein humoristischer Finanzratgeber, im Beobachter Verlag. |