WARUM KAMALA HARRIS JETZT AUCH IN WIRTSCHAFTSFRAGEN PUNKTET

Die Vize-Präsidentin schliesst in den Umfragen die Lücke zu Donald Trump in Sachen Wirtschaftskompetenz.

Selbst bei den stockkonservativen Meinungsmachern des «Wall Street Journals» ist mittlerweile der Frust gross. «Es fällt schwer zu glauben, aber Donald Trump gibt den US-Unternehmen Grund zur Annahme, dass Kamala Harris besser fürs Geschäft sei», stellt das Blatt jüngst in einem redaktionellen Kommentar fest. Das ist etwa so, wie wenn die NZZ die Arbeit von Finanzministerin Karin Keller-Sutter infrage stellen würde.

Es gibt gute Gründe, weshalb beim «Wall Street Journal» der Geduldsfaden reisst. Anstatt über Wirtschaftspolitik zu referieren, verkündet Trump lieber Verschwörungstheorien über Haustier-verzehrende Haitianer, und wenn er es doch tut, wird es meist peinlich. So ist der Ex-Präsident jüngst bei einem Vortrag vor der New Yorker Wirtschaftselite nach einem wirren Schachtelsatz zum verblüffenden Schluss gelangt, Kinderbetreuung sei Kinderbetreuung.

Trump spricht nicht über Wirtschaftspolitik, weil er nichts zu bieten hat. Seine Pläne lassen sich auf zwei Punkte reduzieren: Steuersenkungen und Strafzölle. Der Ex-Präsident will nicht nur das befristete Steuergeschenk an Reiche und Unternehmen für alle Zeiten festschreiben. Täglich kommen neue Versprechungen dazu. Das Trinkgeld soll vom Fiskus befreit werden, auch die Bezahlung der Überstunden, und überhaupt alle sollen in den Genuss einer Steuersenkung kommen.

Und was ist mit der Finanzierung? Neue Strafzölle werden es richten, verspricht Trump. Er rühmt sich, ein «tax man» zu sein, einer, der mit höheren Importzöllen sämtliche Probleme, ob Staatsschulden oder das Abwandern von Industrie-Jobs lösen will. Deshalb will er bereits am ersten Tag seines Amtsantritts einen generellen Strafzoll in der Höhe von zehn Prozent auf alle Importe verhängen. (So viel für alle, die sich Trump für die Exportnation Schweiz herbeiwünschen.)

Für die Chinesen darf es auch ein bisschen mehr sein. Ihre Importe sollen mit 60 Prozent belastet werden. Elektroautos aus Mexiko mit 100 Prozent und Produkte abtrünniger amerikanischer Unternehmen gar mit 200 Prozent. So hat Trump kürzlich John Deere, dem Hersteller von Landwirtschaftsmaschinen, einen Strafzoll in dieser Höhe angedroht, sollte dieser seinen Plan, einen Teil seiner Produktion nach Mexiko zu verlegen, wahr machen.

Wie gewohnt preist Trump seine Wirtschaftspolitik in den höchsten Tönen an. «Als euer Präsident werde ich euch die tiefsten Steuern, die tiefsten Energiekosten, die tiefsten regulatorischen Hürden und freien Zugang zu den grössten und wichtigsten Märkten dieser Erde verschaffen», versprach der Ex-Präsident am Mittwoch an einer Rede vor Unternehmern in Georgia. Allerdings fügte er hinzu: «Aber nur dann, wenn ihr eure Produkte in Amerika herstellen lässt.»

Trumps Pläne für seine Wirtschaftspolitik bedeuten eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert. Als junge Industrienation schotteten sich die USA damals mit hohen Zöllen gegen Importe ab. Die Einkommenssteuer wurde erst 1913 eingeführt, gegen den erbitterten Widerstand des damals reichsten Mannes der USA, John Rockefeller.

Ökonomen halten Trumps Retro-Politik für absolut ungeeignet, um die Probleme einer Dienstleistungsgesellschaft im 21. Jahrhundert zu lösen. Mehr als 400 Volkswirtschafter – darunter 16 Nobelpreisträger – haben in einem offenen Brief ihre Unterstützung für Kamala Harris kundgetan. Die Professoren der renommierten Business-Schule der Penn Wharton Universität – wo Trump einst studierte – haben ausgerechnet, dass Trumps Wirtschaftspläne den USA in den nächsten zehn Jahren zusätzliche Staatsschulden in der Höhe von 5,8 Billionen Dollar bescheren würden. Bei Harris wären es fünfmal weniger. Zum gleichen Schluss kommt auch eine Studie von Goldman Sachs, einer Bank.

Nicht nur die liberalen Ideologen des «Wall Street Journal» wenden sich von Trump ab, auch bei den Wählerinnen und Wählern zeichnet sich ein Umschwung ab. Hatte Trump gegenüber Joe Biden in Sachen Wirtschaftskompetenz in den Umfragen noch einen Vorsprung von zwölf Prozentpunkten, ist er jetzt bei Harris auf die Hälfte geschmolzen. In einer Umfrage der «Financial Times» liegt die Vize-Präsidentin gar leicht voraus.

Frank Luntz, ein langjähriger Meinungsforscher im Dienste der Grand Old Party, stellt in der «Washington Post» fest: «Die Wähler beginnen, Harris im Zweifelsfall einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Kaufkraft steht bei den Wählern an erster Stelle, und Trump ist es nicht gelungen, Harris für die Fehler bei der Inflation der Biden-Regierung zur Rechenschaft zu ziehen.»

Umgekehrt ist es Harris bisher sehr gut gelungen, sich wirtschaftspolitisch neu zu positionieren, ohne dabei Biden zu desavouieren. Sie gibt sich weniger gewerkschaftsnahe als der noch amtierende Präsident und betont: «Schaut her, ich bin eine Kapitalistin.» Damit lässt sie den absurden Vorwurf des Trump-Lagers, eine Marxistin zu sein, elegant ins Leere laufen.

Vor allem gibt sich Harris betont pragmatisch. Sie will Steuererleichterungen für Jungunternehmer und Steuerabzüge für Kleinkinder fördern. Dabei stützt sie sich auf einen legendären US-Präsidenten. «Ich werde mich dafür einsetzen, was Franklin Roosevelt einst mutige und fortwährende Lust am Experimentieren nannte», erklärte Harris gestern an einer Rede in der Industriestadt Pittsburgh (Bundesstaat Pennsylvania). «Denn ich bin überzeugt, dass wir uns nicht von Ideologien eingrenzen lassen, sondern praktische Lösungen für unsere Probleme suchen sollten.»

Mit dieser Botschaft gelingt es Harris offenbar immer besser, unabhängige Wählerinnen und Wähler zu überzeugen. Keine Chance hingegen hat sie beim harten Kern der Trump-Wähler. Es handelt sich dabei hauptsächlich um weisse Männer ohne Hochschulabschluss. Gerade sie würden unter der vom Ex-Präsidenten in Aussicht gestellten Wirtschaftspolitik besonders leiden, denn die hohen Strafzölle würden auf die Konsumenten abgewälzt und damit dem Mittelstand eine indirekte Strafsteuer von mindestens 3000 Dollar jährlich bescheren.

Mit wirtschaftlichen Fakten ist der MAGA-Meute jedoch nicht beizukommen. Weshalb das so ist, erklärt Thomas Edsall in seiner wöchentlichen Kolumne in der «New York Times» mit einem Zitat des Politologen Gary Jacobson wie folgt: «Nur wenn sie die Fakten ignorieren, können die Trump-Anhänger verhindern, dass sie sich schmerzvoll eingestehen müssen, dass sie sich in dem Mann geirrt haben. (…) Ignorant zu bleiben, ob wissentlich oder nicht, ist daher für sie ein rationales Verhalten.»

2024-09-26T10:54:06Z dg43tfdfdgfd