Es sind grosse Worte: Erst wenige Monate ist es her, als die Migros die «grösste Innovation der Firmengeschichte» ankündigte. Eine «Weltpremiere» feiert nun auch die Migros-Tochter Digitec Galaxus, wie das Unternehmen am Donnerstag frohlockte.
Der Onlinehändler zeigt bei Produkten neu an, wie häufig die Kundschaft die Ware zurückschickt, wie oft die Produkte in der Garantiefrist kaputtgehen und wie lange es dauert, bis ein Garantiefall erledigt ist.
Darius Zumstein, ZHAW-Dozent und Leiter des E-Commerce Labs, bezeichnet die Entwicklung als «hammermässig»: «Wer sich zwischen zwei gleichwertigen Produkten entscheiden muss, wählt nun ganz klar dasjenige mit weniger Retouren oder mit einer kürzeren Garantieabwicklungsdauer», sagt er zu watson. Die Neuerung des Onlinehändlers würde zeigen, wie gezielt und wertschöpfend das Unternehmen die eigenen Daten einsetzen könne.
Für den Onlinehandelsexperten ist klar: Digitec Galaxus lege die Karten offen. «Von der Transparenz profitieren alle: Das Unternehmen wird seltener Retouren erhalten und die Kundschaft muss weniger Produkte zurückschicken», sagt Zumstein. Grosse Kostenpunkte würden dadurch abnehmen. «Wie stark der Effekt ist, wird sich zeigen.»
Erfreut über die Änderung bei Digitec Galaxus zeigt sich Sarah Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz. Die Quoten würden wichtige Informationen darstellen. «Das ist ein gutes Beispiel, das hoffentlich Schule macht», schreibt sie auf Anfrage von watson.
Dies aber nur, solange es unbeeinflusst umgesetzt werde: «Anbieter sollen keine bessere Position auf der Liste erkaufen können», betont Stalder. Sonst würden die Kundinnen und Kunden in ihrer Kaufentscheidung manipuliert werden.
«Der Onlinehändler würde mit Fake-Angaben nur seinen Ruf riskieren», sagt dazu Darius Zumstein. Er glaube deshalb nicht daran, dass dies möglich sei – speziell bei einer Migros-Tochter. Die neue Transparenz werde aber andere Probleme mit sich bringen.
«Es wird spannend, wie die Hersteller der auf Digitec Galaxus gelisteten Produkte auf die Neuerung reagieren», meint der E-Commerce-Fachmann. «Wenn die Produzenten realisieren, dass ihre Ware am meisten zurückgeschickt wird, müssen sie etwas ändern, um im Sortiment zu bleiben, sagt er. Sie würden unter Druck gesetzt. «Hersteller mit schlechten Quoten werden früher oder später vom Markt verschwinden.»
Wer in den Listen schlecht wegkomme, habe noch mehr Probleme. «Das kann markt- und rufschädigend sein», erklärt Zumstein. Doch die Hersteller würden nicht viel machen können. Laut dem ZHAW-Dozenten haben sie lediglich zwei Möglichkeiten: Entweder die Produzenten würden an der Qualität der Produkte arbeiten oder sie verklagen den Onlinehändler. «Die Erfolgschancen dabei dürften aber relativ gering sein», sagt er.
watson hat die Neuerung von Digitec Galaxus getestet und bei mehreren Herstellern nachgefragt, die in einzelnen Kategorien schlecht abgeschnitten hatten. Den hintersten Platz bei den Retouren bei «Smartphones» belegte beispielsweise Microsoft. Auf mehrere eingereichte Fragen antwortete der Konzern lediglich: «Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns dazu nicht äussern.»
In der Kategorie «USB-Kabel» – das Produkt, welches 2021 beim Onlinehändler am zweitmeisten verkauft wurde – schnitt das Elektronikunternehmen Logitech besonders schlecht ab, mit Platz 123 von 126. Auch dort wollte man die Neuerung von Digitec Galaxus nicht kommentieren. Vier weitere angefragte Hersteller wollten sich ebenfalls nicht äussern.
Darius Zumstein ist überzeugt, dass die Neuerung der Migros-Tochter eine Kampfansage war – gegenüber der Konkurrenz: «Digitec Galaxus hat nun einen grossen Wettbewerbsvorteil. Andere Onlinehändler müssten sich überlegen, ob sie die Retouren- und Garantiefallquote ebenfalls messen und den Kunden zur Verfügung stellen wollen.
Ob das neue System von Digitec Galaxus zu mehr Umsatz führt, will der Schweizer Onlinehändler Brack.ch auf Anfrage von watson nicht kommentieren. Doch zum Quotensystem schreibt er: «Die Beobachtung der Garantiefallquoten von Produkten und Lieferanten übernehmen wir für unsere Kundschaft intern. Schneiden diese im Vergleich über Zeit nicht gut ab oder verschlechtern sie sich, hat dies zur Konsequenz, dass wir den jeweiligen Lieferanten oder Hersteller darauf aufmerksam machen.» Schlimmstenfalls würde das Produkt aus dem Sortiment entfernt.
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