DER «PRäMIENSCHOCK» KANN GEDäMPFT WERDEN – WENN WIR ES WOLLEN

Die Krankenkassenprämien steigen einmal mehr stark an. Immerhin kommt im November eine Vorlage zur Abstimmung, mit der das Wachstum der Gesundheitskosten zumindest gebremst werden kann.

Erstmals war Elisabeth Baume-Schneider an der Reihe. Sie musste am Donnerstag einen Anstieg der Krankenkassenprämien für 2025 um sechs Prozent ankündigen. «Es ist nicht angenehm», gestand die Bundesrätin und leistete sich einen «freudschen» Versprecher, indem sie von einer «augmentation de crime» sprach, einem Anstieg der Kriminalität.

Manche Versicherte halten den scheinbar ungebremsten Anstieg der Gesundheitskosten und Prämien in der Tat für kriminell. Eine Abflachung gab es, wenn der Bundesrat die Krankenkassen zwang, Reserven aufzulösen. Diesem «Placebo» konnte von Ruth Dreifuss über Pascal Couchepin bis Alain Berset kaum ein Gesundheitsminister widerstehen.

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Irgendwann aber wurde die Rechnung fällig, und der Prämienanstieg fiel umso heftiger aus. Auf eine Trendwende zu hoffen, ist vermessen. Zahlreiche Gründe tragen zur Zunahme der Kosten bei. Dazu gehören eine alternde Gesellschaft, teure Medikamente, Rückstände bei der Digitalisierung, veraltete Tarife und Fehlanreize bei den Behandlungen.

«Ein gutes System hat seinen Preis»

Steigende Personalkosten aufgrund des Fachkräftemangels belasten die Spitäler, die finanziell immer öfter in Schieflage geraten. Eine bessere Spitalplanung gibt es aber nur in Ansätzen. Das Gesundheitssystem gleicht zunehmend einem kaum noch beherrschbaren Moloch. Seine Verteidiger verweisen darauf, es sei teuer, biete aber eine hohe Qualität.

«Ein gutes System hat seinen Preis», meinte Baume-Schneider. Das mag zutreffen, obwohl es zunehmend Berichte über Engpässe und Wartezeiten in der Kindermedizin, bei den Hausärzten oder in der Psychiatrie gibt. Reformen haben es in der Gesundheitspolitik jedoch notorisch schwer. Sie werden von den Profiteuren des Systems vehement bekämpft.

Politik geht auf Prämienzahlende los

Die Politik nimmt zunehmend die angeblich zu «konsumfreudigen» Prämienzahlenden aufs Korn, wie heute der Ständerat mit der Erhöhung der Mindestfranchise. Im letzten Jahr aber ist es gelungen, ein Grossprojekt ins Ziel zu bringen, an dem jahrelang laboriert worden war: die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Spitalleistungen, kurz Efas.

Weil die Gewerkschaften das Referendum ergriffen, wird am 24. November darüber abgestimmt. Nicht nur dieser Widerstand erinnert an die am letzten Sonntag versenkte Reform der beruflichen Vorsorge (BVG). Es handelt sich um eine grosse, komplexe Vorlage, die gespickt ist mit Fachbegriffen (wer kann sich schon etwas unter Monismus vorstellen?).

Wer schläft gerne im Spitalbett?

Dabei ist die Ausgangslage einfach: Ambulante Behandlungen werden heute allein von den Krankenkassen bezahlt, stationäre zu mindestens 55 Prozent von den Kantonen. Deshalb ist es für die Versicherer lukrativer, die Patienten ins Spital einweisen zu lassen, obwohl der ambulante Bereich günstiger und angenehmer ist (wer schläft schon gerne im Spitalbett?).

Mit der Reform sollen die Kosten zu 73 Prozent von den Kassen getragen werden und zu 27 Prozent von den Kantonen. Sie haben zudem dafür lobbyiert, dass die Langzeitpflege in die Vorlage integriert wird. Weil es immer mehr ältere Menschen gibt, droht in diesem Bereich ein Kostenschub. Auch deshalb bekämpfen die Gewerkschaften die Reform.

Fehlanreize werden beseitigt

Sind die Befürchtungen berechtigt? Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) geht nicht davon aus. Die Prämienzahlenden würden vielmehr entlastet, weil die Kantone ihrerseits keinen Anreiz mehr hätten, Behandlungen in den ambulanten Bereich zu verschieben. Selbst die Gegner anerkennen, dass die einheitliche Finanzierung an sich eine gute Sache ist.

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Für Elisabeth Baume-Schneider ist der Fall klar: «Es ist eine zentrale Reform zur Drosselung des Kostenwachstums.» Fehlanreize würden beseitigt und unnötige Spitalaufenthalte reduziert, sagte die Gesundheitsministerin am Donnerstag. Gefühlt hat sie sich damit schon stärker für Efas eingesetzt als im gesamten Abstimmungskampf für die BVG-Reform.

Die Erfahrung lehrt, dass man solche Verheissungen mit Vorsicht behandeln sollte. Doch der Systemwechsel ist überfällig, und die Chancen sind grösser als die Risiken. Ein heikler Aspekt ist die Langzeitpflege, sie könnte zum «Killerargument» werden. Aber mit Nichtstun lässt sich das Prämienwachstum nicht bremsen.

2024-09-26T15:24:07Z dg43tfdfdgfd